Warum Sie eine Datenstrategie brauchen
Daten oder Algorithmen?
Erst rollte der Big-Data-Hype über das Marketing hinweg. Jetzt folgt der KI-Boom. Doch weder Big Data noch Künstliche Intelligenz schaffen aus Daten Werte für Ihr Marketing. Die Big-Data-Propheten versprachen uns: Wir müssen nur möglichst alle Daten über unsere Kunden sammeln, dann würden wir alles über sie wissen. Doch Sie finden nicht die Nadel im Heuhaufen, indem Sie mehr Heu anhäufen. Ebenso wenig finden Sie die relevante Information über einen Kunden, indem Sie mehr Daten über ihn sammeln. Wenn Sie beispielsweise wissen wollen, ob, wann und wieso ein Kunde demnächst seinen Vertrag bei Ihrem Unternehmen kündigt, dann müssen Sie sich fragen, was die Gründe für die Kündigung sind und wie Sie diese Gründe messen können, also welche Daten Sie erfassen sollten.
Während Big Data den Fokus auf die Daten legt, konzentriert sich die Künstliche Intelligenz auf die Algorithmen. Das Erwachen der KI ist dem Deep Learning zu verdanken: Algorithmen, welche vielschichtige, das heißt „tiefe“ neuronale Netzwerke nutzen, um aus vergangenen Daten zu lernen, um damit zum Beispiel die Kündigungswahrscheinlichkeit eines Kunden zu prognostizieren. Doch wie das Beispiel des rassistisch und sexistischen Tay-Bots von Microsoft Research anschaulich zeigte: eine KI ist nur so schlau wie die Daten, mit der sie trainiert wurde. Das zeigt auch eine Analyse der KI-Erfolge der vergangenen Jahre in Abbildung 1. Die Algorithmen gibt es teils seit Jahrzehnten, doch der Durchbruch beispielsweise in der Bilderkennung gelang erst, als die Daten für das Training verfügbar waren.
Abbildung 1: Wie lange dauert es von der Erfindung eines Algorithmus bzw. von der Erstellung eines Datensatzes bis erfolgreichen Anwendung? Quelle: https://www.kdnuggets.com/2016/05/datasets-over-algorithms.html
Richtige Daten und richtiger Algorithmus!
Was ist denn nun wichtiger? Die Daten oder der Algorithmus? Big Data oder KI? Keines von beiden. Entscheidend sind die richtigen Daten und der dazu passende Algorithmus. Wer datengetriebenes Marketing erfolgreich betreiben will, muss sich folglich drei Fragen stellen und beantworten:
1. Warum möchte ich unsere Daten analysieren?
Weil ich beispielsweise mögliche Kündigungen vorhersagen möchte, um meinen Kunden rechtzeitig ein verbessertes Angebot zu machen.
2. Wie muss ich unsere Daten dafür verarbeiten?
Indem ich ein Vorhersagemodell entwickle, welches mir nicht nur die Kündigungswahrscheinlichkeit berechnet, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde auf das Angebot positiv reagiert. Er könnte auch negativ reagieren, indem er – aufgeweckt durch mein Angebot – auf die Idee kommt, das Angebot mit denen meiner Wettbewerber zu vergleichen.
3. Was für Daten benötige ich dafür?
Dazu reichen die Vertrags- und Kundendaten aus dem CRM- und ERP-System nicht aus. Ich benötige außerdem Daten vom ausgelagerten Call-Service-Center und aus der Social-Media-Abteilung, Informationen über die Angebote der Wettbewerber, Marktdaten und viele weitere Datenquellen.
Ihr Vorhersagemodell wird umso besser sein, umso mehr Daten Sie in das Modell einfließen lassen. Das „Mehr“ bezieht sich allerdings nicht nur auf „mehr Kunden“, sondern auch auf den Zeitraum. Umso länger Sie in die Vergangenheit blicken können, umso besser wird die Vorhersage der Zukunft sein. Sie müssen sich also langfristig Gedanken machen, welche Daten Sie brauchen, damit Sie heute anfangen können, die richtigen Daten zu sammeln, um Sie morgen entsprechend verwerten zu können.
