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eCommerce: Anschauen statt anfassen

Visualisierung hilft bei Kaufentscheidungen - wie Onlinehändler ihre Produkte präsentieren sollten.
Franz Jordan | 13.11.2019
Anschauen statt anfassen © Pixabay / Pexels
 

Je umfassender sich Onlineshopper über Produkte informieren können, desto geringer ist die Retourenquote.  Darum sollten Händler dem Interessenten helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Neue Tools auf Basis von  Augmented Reality (AR) machen es möglich.

 

Weniger Rücksendungen bedeuten für Onlineshopbetreiber vor allem eine gesteigerte operative Effizienz. Wie erreichen sie dieses Ziel? Die Antwort scheint einfach: indem sie den Kunden keinen Grund für eine Retoure geben. Kommt es zur Rücksendung, haben sich diese meistens etwas anderes unter dem Artikel vorgestellt, als sie letztlich bekommen haben. Vermeiden können Händler dies, indem sie umfassende Informationen auf der Produktseite anbieten. Auf diese Weise profitieren Kunden von besseren Informationen und entscheiden sich bewusster.

 

Besonders in der Kategorie Kleidung fehlen den Kunden häufig Informationen für fundierte Kaufentscheidungen. Fragen wie „Steht mir der Hosenschnitt?“ oder „Wie wirken die Details?“ bleiben beim Onlinekauf bisher in der Regel ungeklärt. Ihre wirkliche Kaufentscheidung treffen Käufer vielfach erst, wenn der Artikel zu Hause angekommen ist. Das Klicken des Bestell-Buttons geht oft einher mit dem Gedanken „Wenn es nicht passt, schicke ich es zurück“. Zukünftig können Anbieter dies vermeiden, indem sie Produkte verstärkt visuell präsentieren. Gerade der Bereich Bekleidung/Schuhe verfügt diesbezüglich über viel Optimierungspotenzial. Immerhin führt er mit einer Retourenquote von über 27 Prozent die Statistiken an.

 

Formate und Informationen clever mixen

Je umfassender Händler ihre Kunden mittels relevanter Bildinhalte vor dem Kauf informieren, desto stärker können sie ihre Rücksendequote senken. Je nach Produkt sollten sie dabei die wichtigsten Details hervorheben. Bei der beispielhaft genannten Hose können das Nähte, Material oder Verschlüsse sein. Bei anderen Produkten sind eventuell Stickereien, Waschungen oder Farbspiele interessanter. Wichtig ist, zu betonen, was das Produkt einzigartig macht. Zusätzliche Orientierungspunkte gibt die Kundenkommunikation durch Retourengründe oder Produktbewertungen. So können Anbieter die Inhalte der Produktseiten gezielt auf die Bedürfnisse ihrer Kunden abstimmen und eine sinnvolle Mischung aus Zoom-Optionen, 3D-Darstellungen, Makroansichten oder Produktvideos zusammenstellen.

Darüber hinaus sind moderne Produktvideos heute stark gefragt. Sie ermöglichen es, selbst komplexe Produkte visuell informativ aufzubereiten und relevante Details in den Fokus zu rücken. Für ein qualitativ hochwertiges Ergebnis gibt es bei der Produktion einige Punkte zu beachten. Faktoren, die möglicherweise vom Produkt ablenken, gilt es konsequent zu vermeiden. Dazu gehören zu kurze Schnittsequenzen, hastige Bewegungen, häufige Perspektivenwechsel, unruhige Hintergründe oder musikalische Untermalung. Der Fokus liegt eindeutig auf den Produkteigenschaften, alles andere darf unterstützen, aber nicht ablenken.

 

Virtuelles Anprobieren überzeugt

Darüber hinaus sollten Onlinehändler auch neue Technologien wie AR gezielt einsetzen. Entsprechende Apps erleichtern den Kunden die Entscheidung beim Onlinekauf größerer Anschaffungen. Fragen wie „Passt der Sessel zu meiner Einrichtung?“ oder „Steht mir die Farbe der Jacke?“ können durch Add-ons wie Amazon AR View wieder aktiv in den Kaufprozess integriert werden. Diese Erweiterung der bestehenden App ermöglicht Nutzern ein virtuelles Probestellen von Wohnaccessoires und Möbeln aus dem Marketplace in ihren eigenen vier Wänden. Amazon verbindet auf die Weise die digitale Artikelwelt mit dem realen persönlichen Umfeld. Das Tool vereint somit das Beste aus zwei Welten: schnelles Einkaufen vom Sofa aus und ein realitätsnahes Produkterlebnis. Die Kombination kann Retourenquoten deutlich verringern. Die User profitieren vom besseren Produkterlebnis, die Anbieter von einer aktiv geförderten Kundenbindung.

