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Wieviel Angst verträgt Marketing?

Arbeiten mit Angst hat im Marketing nichts zu suchen. Richtig dosiert kann die 'Loss Aversion' jedoch das 'Salz im Marketing-Rezept' sein.
Gerdt Fehrle | 16.06.2021
loss-aversion © unsplash.com
 

Marketing mit Loss Aversion

 

Welche Frage trauen sich Marketer in ihren PR- und Werbetexten, Anzeigen oder Social Media Kampagnen nicht zu stellen? Richtig: Die, was es für die Kunden bedeuten würde, wenn sie auf den Deal, auf das gemachte Angebot verzichten würden. Dabei nennt Donald Miller, Marketing Experte und Bestseller-Autor, die ‚Loss Aversion‘, den ‚Widerwillen, etwas zu verlieren‘, das ‚Salz im Marketing-Rezept‘.

 

Panikmache. Ein hässlicher Begriff. Ein Begriff, den man gerne in Zusammenhang mit Politik nennt. Mit unseriösem Journalismus gleichsetzt. Mit Manipulation und unlauterer Beeinflussung. Kein Wunder: Zum einen findet leider vor allem in diesen Bereichen Panikmache ja tatsächlich statt. Zum anderen leben wir Menschen der westlichen Weltgesellschaft in einer verordneten Dauerschleife positiven Gefühls.

‚Sorge dich nicht, lebe‘, ‚Alles wird gut‘, ‚Passt schon‘. Das gilt natürlich nicht nur im Marketing. Aber vor allem dort. Das Mantra des ‚schön und erfolgreich seins‘ herrscht in der Zunft des Werbens & Verkaufens wie kaum irgendwo sonst. Im Marketing ist das Lächeln stets strahlender, die Wiese immer grüner, die Lösung immer schon greifbar nah. Wachstum, Umsatzsteigerung, höhere Gewinne auch?

 

Happy End

 

Selbstverständlich gehört zu jeder erfolgreichen, oder sagen wir besser: massentauglichen Story ein Happy End. Das geneigte Publikum identifiziert sich mit seinem Helden. Das Auditorium zittert mit, wenn er oder sie sich der Herausforderung seines Lebens stellt – und, sagen wir, die Prinzessin retten, das Kind aus dem Brunnen holen oder den Schwarzen Stern unschädlich machen muss. Und wehe den Drehbuchautoren, die das Spiel verderben und die eiserne Regel brechen. Spätestens an der Kinokasse wird die Quittung ausgestellt.

Das gleiche gilt natürlich auch für Marken. Oder Dienstleistungen. Oder Produkte. Happy End ist auch da angesagt. Nur anders. Denn während Kundinnen sich Morgen für Morgen aufmachen, um ihre eigene, tägliche kleine Heldenreise zu bewältigen, sich also mit Luke oder Frodo identifizieren, machen erfolgreiche Marken den Obi-Wan Kenobi oder Gandalf. Was nichts anderes bedeutet als: Führen. Lenken. Helfen.

Wie im richtigen Abenteuer suchen auch die knapp 8 Milliarden Alltagsheldinnen und -helden Tag für Tag den kleinen oder großen Erfolg. Und dafür benötigen sie einen Guide. Denn die Gefahr, im Alltags-Stress in die Irre zu gehen, Fehler zu machen oder gar zu scheitern, ist in den Straßen von Stuttgart, Delhi oder Manhattan ebenso reell wie zwischen den Sternen des Universums oder hinter dem Auenland. Die Angst zu scheitern ist der ständige Begleiter all der Heerscharen, die Straßen, Plätze, Busse und Büros besetzen.

Erfolgreiche Brands helfen daher, all die Riesen-Probleme, die sich den tätigen Erdenmenschen zwischen Zähneputzen morgens und Gurgeln abends entgegenstellen, zu lösen und die Alltagsreise ihrem Happy End entgegenzuführen. Für Unternehmen, ihre PR-Berater und Marketing-Treibende heißt das: Selbstverständlich bieten sie in ihren Beiträgen, Blogs, Anzeigen und Kampagnen Erfolgsrezepte. Aber nicht nur.