Datenwissenschaft statt Datenalchemie
Hier zeigt sich übrigens der Unterschied zwischen einem Datenalchemisten und einem Datenwissenschaftler (Data Scientist). Ein Datenalchemist fragt sich: Welche Daten habe ich, um daraus Informationen („Gold“) zu gewinnen? Ein Datenwissenschaftler überlegt sich: Welche Daten brauche ich, um die gewünschte Information zu erhalten – und wie komme ich an diese Daten?
Lukas Vermeer, Data Scientist bei Booking.com, hat den Begriff der „Data Alchemy“ auf seinem gleichnamigen Vortrag auf der Predictive Analytics World Business geprägt und ein eindrucksvolles Beispiel vorgestellt: Um herauszufinden, ob eine Hotelrezension positiv oder negativ ist, kann ich mittels Text Mining eine Sentiment-Analyse durchführen – und ich erhalte trotz hohem Aufwand in vielen Fällen kein eindeutiges Ergebnis. Oder ich kann aus einem Textfeld (siehe Abbildung 2 links) zwei Eingabefelder für positives und für negatives Feedback machen (siehe Abbildung 2 rechts) und so meine Messpunkte auf der Website derart verändern, dass ich genau die Daten erhalte, die ich brauche.
Abbildung 2: Wie Booking.com seine Datenerfassung änderte, um seine Datenqualität zu verbessern. Quelle: Lukas Vermeer auf der Predictive Analytics World (https://www.slideshare.net/PAWDeutschland/data-alchemy )
Datenstrategie vor Datenaktionismus
Erfolgreiches datengetriebenes Marketing erfordert demnach eine Datenstrategie: Sie müssen wissen, was Sie mit Ihren Daten machen wollen, damit Sie entscheiden können, welche Daten Sie sammeln sollten. Denn ohne Strategie kommen Sie überall hin – nur nicht dahin, wo Sie hinwollen.
Bestimmt kennen Sie den Satz „Daten sind das neue Öl.“. Daran ist viel Wahres – und viel Falsches. Ja, Daten treiben Unternehmen an und erhöhen Ihre Produktivität. Des Weiteren können Sie mit Daten ebenso wenig Ihre Geschäftsprozesse antreiben, wie Sie mit Öl Ihren Diesel- oder Benzinmotor betreiben können. Sie müssen Daten erst zu Informationen verfeinern, bevor sie diese verwerten können. Folglich beschäftigt sich eine Datenstrategie mit den Fragen:
1. Warum möchte ich die Daten verwerten?
2. Wie muss ich die Daten verfeinern?
3. Was für Datenquellen muss ich dafür erschließen?
Zurück zur Daten-Öl-Analogie: Jede Analogie hat ihren Bruchpunkt. Ein Barrel Öl hat stets (ungefähr) die gleiche Zusammensetzung und daher einen (nahezu) gleichbleibenden (Brenn-)Wert. Der (Informations-)Wert von einem Gigabyte Daten hängt jedoch erstens von der konkreten Zusammensetzung der Daten ab und zweitens von dem jeweiligen Verwertungsziel.
Um aus Ihren Daten Wert für Ihr Unternehmen zu schaffen, benötigen Sie folglich eine individuelle Datenstrategie. Denn sowohl Ihre Unternehmensziele als auch Ihre Unternehmensdaten sind individuell. Für die Entwicklung einer individuellen und erfolgreichen Datenstrategie helfen Ihnen jedoch weder Big-Data-Tools noch KI-Technologie. Als Werkzeug benötigen Sie allen voran: Ihren Kopf und den Ihrer Kollegen.
Im zweiten Teil des Beitrags wird erklärt, wie eine Datenstrategie entwickelt wird.