Haftung des Anwalts bei missbräuchlicher Abmahnung
Nach dem Start der Datenschutzgrundverordnung ist die allseits befürchtete Abmahnwelle zum Glück ausgeblieben. Dennoch steht das Thema Abmahnung bei vielen Unternehmen nach wie vor im Fokus – sei es, weil sie selbst von einer Abmahnung betroffen sind oder weil in den Medien immer wieder von mehr oder weniger neuen „Abmahnwellen“ berichtet wird. Oft wird moniert, eine Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich und unberechtigt. Diesem Geschäftsmodell müsse Einhalt geboten werden. In einer jüngst veröffentlichten Entscheidung wurden nun die Rechte von Abgemahnten gestärkt.
Sinn und Zweck von Abmahnungen
Grundsätzlich können Abmahnungen ein sinnvolles Ziel verfolgen: Nämlich einen Rechtsstreit zwischen zwei Parteien relativ schnell und ohne Einschaltung des Gerichts und damit kostengünstig zu erledigen. Denn mit einer Abmahnung wird der Abgemahnte nicht nur aufgefordert, eine bestimmte Handlung – zum Beispiel eine rechtswidrige Werbung – zu unterlassen, sondern auch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Gibt er eine solche ab, ist der Rechtsstreit bezüglich des Unterlassungsanspruchs erledigt. Ein Gang vor Gericht, der immer mit Risiken für beide Seiten verbunden ist, entfällt damit. Schaltet der Abmahner für die Durchsetzung seiner Rechte einen Rechtsanwalt ein, muss der Abgemahnte diese Anwaltskosten erstatten.
Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen sind unzulässig
Ist eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich, ist sie schon nach dem Gesetzeswortlaut unzulässig. Einen solchen Missbrauch sieht das Gesetz insbesondere dann, wenn Abmahnungen vorwiegend dazu dienen sollen, gegen den Abgemahnten Abmahnkosten entstehen zu lassen. Ein Indiz für einen Missbrauch kann darin liegen, dass die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Geschäftsumfang des Abgemahnten oder seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht. Ein weiteres Indiz kann ein kollusives Zusammenwirken zwischen Abmahner und seinem Anwalt sein. Ein solches Zusammenwirken kann einerseits dann vorliegen, wenn der Rechtsanwalt seinen Mandanten von Kostenrisiken freistellt und ihm keine Rechnung für seine Tätigkeit schickt, er also beispielsweise seine Vergütung nur dann erhält, wenn der Abgemahnte diese erstattet. Andererseits liegt ein Zusammenwirken aber auch dann vor, wenn der Abmahner aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation gar nicht in der Lage ist, das Kostenrisiko selbst zu tragen, etwa weil sein Unternehmen längst in wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Denn in einem solchen Fall trägt das wirtschaftliche Risiko ausschließlich der Abgemahnte, der im Zweifel auf seinen Kosten sitzen bleibt. Tatsächlich ist es in der Praxis jedoch schwierig, dem Abmahner einen Missbrauch seiner Abmahntätigkeit nachzuweisen, da oftmals die entsprechenden Informationen fehlen.
Haftung des abmahnenden Anwalts bei Schädigungsabsicht
Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 02.02.2018, Az. 5 U 110/16) verurteilte nun einen Anwalt zur Zahlung von Schadensersatz, da er für seinen Mandanten Abmahnungen verschickt hatte, obwohl diese rechtsmissbräuchlich waren. Der Kläger wurde von dem Mandanten des beklagten Rechtsanwaltes abgemahnt und verlangte Ersatz seiner Anwaltskosten, die ihm für die Verteidigung gegen die unzulässige Abmahnung entstanden waren. Das Gericht begründete die Haftung des Anwalts damit, dass dieser gegenüber dem abgemahnten Kläger eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen habe. Nach den Ausführungen des Gerichts ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.
Besondere Verwerflichkeit des anwaltlichen Handelns
Im konkreten Fall sah das Gericht die besondere Verwerflichkeit darin, dass der Anwalt eine Vielzahl von Abmahnungen im Namen seines Mandanten verschickt habe, obwohl dieser aufgrund enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten gar nicht in der Lage gewesen sei, die Abmahntätigkeit seines Anwalts zu bezahlen. Das fragwürdige Geschäftsmodell sei sogar noch fortgesetzt worden, nachdem immer wieder der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs erhoben worden war. Erschwerend kam auch hinzu, dass der Abmahner seinem Anwalt zur Sicherung seiner Forderungen diverse Sicherheiten einräumte, die damit dem Zugriff anderer Gläubiger entzogen waren.
Fazit
Ob tatsächlich eine missbräuchliche Abmahnung vorliegt ist immer eine Frage des Einzelfalls. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass praktische Schwierigkeiten bestehen, den Nachweis eines Rechtsmissbrauches zu führen. Wer sich jedoch die Mühe macht, nach vergleichbaren Abmahnungen des Abmahnwütigen sucht und diese konkret darlegen kann, dem wird es vielleicht gelingen, das Gericht von dem Missbrauch der Abmahnung zu überzeugen. Wer hier Erfolg hat, kann in einem zweiten Schritt seine Anwaltskosten als Schadensersatz geltend machen - nach der Entscheidung des Kammergerichts entweder gegenüber dem Abmahner oder gegenüber dessen Rechtsanwalt. Im Falle einer Insolvenz des Abmahners ist letzterer sicher die bessere Wahl.