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Künstliche Intelligenz als Frühindikator

Konsumenten werden anspruchsvoller und erwarten immer bessere Angebote der Marken. Ein Interview mit der Berliner Marketing-Professorin Claudia Bünte.
marketing-BÖRSE | 29.04.2020
© marketing-BÖRSE
 

Das Interview führte Yannik Sulzbacher, marketing-BÖRSE

 

Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend im Marketing. In diesem Bereich hat sich die Berliner Marketing-Professorin Claudia Bünte in den letzten drei Jahren als Expertin profiliert. So hat sie zusammen mit der Firma Analyx, Berlin, einen KI-Typomaten zur Abfrage der Akzeptanz von KI im Marketing entwickelt. Ebenso veröffentlichte sie im Rahmen ihrer Professur an der SRH Berlin University of Applied Science zwei Studien, wie die Zukunft des Marketings durch den Einsatz von KI gestaltet wird. Bünte ist Keynote-Speakerin auf zahlreichen Kongressen und trainiert CMOs und ihre Teams in allen Fragen rund um KI im Marketing. Im März wurde sie zum Vize-Marketingkopf 2020 gewählt.

Im Interview erklärt Prof. Dr. Claudia Bünte, welche Vor- und Nachteile Künstliche Intelligenz im Marketing heute hat und welche Chancen KI bietet.

 

Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht weitergeht wie zuvor. Hat die momentane Krise einen Einfluss auf den Einsatz von KI?

Ja, das hat sie.

Ihr Einsatz wird im Westen deutlich steigen UND von der Gesellschaft weitaus positiver gesehen werden als bisher – in Asien hat KI sowieso kein Akzeptanzproblem: Die jetzt viel diskutierte Corona-Bewegungs-App für Smartphones in Europa wird aller Voraussicht nach eingeführt werden und viele werden sie sich freiwillig herunterladen. Die Datenspende-App-Ladezahlen des RKI zeigen heute schon, dass Menschen bereit sind, persönliche Daten für einen guten Zweck zu teilen. Diese Apps arbeiten mit Künstlicher Intelligenz, um aus den Daten Muster zu erkennen, zu lernen und immer bessere Empfehlungen auszusprechen.

Parallel forschen viele Firmen und wissenschaftliche Institute weltweit an Medikamenten und Impfstoffen gegen das Corona-Virus, und lassen sich von KI unterstützen. Und zwei KI-Algorithmen, eine im Westen und eine in China, haben früher als Experten erkannt, dass es in Krankenhäusern in Wuhan zu ungewöhnlich vielen Lungenkrankheiten kommt – sie hätten also als Frühindikator genutzt werden können.

Menschen kommen also freiwillig mit KI in Kontakt, KI wird helfen, wirksam gegen das Virus vorzugehen und die Bedenken gegen KI als „das generell Böse“ werden dadurch zurückgehen.

 

 

Für welche Aufgaben wurde KI bisher im Marketing genutzt?

Wenn wir uns den Westen anschauen, wird KI überall dort erfolgreich eingesetzt, wo viele Daten vorliegen und eine Marke schnell und vor allem richtig gut mit Kund*innen interagieren muss. Von den fünf klassischen Aufgaben Consumer Insights, Strategie, Produkt/Service, Werbung/Sales und Performance Management gibt es deshalb die meisten KI-Best-Practice-Tools im Bereich Consumer Insights und Werbung/Vertrieb. Market Logic unterstützt beispielsweise große FMCGs darin, aus ihren Unmengen an Daten sinnvolle Insights zu generieren, Neuroflash hilft beim zielgruppengerichteten Texten von Websites, Claims und Schlagzeilen, Retresco bietet „Robotertexte“ für immer wiederkehrende Texte wie Wetter oder Fußballergebnisse, aiaibot erlaubt es Marken, Chatbots als Software-as-a-service zu texten, ohne selber coden zu können. Das sind nur ein paar Beispiele, die mein Team und ich an der Hochschule analysiert und deren Impact mit Klienten verifiziert haben. Weniger Best-Practice-KI-Tools gibt es im Bereich Produkt/Service und Performance Management, also Marketing-ROI. Hier sind aktuell die konservativen Tools immer noch gut und je nach Marke und Zielgruppe auch ausreichend. Keine Tools haben wir bisher gefunden, die vollumfänglich die menschlich entwickelte Marken- und Marketingstrategie ersetzen könnte. Hier müssen wir noch selber „ran“.

Übrigens sieht das Bild in Asien ganz anders aus. Aus verschiedenen Gründen ist hier der Einsatz von KI im Marketing viel weiter fortgeschritten. Ein Blick nach China lohnt sich also.

 

 

KI bietet großes Potenzial für das Marketing, warum läuft die Umsetzung trotzdem so schleppend?