Für AR View müssen Händler umfangreichere Informationen zu den Produkten bereitstellen. Die Anwendung arbeitet für einen möglichst realistischen Eindruck mit einem 3D-Modell. Kunden erstellen nach Angaben der App eine Videoaufnahme des betreffenden Areals im Raum. Anschließend erhalten sie einen Vorschlag, wo sie das Möbelstück platzieren können. Mithilfe von Zoom- und Rotationsoptionen lässt sich die Darstellung anpassen. Ob das AR-Feature bei einem Produkt verfügbar ist, erkennen die Kunden in der Ergebnisliste und können direkt auf den Button „Im Raum betrachten“ klicken. Unabhängig von aufmerksamkeitsstarken Bannern wie „Bestseller“ oder „Amazon’s Choice“ hebt diese Funktion den jeweiligen Artikel von Konkurrenzprodukten ab.

 

Realitätsnähe als Trend und Ziel

Darüber hinaus geht Amazon eventuell bald noch einen anderen Weg. Inspiriert durch den Illusionistentrick „Pepper’s Ghost“, vereint das Patent das Konzept des digitalen Stylingberaters Amazon Echo Look mit modernster AR-Technologie. Während der vermeintliche Zaubertrick durch eine geschickt beleuchtete Spiegelfläche eine Illusion erzeugt, bietet AR heutzutage ausgefeiltere Optionen.

Das System besteht grundsätzlich aus drei Komponenten: einer im Rahmen integrierten Kamera, der eigentlichen Spiegelfläche und einem dahinter positionierten Bildschirm. Die Kamera nimmt ein Bild auf und die vorausgewählte Kleidung kann virtuell anprobiert werden. Um es besonders realitätsnah zu gestalten, stehen zusätzlich verschiedene Hintergründe zur Wahl. Wie wirkt der Badeanzug am Strand oder der Smoking im Ballsaal? Der Spiegel von Amazon zeigt es. Auf diese Weise bietet er gewissermaßen eine größere Realitätsnähe als ein echter Spiegel in einer Umkleidekabine. Aktuell noch nicht verfügbar, könnte die Technologie bald den Onlinehandel mit Kleidung deutlich beeinflussen.

 

Bild: Schema von Amazons patentiertem, AR-fähigen Spiegel. Quelle: United States Patent and Trademark Office

 

Die nächsten Schritte

Eines haben alle Ansätze gemeinsam: Sie ergänzen das Onlineshopping um sinnvolle Aspekte des analogen Einkaufs. Für ein besseres Kauferlebnis und somit eine fundiertere Kaufentscheidung müssen sich Händler grundsätzlich investitions-, handlungs- und innovationsbereit zeigen. Für eine reduzierte Retourenquote sollten das digitale und reale Erscheinungsbild eines Artikels möglichst nah beieinander liegen. Welche Mittel sich dafür am besten eignen, hängt vom Einzelfall ab. Je emotionaler ein Produkt ist, desto sinnvoller scheint der Einsatz von AR-Tools. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Kleidung, Accessoires, Schmuck oder Möbel. Bei Produktkategorien wie Haushaltselektronik oder Gartengeräte vermitteln bereits Detailfotos oder Videos Informationen am effektivsten.

Schließlich spielt letztlich auch das voraussichtliche Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Investitionsentscheidung eines Onlineshopbetreibers eine wichtige Rolle. Rentabel sind kostenintensive AR-Animationen vor allem bei Artikeln mit höherer Marge. Davon unabhängig bietet die Kombination aus individueller Bildsprache, greifbaren Informationen und innovativen Technologien die Möglichkeit, sich wirkungsvoll vom Wettbewerbsumfeld abzuheben. Sind die Kunden vom Einkaufserlebnis überzeugt, erhöht es gleichzeitig die Kundenbindung und reduziert Retouren nachhaltig.