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Design Thinking: Bedürfnisse der Zielgruppe kennenlernen

Design Thinking lebt von einem interativen Vorgehen und bietet großartige Möglichkeiten, um sich in die Welt anderer Menschen einzufühlen.
Ingrid Gerstbach | 16.03.2020
Design Thinking: Bedürfnisse der Zielgruppe kennenlernen © Pixabay / meineresterampe
 

Unternehmen stehen heutzutage alle vor der Herausforderung, innovative Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die sich einerseits von der Konkurrenz abheben und andererseits eine Lösung für den Kunden bieten sollen. Wer zum Beispiel den Kundenservice ausbauen will, kann neue Technologien wie Chatbots oder Prozessautomatisierung einsetzen. Obwohl die Vorteile dieser neuen Technologie sicherlich groß sind, bedeutet das aber noch lange nicht, dass mit dieser Entwicklung das eigentliche Ziel – die Verbesserung der Dienstleistungen für die Kunden – auch tatsächlich erreicht werden kann.

Das eigentliche Problem liegt darin, dass viele Unternehmen aus einer Art Elfenbeinturm agieren. Die Entscheidungsträger und Führungskräfte treiben ihre Ideen voran, ohne die Meinung von Mitarbeitern und Stakeholdern einzuholen. Aber noch viel schlimmer ist, dass sie versäumen, die wichtigsten Personen miteinzubeziehen: die Kunden. Eine Untersuchung von McKinsey zeigt, dass mehr als 40 Prozent der Unternehmen bei der Entwicklung neuer Ideen oder Produkte nicht ein einziges Mal mit dem Endbenutzer sprechen [1]. Wenn Unternehmen aber nicht mit ihrem Kunden sprechen, wie sollen sie ihn dann wirklich unterstützen?

Zwar verfügen viele Unternehmen über Tools und Prozesse, mit denen sie ihre Zielkunden definieren. Diese Tools haben oft klingende Namen wie „Zielgruppe“ oder „Marketing-Persona“. Das Problem an solchen Methoden ist, dass sie eine Verschmelzung von Demografie und Psychografie sind und dadurch eine breite Masse an Menschen charakterisieren. Dadurch gehen diese Techniken nicht in die Tiefe. Sie können so zwar eine Aussage auf den Ergebnissen treffen, aber diese sind dann sehr schwammig. Ein Beispiel einer solch typischen Aussage lautet: „Wir sprechen Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren an, die mit mindestens einem Kind zusammenleben und die bereit sind, für unsere Leistungen den gewünschten Betrag zu zahlen.“

Natürlich. Solche Aussagen erfüllen ihren Zweck. Schließlich geben sie Auskunft darüber, wer genau angesprochen werden soll. Nur inspirieren solche Aussagen niemanden geschweige denn unterstützen nicht dabei, dass jemand sich in die Zielperson einfühlen kann. Aber genau diese Inspiration braucht es, um Ideen zu entwickeln, die das Problem oder das Bedürfnis tatsächlich lösen. Dafür braucht man aber eine Beschreibung des Charakters, dessen Verhalten, Wünsche, Hoffnungen, Probleme und unerfüllte Bedürfnisse man genau kennt. Zum Glück gibt es Ansätze, mit deren Hilfe Technologien, Prozesse oder Ideen so umgesetzt werden können, dass der Kunde im Mittelpunkt steht. Hier kommt Design Thinking ins Spiel.

Der Design-Thinking-Prozess

Design Thinking ist keine neue Methode, sondern wurde bereits in den 1980er-Jahren in Amerika entwickelt. Der Design-Thinking-Prozess ist eine Technik des kreativen Handelns. Dabei werden die Menschen angeregt, im Team gemeinsam an der Entwicklung einer Lösung zu arbeiten, in deren Mittelpunkt der Nutzer beziehungsweise Kunde steht. Anstatt nur eine einzige Ansicht oder Meinung zu vertreten, wird auf die Erfahrung der unterschiedlichen Disziplinen gesetzt. Im gesamten Prozess geht es aber immer um die Frage, was getan werden muss, um die Bedürfnisse, Fragen und Herausforderungen des Kunden wirklich zu verstehen und vor allem um funktionierende Lösungen zu finden.

In meiner Praxis verwende ich vier verschiedene Schritte, die bei der Implementierung einer neuen Strategie oder der Entwicklung einer Idee durchlaufen werden:

1. Einfühlen:
Gemeinsam im Team werden in dieser Phase so viele Informationen wie möglich über die Personen gesammelt, deren Problem man lösen möchte. Diese Informationen bekommt man, indem man dorthin geht, wo der Kunde sich befindet und ihn beobachtet beziehungsweise mit ihm spricht, um ein tieferes Verständnis für dessen Herausforderung zu entwickeln.


2. Definieren:
Nachdem nun viele neue Erkenntnisse und Informationen vorliegen, werden diese aussortiert und analysiert. In diesem Schritt geht es nun darum, das Problem aufgrund der neuen Informationen klar zu skizzieren. Im Zuge dessen definiert das Team nochmals, was die eigentliche Aufgabenstellung ausmacht und was erreicht werden soll.

3. Ideen generieren:
Die Fragestellung, die im vorherigen Schritt entwickelt wurde, ist nun die Basis für das Finden einer oder mehrerer funktionierenden Lösungen. Dazu werden weitere Personen aus dem gesamten Unternehmen, aus anderen Branchen oder auch potenzielle Kunden eingeladen, auch ihre Ideen und Gedanken einzubringen. Dadurch werden noch weitere Ansichten aus verschiedenen Disziplinen miteinbezogen und an verschiedene Eventualitäten gedacht, die sonst vielleicht untergegangen wären.

4. Experimentieren:
Die besten Lösungen, die beim Generieren der Ideen entwickelt wurden, sind nichts wert, wenn diese nicht auf ihre Umsetzbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Praxistauglichkeit geprüft werden können. Damit das gelingt, wird ein reales Beispiel für die Lösung erstellt, um diese dann direkt mit der Zielgruppe auszuprobieren und Feedback zu sammeln. Dieses Feedback fließt danach wiederum in den Prototyp, um ihn zu optimieren.

Der Design-Thinking-Prozess lebt von einem interativen Vorgehen: Keiner der einzelnen Schritte muss sofort abgeschlossen werden. Vielmehr tauchen immer wieder neue Ansätze auf, die es einzubinden gilt. Das kann dazu führen, dass das Team auch mal einen Schritt zurückspringt. Selbst die Lösungen entwickeln sich erst im Laufe der Zeit. Die besten Lösungen entstehen nämlich erst dann, wenn man den Kunden beziehungsweise den Nutzer wirklich versteht. Deswegen steht diese Person auch die ganze Zeit im Mittelpunkt des Prozesses. Auf dieser Weise kann man sicherstellen, dass die Lösung funktioniert – noch bevor sie auf den Markt gebracht wird. Das klingt logisch und ist auch einfach in der Umsetzung. Und trotzdem übersehen viele Unternehmen diesen entscheidenden Schritt. Dabei ist es genau dieser Ansatz – den Kunden und seine Bedürfnisse wirklich zu verstehen – der diese Methode so effektiv macht.

Literatur
[1] Sheppard, B., Sarrazin, H., Kouyoumjian, G., Dore, F. (2018): The business value of design. McKinsey Report: https://www.mckinsey.com/business-functions/mckinsey-design/our-insights/the-business-value-of-design