TikTok: Mit subtilen Werbebotschaften zum Erfolg
Das Interview führte Yannik Sulzbacher, marketing-BÖRSE
TikTok ist ohne Frage die Social Media-Plattform der Stunde. Schon seit längerem wächst die Popularität der chinesischen App mit ihren kurzweiligen Videos. Auch einige Skandale in der Vergangenheit tun der Beliebtheit der App keinen Abbruch, so wurde die App allein im ersten Quartal 2020 über 315 Millionen Mal runtergeladen und hat mit In-App-Verkäufen im April mehr Einnahmen erzielt als Netflix, YouTube und Tinder mit ihren Abo-Modellen.
Der Hype um TikTok entgeht natürlich auch nicht den Unternehmen und viele fragen sich, wie sie die App in ihre Werbemaßnahmen mit einbinden können. Schließlich bietet keine andere Plattform einen besseren Zugang zur Generation Z. Dass dabei aber längst nicht jede Form von Werbung auf TikTok funktioniert und wo die Besonderheiten der App liegen erklären Adil Sbai und Johannes Ruisinger, Geschäftsführer und Gründer der OnlinePunks GmbH, die das Influencer Marketing von Unternehmen und Agenturen mit ihrer selbst entwickelten Suchmaschine influData (by OnlinePunks) unterstützt im Interview.
Neben einem vor kurzem veröffentlichten, umfassenden Daten-Report zu TikTok, haben der TikTok-Experte und Data Scientist mit der Influencer Suchmaschine influData (by OnlinePunk) auf sich aufmerksam gemacht. Mit influData ist es möglich, neben TikTok auch Instagram nach Influencern zu durchsuchen, die dann einer ausführlichen Qualitäts- und Audience-Analyse unterzogen werden können.
TikTok hat vor kurzem die 2 Milliarden Downloads geknackt und gewinnt weiter rasant an Popularität. Was macht TikTok gerade jetzt in Zeiten von Corona zum beliebten Zeitvertreib?
Adil: Es ist klar, dass die Leute jetzt mehr zuhause sind, und es ist auch messbar, dass die Leute mehr Zeit verbringen mit Social Media. Viele Influencer haben einen temporären Einbruch von Aufträgen. Es gibt weder Events noch Messen. Das heißt sie haben mehr Zeit, sich auf neue Dinge zu fokussieren. TikTok befindet sich jetzt schon seit neun Monaten auf ungebrochenem Wachstumskurs. Viele Influencer aus meinem Umfeld, die sich früher gesträubt und gesagt haben „Wie soll ich das neben all den anderen Sachen auch noch machen?“ haben jetzt einen Account eröffnet. Dazu gibt es diverse Erfolgsgeschichten und viele durch Instagram bekannte Influencer sind jetzt auch auf der Plattform aktiv, wie beispielsweise Pamela Reif oder Caro Daur. Es gibt zahlreiche Schauspieler und Fußballer, die die App nutzen und auch Lisa und Lena sind zurück.
TikTok wird oft mit Instagram verglichen. Wo sind die großen Unterschiede zwischen den Apps und kann die Popularität von TikTok Instagram gefährlich werden?
Adil: Das Wachstum von TikTok im letzten Quartal war das höchste, dass eine Social Media-Plattform jemals hatte. Auch in unserem Report zeigt sich dieses Wachstum. Es gibt momentan 20.800 Accounts in Deutschland, die mehr als 5.000 Follower haben. Vor zwei Wochen waren es noch 17.800. Meine Vermutung ist, dass sich TikTok langfristig etablieren und Instagram das Leben schwer machen wird. Denn die Gen Z fängt nicht mehr mit Instagram an, sondern mit Snapchat und TikTok.
Johannes: Das Besondere an TikTok ist, dir zeigt der Algorithmus Inhalte von dir nicht bekannten Creatorn an, die interessant für dich sind. Ich bin beispielsweise interessiert an Flugzeugen und bekomme deshalb in meinem Feed sehr viele Piloten und Flugzeugvideos angezeigt. Auf TikTok folgt man weniger seinen Freunden oder Bekannten, sondern eher Influencern oder Creatorn.
Aus dem Datenreport von influData geht hervor, dass es deutsche TikToker gibt, die mit ihren Videos schon über eine Milliarde Plays gesammelt haben. Warum zögern trotzdem noch viele Unternehmen auf TikTok aktiv zu werden? Wo seht ihr da die Gründe?