Dazu haben wir Marketingmanager*innen befragt. 81 % in DACH sagen, KI sei im Marketing wichtig, 92 % sagen, dass es in Zukunft noch wichtiger werden wird. Aber nur 7 (!) % nutzen KI bereits täglich in ihrem Job. Da ist also eine große Diskrepanz. Übrigens sind 52 % der Teilnehmer an der Studie Führungskräfte im Marketing, also die, die über Einsatz und Budget für KI entscheiden.

Die Hauptgründe für diese Diskrepanz liegen unsere Studie zufolge unter anderem darin, dass man nicht recht weiß, wie man mit KI anfangen soll, dass die KI-Tools, die genutzt werden, häufig noch in der Pilotphase stecken und vor allem, weil nicht jeder in der Marketingabteilung ein großer Freund von KI ist; 16 % der Befragten sind sogenannte KI-Skeptics; diese Manager*innen glauben, dass KI ihre Arbeitsplätze bedroht, nicht gut für das Unternehmen sei, gar nicht wirken usw. Wenn also eine Marketingabteilung zu viele KI-Skeptiker hat und der Chef/die Chefin entscheidet, KI zu pilotieren, muss das nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte werden.

Damit man weiß, ob das eigene Team schon „KI-ready“ ist, haben wir auf Basis unserer Studie einen „KI-Typomat“ entwickelt. Mit sechs kurzen Antworten erfährt man in rund zwei Minuten anonym und kostenlos, was für ein KI-Managertyp man ist. Auch für ganze Abteilungen funktioniert das Tool: https://kaiserscholle.de/de/ki-typomat/

In der schleppenden Umsetzung ist das Marketing übrigens nicht außergewöhnlich; McKinsey & Company kommt in einer aktuellen weltweiten Studie ebenfalls zu dem Schluss, dass in vielen Unternehmen die KI-Implementierung in der Pilotphase stecken bleibt.

 

 


Wo stößt KI an ihre Grenzen?

Es gibt zwei Grenzen: KI braucht Daten, um zu lernen und besser zu werden. Ohne Daten geht es nicht. Das ist aktuell auch der Grund, warum es noch keine sinnvollen KI-Tools zur Strategieentwicklung gibt, denn dafür müssten Millionen Unternehmen ihre zukünftige Strategie veröffentlichen – und das tut natürlich kein Unternehmen freiwillig.

Und als Gesellschaft müssen wir uns genau überlegen, bei welchen Aufgaben uns KI helfen soll, und bei welchen nicht. KI für sich genommen ist erst einmal nur ein Hilfsmittel, so wie zum Beispiel ein Hammer. Man kann ihn als Werkzeug sehen und damit ein Haus bauen oder als Waffe und sich damit verteidigen. So ähnlich ist es auch mit KI. Man kann sie für gute und weniger gute Dinge einsetzen. Wie sollten wir als Gesellschaft bestimmen. Und dabei sollten wir schnell sein, denn KI lernt und wächst exponentiell, also schneller als wir das gegebenenfalls vermuten.

 

Viele Menschen im Marketing fürchten, durch die Automatisierung oder den Einsatz von KI ihren Job zu verlieren. Sind diese Sorgen gerechtfertigt oder werden neue Technologien eher unterstützend eingesetzt werden?

Beides ist richtig. Verschiedene globale Studien gehen davon aus, dass in Summe über alle Industriezweige hinweg die Arbeit für Menschen INSGESAMT kaum weniger wird, aber sich umschichten wird.

Auch im Marketing wird es nur wenige Jobs geben, die gänzlich wegfallen, weil KI sie besser kann. Übersetzungsaufgaben würden in diese Kategorie fallen. Für die meisten wird sich KI eher so entwickeln, dass „nur“ Teilaufgaben wegfallen, zum Beispiel das Bildersuchen bei Grafiker*innen. Da sind auch Aufgaben dabei, zu denen man nicht wirklich Lust hat. 72 % der Befragten unserer Studie sagen beispielsweise, dass die KI ihnen helfen wird, „lästige Routineaufgaben“ abzugeben. Das klingt doch gut. Und wie immer, wenn es neue Technologien gibt, entstehen auch neue Aufgaben für Menschen.

Man sieht das heute schon in China, wo KI unter anderem im Marketing bereits breit eingesetzt wird. Das Ergebnis ist, dass Konsument*innen anspruchsvoller werden und immer besser und individuellere Angebote der Marken erwarten. Wer da nicht mithält, verliert Kunden. Für die Marketingabteilung heißt das, immer mehr und immer schneller relevanten Content zu generieren, um die Marke interessant und aktuell zu halten.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Kostenloser Download-Link zur Studie „KI – die Zukunft des Marketings: https://kaiserscholle.de/de/kuenstliche-intelligenz/

 

Kostenloser Download-Link zum KI-Typomat: https://kaiserscholle.de/de/ki-typomat/