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KI made in Germany ist besser als ihr Ruf

Ja, in Deutschland könnte mehr in KI investiert werden, ja, die Politik muss mehr unterstützen, und ja, China und die USA sind uns voraus.
DMEXCO | 24.07.2019
Start-up Village auf der DMEXCO 2018 © DMEXCO
 

Fachbeitrag von Dr. Frank Zimmer


Deutschland und Europa sind nicht schon dadurch verloren, dass einzelne in der westlichen Sphäre weitestgehend unbekannte Großstädte in China mehr Geld für KI bereitstellen als ein durchschnittliches G7-Mitglied. Die damit verbundenen Anwendungen möchten die meisten Europäer nämlich nicht geschenkt haben: Flächendeckende Überwachungssysteme mit immer ausgefeilterer Gesichtserkennung. Es bringt wenig, Investitionen gegeneinander aufzurechnen, für die es keine gesellschaftliche Akzeptanz und somit auch keinen Markt gibt.

Die deutsche KI-Szene mag im Vergleich zum Silicon Valley oder Chinas Gründerfabriken überschaubar sein. Aber das ist ein Grund für Anstrengung, nicht für Panik. Schon jetzt hat Deutschland mehr gute Start-ups als viele Skeptiker glauben. Einige Beispiele, die das verdeutlichen:

Artisense: Die intelligente Sehhilfe für Maschinen


Das Münchner Start-up will autonomes Fahren einfacher, kostengünstiger und sicherer machen. Die Artisense- Software liefert in Echtzeit computerlesbare Karten für Maschinen, nicht für Menschen. “Dynamisches 3D Mapping” heißt die neue Technologie, die mit einfacher Hardware Navigationsdaten während der Fahrt produziert und dabei nicht auf GPRS angewiesen ist. Sie kommt u.a. bei Lieferrobotern zum Einsatz. Artisense ist ein gutes Beispiel für KI made in germany mit internationalem Potenzial. Es entstand als Spin-off der Technischen Universität München, arbeitet nach wie vor im Münchner Vorort Garching, hat sein Hauptquartier aber mittlerweile in Palo Alto aufgeschlagen. COO ist Till Kaestner, der frühere Deutschland-Chef von Linkedin.

Ferret: Der Social-Media-Versteher


Das Unternehmen aus Bernau bei Berlin ist schon fast der Oldie unter dem KI-Firmen. Es wurde 2012 von zwei Informatikern und zwei Werbe-Managern gegründet, darunter Benjamin Minack, dem heuten Präsidenten des Agenturverbandes GWA. Ferret ist angewandte Computerlinguistik: Das System analysiert und überwacht Community-Beiträge, identifiziert Trolle, sortiert Hate Speech und Fäkalsprache aus und kann selbstständig moderieren. Es ist unter anderem bei der Tagesschau, Spiegel Online und Focus im Einsatz.


i2x: Verkaufe ist alles


Das Berliner KI-Start-up wurde vom früheren StudiVZ-Chef Michael Brehm gegründet. Es will Sales-und Service-Mitarbeiter bei Kundengesprächen unterstützen. Die Software analysiert Dialoge und macht Verbesserungsvorschläge. Es ist sogar möglich, vor dem Gespräch eine Liste mit Phrasen und Wörtern einzugeben, die man vermeiden möchte. i2X hört mit und macht sich wie ein Personal Trainer bemerkbar, wenn der Dialog in die falsche Richtung läuft. Voraussetzung ist natürlich, dass die Telefonate abgehört werden dürfen und auch der Kunde zustimmt. Vodafone und Siemens nutzen die Technologie bereits. i2X hat Anfang 2019 über 10 Millionen Euro Wagniskapital eingesammelt.

Parlamind: Der Service-Manager


Parlamind ist ein KI-Startup aus Berlin, das Lösungen für die Service-Kommunikation anbietet. Die Software analysiert Text- und Sprachnachrichten, organisiert den Dialog mit dem Kunden und interagiert auch selbst. Sie wird als eine Art digitaler Mitarbeiter eingesetzt, beantwortet selbständig Kundenanfragen und assistiert ihren menschlichen Kollegen. Parlamind nennt es “das künstlich intelligente Team-Mitglied für Ihren Kundenservice”. Die beiden Gründer Tanja Klüwer und Tobias Lehmann haben ihr Unternehmen mittlerweile an die 4Technologx Group in Hannover verkauft, sind aber noch als Geschäftsführer an Bord.


Webdata Solutions: Der E-Commerce-Radar


Das KI-Start-up made in Sachsen ist aus einem Forschungsprojekt der Universität Leipzig hervorgegangen. Herzstück ist die Analyse-Software Blackbee, die Preise, Sortimente und Produkteigenschaften im Netz sammelt, bewertet und Entscheidungsgrundlagen für Wettbewerber liefert. Sie können dadurch schneller auf neue Marktentwicklungen reagieren und ihre Preismodelle anpassen. Webdata ist seit 2019 zertifizierter Partner von Microsoft.

Adspert: Bidmanagement für Amazon Marketing Services


Das Berliner Unternehmen ist einer der Dauerbrenner in Sachen KI und Marketing. Auf Basis einer im Börsensektor erprobten KI-Technologie bieten die beiden Gründer Stephanie Richter und Marcel Pirlich schon seit 2010 Bidmanagement an. Zunächst für Google Ads, Microsoft Advertising und das russische Suchmaschinenpendant Yandex konzipiert, ist Adspert ein waschechter Pionier in Sachen Amazon Marketing Services, dem Gamechanger in Sachen E-Commerce Marketing schlechthin. Nach der Implementierung der neuen Funktionalitäten, vor allem des Produkt-Targetings, in der Amazon Advertising-API ist Adspert aktuell das wohl einzige vollautomatisierte System, das diese neue Steuerung für alle wichtigen Arten von Amazon-Werbekampagnen unterstützt.

Fazit


Deutsche neigen manchmal dazu, den eigenen KI-Standort kleinzureden. Tatsächlich gibt es eine Menge interessanter Start-ups, die auch international für Aufmerksamkeit sorgen. Die DMEXCO bietet einen guten Überblick für Entscheider, die auf der Suche nach Know-how oder Kooperationspartnern sind. Auf der Messe eröffnet erstmals der “Future Park”, eine Plattform für innovative Unternehmen jeder Art und Größe. Deutsche Start-ups haben hier (oder in einem anderen Expo Bereich) die Chance sich einem internationalem Publikum, darunter auch zahlreiche Investoren, zu präsentieren. Die VC-Szene kann sich hier davon überzeugen, welche herausragenden Ideen die deutsche Start-up Szene zu bieten hat.


Dr. Frank Zimmer
Frank Zimmer ist Journalist und Medienmacher in München. Er schreibt über Marketing, Medien und digitale Transformation, betreibt das Regionalblog Mittelrheingold und berät Unternehmen bei ihren Content-Projekten. Seine Artikel erscheinen u. a. in W&V und der Süddeutschen Zeitung.