 

Was gibt’s zu verlieren?

 

Um Deals abzuschließen, um Kundinnen und Kunden weltweit dazu zu bringen, den Buy-now-Button zu klicken, braucht es noch etwas mehr als die Garantie, erfolgreich zu sein. Kundin oder Kunde müssen wissen, was sie riskieren, wenn sie den Deal nicht mit uns machen. Nämlich nichts weniger, als zu scheitern.

Warum das so wichtig ist? Nobelpreisträger David Kahnemann und Amos Tversky haben in ihrer 1979 veröffentlichten Studie Prospect Theory folgende, erstaunliche Tatsache gezeigt: Menschen hassen es mehr, eine 100-Dollar Note zu verlieren, als sich darüber zu freuen, eine 100-Dollar-Note zu gewinnen.

Marketing-Experte und Erfolgs-Autor Donald Miller schließt aus der Erkenntnis von Kahnemann und Tversky: „(…) fearmongering is not the problem 99.9 percent of business leaders struggle with. Most of us struggle with the oposite. We don’t bring up the negative stakes enough (…)”. Menschen reagieren also laut Kahnemann, Tversky emotionaler auf einen Verlust als auf einen Gewinn. Was bedeutet das nun fürs Marketing?

 

Der Trigger mit der ‚Angst‘

 

Fearmongering – Panikmache ist ein starkes Wort. Niemand, der auch nur einigermaßen seriös ist, möchte mit Panikmache arbeiten. Fearmongering bleibt unseriösen Politikerinnen, Diktatoren oder schwarzen Schafen bei den Medien vorbehalten. Panikmache hat in PR und Markting nichts zu suchen. Risiko-Sensibilität hingegen schon.

Deshalb behalten erfolgreiche Unternehmen und ihre Marketingabteilungen im Hinterkopf, dass wir Menschen nach dem Prinzip ‚Verlustvermeidung vor Lustgewinnung‘ agieren. Das bedeutet zu wissen, dass Kundinnen und Kunden vieles tun, um etwas Übles zu vermeiden. Und allemal mehr als um Gutes zu erreichen. Das heißt wiederum, dass der Widerwille vor einem Verlust eine größere Motivation fürs Drücken des Buy-now‘-Buttons darstellt als die Aussicht auf potenziellen Gewinn.

‚What’s there to lose‘ lautet somit die Frage unserer um Erfolg ringenden Kundinnen und Kunden, die Unternehmen eindeutig beantworten müssen. Denn ohne Risiko gibt es keinen Grund, dieses zu vermeiden. Und damit auch kein Engagement, gegen ein drohendes Scheitern aktiv zu werden, keinen Einsatz.

Beantworten Unternehmen aber die Frage nach dem, was es zu verlieren gibt, wenn ‚Kauf-mich‘ nicht geklickt wird, dann, und nur dann positionieren sie sich als verlässliche und dringend notwendige Guides. Das Produkt oder die Dienstleistung fungiert dann als der kleine oder große Plan, der die Heldinnen und Helden auf der Reise durch die Herausforderungen des Alltags begleitet.

 

Fazit

 

Wie so oft macht die Dosis den Unterscheid zwischen Gift und Arznei, zwischen Schaden und Nutzen. Panikmache oder Arbeiten mit Angst haben in PR und Marketing nichts zu suchen. Der Aufbau eines sogenannten ‚Fear appeal‘, das Anklingenlassen möglicher Konsequenzen ist in der Unternehmenskommunikation aber durchaus erlaubt. Sie ist die Prise Salz im Rezept von PR und Marketing.

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Über Gerdt Fehrle

Gründer und GF Prospero, Germanist und Philosoph (MA), Texter, Konzeptioner und Visionär. Vorstand der Lup-Stiftung. Verleger und Business-Coach.