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Wahlkampf an der Schwelle zum digitalen Zeitalter

Am 24. September ist Bundestagswahl. Die Parteien setzen im Wahlkampf verstärkt auf Online-Medien, aber noch mehr auf Althergebrachtes.
Gabriele Braun | 12.07.2017
© Gabriele Braun
 

Alle reden vom digitalen Wahlkampf. Die Parteien, die sich Chancen ausrechnen können, dem nächsten Bundestag anzugehören, inszenieren sich in den Medien als Facebook-Profis und Twitter-Präsidenten. Doch die letzten drei Landtagswahlen haben uns gelehrt, dass sich der Kampf um die Gunst der Wähler mitnichten in den virtuellen Raum verlagert hat. Zwar wird 2017 der Kanal Internet mehr denn je von den Parteien für den Wahlkampf genutzt, doch schon bald wird die Republik wieder von einem dichten, parolengespickten Schilderwald überzogen sein. Das Wahlkampfbudget dürfte bei der CDU und SPD insgesamt bei 20 Millionen, das der Grünen, FDP und Linken jeweils bei ca. 5 Millionen und das der AfD bei etwa 3,5 Millionen Euro liegen. Die Wahlkampfbudgets werden nur zu einem kleinen Teil in Online-Maßnahmen fließen. Die AfD, erfolgreichste Facebook-Nutzerin unter den Parteien, hat angegeben, dass selbst sie nicht viel mehr als 10 Prozent ihrer Mittel in Social Media investieren will.

Alle auf Facebook


Für Thomas Nehren, Herr über die SPD-Digitalkampagne, ist Facebook „der Supermarktparkplatz des Internets“. Also ein Ort, an dem sich die Leute gruppenübergreifend treffen. Entsprechend wollen auch die anderen Parteien dabei sein. Einen klaren Vorsprung hat hier die AfD, die Facebook schon seit Langem sehr effektiv einsetzt. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung [1] hat die rechtspopulistische Partei 321.000 Fans auf den blauen Seiten, mehr als SPD und CDU zusammen. Ihre Methode: Statt kantiger Statements wird ein Bild mit einem pointierten, polemischen Spruch gepostet. Nehren setzt auf eine andere Strategie: „Die besten Reaktionen und Reichweiten haben Beiträge mit klarer Haltung.“ Die SPD hilft dem Erfolg genau wie die FDP mit gesponserten Posts nach. Dabei geht die CSU noch einen Schritt weiter und wirbt, zum Teil auf Russisch, bei Besuchern der Facebook-Seite des russischen Senders „Russia today“.

Bilderlastige Social Media ohne Bedeutung


Erstaunlicherweise spielen andere soziale Medien nur eine geringe Rolle. Einzig Twitter wird noch auf breiter Front eingesetzt. So hat zum Beispiel die CDU, um den Bogen von klassischen zu digitalen Wahlkampfmaßnahmen zu spannen, jedes ihrer Wahlplakatmotive getweetet. Die vielen Presseleute und Multiplikatoren unter ihren Followern haben für eine schnelle Verbreitung gesorgt. Natürlich nutzen auch andere Parteien Tweets für eine virale Verbreitung mit hohem Aktualitätsfaktor. YouTube wird teilweise wie TV-Werbung eingesetzt, andere Medien dagegen kaum. Das machen auch die Nutzerzahlen deutlich. So haben die Grünen bei Instagram als Platzhirsch unter den Parteien gerade mal 8.000 Follower - ein Klacks gegenüber 140.000 Facebook-Fans. Die geringe Bedeutung anderer ansonsten etablierter Social-Media-Netzwerke gegenüber Facebook hat zwei Gründe: Zum einen werden auf dem „blauen Riesen“ die meisten Zielgruppen erreicht, während Instagram, Pinterest & Co. fast ausschließlich Jüngere und dabei auch längst nicht alle dieser Altersgruppen ansprechen (Snapchat-User sind ohnehin meistens noch gar nicht wahlberechtigt). Zum anderen sind die genannten Medien eher bilderlastig, was für politische Aussagen sehr einschränkend wirken dürfte. Selbst die AfD lässt ihren bebilderten Posts auf Facebook gerne lange Erklärungen folgen. Politik lebt eben doch von Inhalten.