Adil: Zum einen kann man nicht von der Hand weisen, dass es nach wie vor einige Kritik an TikTok gibt z.B. was Datenschutz angeht. Einige Medien sprachen waren TikTok gar “Zensur” vor, als kontroverse Inhalte von der Plattform entfernt wurden, z.B. zu politischen Themen wie der Diskriminierung der Uiguren, den Protesten in Hongkong, Menschen mit Behinderung, Homosexualität. Zwar hat sich TikTok später dafür entschuldigt und die Videos auch wieder online gestellt. Dennoch bleibt bei vielen eine gewisse Skepsis haften. Hinzu kommen noch Vorwürfe der fehlenden Messbarkeit. Bis vor wenigen Wochen gab es nicht die Möglichkeit, auf TikTok einen Link zu platzieren. Dadurch konnte man nicht messen, wie viel des Traffics durch TikTok tatsächlich kam. Mittlerweile ist dies möglich, und es gibt interessante Case-Studies, wie beispielsweise Cookie Bros., die zeigen, welchen Einfluss TikTok auf den Umsatz hat. Das nimmt vielen Unternehmen die Ressentiments und sie erkennen das ökonomische Potenzial, das in TikTok steckt.
Johannes: Ich würde noch hinzufügen, dass Unternehmen sich auf TikTok anders präsentieren müssen als auf Instagram. Auf Instagram folgen Leute einem Unternehmen, weil sie sich für die Produkte interessieren, das würde auf TikTok überhaupt nicht funktionieren. Es ist eine Herausforderung für Unternehmen, Content herzustellen, der sehr individuell auf die Zielgruppe zugeschnitten ist und trotzdem viral geht. Marken müssen sich ein Stück weit zurücknehmen und von aufwändigen Guidelines und Briefings Abstand nehmen, Authentizität und “Debranding” spielen für die Gen Z und damit auf TikTok eine große Rolle.
Auf Instagram ist eine Werbekampagne gut planbar, weil man gut einschätzen kann, wie viele Leute man erreicht. Auf TikTok spielt Viralität eine große Rolle, warum sollten Unternehmen dieses Risiko eingehen?
Johannes: Wir haben gemerkt, dass es Creator gibt, die ein paar virale Videos haben, aber die meisten bleiben unter 1.000 Views. Um dem entgegenzuwirken, haben wir bei InfluData Indikatoren eingebaut, die zeigen ob dieser User ein One-Hit-Wonder ist. Dieser User sieht zwar auf den ersten Blick vielversprechend aus, weil er durch seine wenigen viralen Posts viele Follower bekommen hat. Wenn man aber den Median der Views mit einbezieht, erkennt man, dass die meisten Videos durchschnittlich nur sehr wenig geschaut werden und das wollen Unternehmen natürlich vermeiden.
Adil: Es gibt auch Creator mit konstant gutem Content, wie z. B. HerrAnwalt, bei denen die Volatilität nicht so groß ist. Trotzdem ist die Volatilität bei TikTok deutlich größer als bei Instagram. Marketer und Agenturen benutzen bei ihrer Kalkulation oft den TKP-Wert (Tausenderkontaktpreis) und verhandeln von diesem Standpunkt aus. Dies ist auf TikTok natürlich herausfordernder, weil man schwieriger vorhersehen kann, was passiert. Deshalb zeigen wir in unserer App den Median, der anzeigt, bei welchem Wert 50 Prozent der Videos besser und 50 Prozent schlechter ausgespielt werden. Das hilft bei der Kalkulation und damit Verhandlung. Wenn eine Kampagne aber über den erwartbaren Wert kommt, dann ist TikTok sehr schnell, sehr profitabel und das wird mit der richtigen – konkret heißt das meist: kreativen! - Ansprache oft erreicht.
TikTok zeichnet sich durch aufwendigen Content aus. Der Datenreport von influData zeigt, dass Congstar mit #probiertwasgeht und EA für Sims 4 mit #playwithlife sehr erfolgreiche Kampagnen auf TikTok gefahren sind. Was zeichnet deren Erfolg aus?