Bots und Fake News

Für den Einsatz von Chatbots zeigen sich mehrere Parteien offen. Auch hier tut sich wieder die CSU vor, die seit April Chatbots für Anfragen auf dem Facebook Messenger einsetzt. Dagegen lehnen zumindest offiziell alle Parteien den Einsatz von Social Bots, die automatisiert mit Posts die Meinungsbildung auf Social Media beeinflussen, ab. Wie wir im Juni berichtet haben, schenken allerdings nicht mal die Hälfte der Bundesbürger diesem Bekenntnis Glauben. Damit könnten sie richtigliegen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Februar mit einem Bericht über Social Bots aus dem Umfeld der AfD belegte [2].

Die Parteien rechnen mit gezielt gestreuten Falschmeldungen, den vieldiskutierten Fake News, und haben Abwehrmechanismen dagegen entwickelt. Die Grünen wollen mit einer „Netzfeuerwehr“ rufschädigende Falschmeldungen im Netz aufspüren und Gegendarstellungen verbreiten. Die Linke hat eine geschlossene WhatsApp-Gruppe, die „feindliche“ Fakes aufspürt und dagegen vorgeht.

Klinkenputzen mit digitaler Unterstützung

Nach guten Erfahrungen im US-Wahlkampf ist der altbewährte Haustürwahlkampf wieder en vogue. #connect17 lautet dabei eine weitere von der CDU geschlagene Brücke ins digitale Zeitalter. Dahinter verbirgt sich eine App, die beim „Klinkenputzen“ mit Hilfe von Geomarketing die Quartiere anzeigt, wo es für die Kanzlerinnenpartei auch wirklich etwas zu holen gibt. Außerdem können über das Progrämmchen Wahlkampferfahrungen ausgetauscht und sogar Fleißpunkte gesammelt werden. Eine ähnliche App mit dem Namen „Tür zu Tür“ setzt die SPD ein. Beide Parteien betonen, dass dabei keine gekauften Adressen eingesetzt werden, sondern lediglich die auf die 80.000 Wahlkreise heruntergebrochenen Erkenntnisse aus vergangenen Wahlen, dazu frei zugängliche Bevölkerungsdaten aus der Verwaltung.

Klassisch: Prominente und Plakate

Sucht man bei der FDP nach Möglichkeiten der Wahlkampfunterstützung, kommt man auf den Kampagnenkatalog. Dort dreht sich alles um Werbemittel, die auch schon in den 1970er-Jahren eingesetzt wurden: Plakate, Flyer und Merchandising in Form von Kappen, T-Shirts und Ähnlichem. Die Parteien wollen trotz wachsender Bedeutung des virtuellen Raums weiterhin starke Präsenz in der realen Welt zeigen. Im Mittelpunkt werden wieder die (für die Parteien kostenlosen) TV- und Radiospots sowie Plakate und Events stehen. In einer Umfrage von Ketchum Pleon gaben 64 Prozent der Politprofis an, dass Wahlkampfveranstaltungen für sie ein unverzichtbarer Kanal sei.

So konzentrieren sich die Kampagnenzentralen und beauftragten Werbeagenturen vor allem auf Auftritte prominenter Politiker und auf Plakatmotive. Die Grünen haben eine eigens für den Wahlkampf gegründete Werbeagentur, die ZBA („Ziemlich beste Antworten“), beauftragt. Die Linke setzt auf die bewährte Berliner Agentur DiG/Trialon, die FDP auf Heimat Berlin, die CDU auf Jung von Matt und die SPD auf KNSK, die schon die Schröder-Wahlkämpfe konzipierte. Ausgerechnet die AfD ist bei der Dienstleistersuche nur im Ausland fündig geworden, bei der in der Schweiz ansässigen Agentur Kunkelbakker.

Die ZBA hat schon mal einen klaren Auftrag: Motive für Großplakate. Die Grünen wollen in diesem Wahlkampf doppelt so häufig auf diesen Klassiker der Außenwerbung setzen wie 2013. Das haben sie mit allen Parteien, unabhängig vom jeweiligen Selbstverständnis, gemeinsam: Der Übergang ins digitale Zeitalter wird nicht überstürzt - um es vorsichtig auszudrücken.


[1] Quelle: „Wie die Parteien auf Facebook Wahlkampf machen“ SZ vom 03.05.2017 http://www.sueddeutsche.de/digital/der-facebook-faktor-wie-die-parteien-auf-facebook-wahlkampf-machen-1.3479979

[2] Quelle: „Frauke Petry und die Bots“ FAZ vom 07.02.2017
http://www.faz.net/aktuell/politik/digitaler-wahlkampf-frauke-petry-und-die-bots-14863763.html



Bildquelle: Fotolia.com / fefufoto