Adil: Congstar hat zwei Kampagnen gemacht, das ist vielleicht spannend zum Vergleich. Die erste war #dancefordata, die bereits beeindruckende 200 Millionen Views generiert hat. Bei #probiertwasgeht hat der deutsche Name verhindert, dass internationale User den Hashtag ohne Bezug zur Brand verwenden. Und es hat sich gezeigt, dass die Kampagne trotz bzw. wegen des deutschen Namens noch erfolgreicher war. Je mehr Videos es da gibt, die überhaupt nichts mit der Challenge zu tun haben und nur den Hashtag verwenden, desto schneller verliert eine Kampagne an Reiz mitzumachen, hier hat Congstar also aus der ersten Kampagne die richtigen Schlüsse gezogen. Die Kosten von mit TikTok gemeinsam umgesetzten Hashtag-Challenges beginnen übrigens im unteren sechsstelligen Bereich. Das beinhaltetet dann den Preis für das Placement auf Tiktoks Plattform, die Honorare der teilnehmenden Creator sowie die Musik-Lizenzen für das Musikstück.
Auf TikTok ist es wichtig, dass sich eine Brand zurücknimmt. Eine “Congstar-Challenge” würde nicht funktionieren. Das ist eine weitere Gratwanderung. Einerseits muss man die Kampagne mit der Brand verbinden und die Zielgruppe muss angesprochen werden, aber es darf auch nicht zu nah an der Brand sein und muss gleichzeitig zum Mitmachen einladen. Die zweite Herausforderung bei Hashtag-Challenges ist, dass die Challenge nicht zu kompliziert sein darf. Das einfachste ist eine Dance-Challenge, die leicht nachgetanzt werden kann. Aber dafür schränken sie kreativ ein und sind eher monoton. Meiner Meinung nach liegt die Zukunft bei Kampagnen, die auf eine Metaebene gehen und Creatorn viel Freiraum lassen, sodass sie die Challenge auf ihre Weise interpretieren können. Otto mit #machdichzumotto und Ahoi-Brause mit #pulverdichauf haben genau das versucht und die verschiedenen Creator nach ihrem Talent eingesetzt oder ihnen einfach mehr Freiraum geboten. Das ist wichtig, weil nicht jeder Creator tanzt und wenn ein Creator, der für etwas anderes bekannt ist, plötzlich bei einer Dance-Challenge teilnimmt, dann ist das nicht authentisch.
Was heißt es denn konkret, nicht zu nah an der Brand zu sein aber auch nicht zu weit weg?
Adil: Bei Instagram ist es ja so, jemand hält etwas in die Kamera und kann sagen „das ist das tollste Shampoo und ich habe nie wieder Schuppen“ und gibt einfach nur Produktinformationen. Aber es funktioniert, weil es eine emotionale Bindung zwischen dem Influencer und seiner Community gibt. Auf TikTok würde so etwas nicht funktionieren. Gerade die Gen Z will nicht von Werbung bespielt werden und ist sehr werbesensibel. Deshalb ist native Werbung, die zum Creator passt, so wichtig. Die Produktvorteile stehen bei TikTok im Hintergrund oder werden meistens gar nicht erst genannt. Es geht mehr um Themen wie Corporate Influencer, Employer Branding und das proaktive Einsetzen von Mitarbeitern. Es ist wichtig, dass die Unternehmen merken, dass sie sich nicht in den Vordergrund stellen sollten, sondern dass sie ihre Werbebotschaften subtiler platzieren oder in tiefere und emotionale Messages verpacken, also eher auf einer Metaebene argumentieren und kommunizieren.
Wir hatten jetzt die Hashtag-Challenges als erfolgreiche Werbeform auf TikTok und Product-Placements als weniger erfolgreiche, gibt es noch weitere Möglichkeiten auf TikTok zu werben?
Adil: Ja, ein gutes Beispiel ist Cookie Bros., die weder eine Hashtag-Challenge gemacht noch mit reichweitenstarken Influencern zusammengearbeitet haben und trotzdem durch originellen Content von Micro-Influencern und Mitarbeitern 70.000 Follower auf TikTok und 35.000 auf Instagram gesammelt haben. Cookie Bros. haben im Januar und Februar ihre Umsätze von 2019 getoppt und das fast ohne Werbebudget. Mark Mühürcüoglu, der CMO von Cookie Bros., vermutet, dass diese Umsatzsteigerung auf den Erfolg bei TikTok und Instagram zurückzuführen ist. Den haben sie geschafft durch Mut zu neuen Wegen in der Kommunikation, der der Türöffner ist für kreativen Content. Es gibt auch die Möglichkeit, auf TikTok Werbung zu schalten, allerdings ist das etwas schwieriger, weil man die Kampagnen noch nicht so gut steuern kann, wie beispielsweise bei Facebook. Ahoj-Brause hat aber auch hier gezeigt, dass es geht und eine kreative Werbung mit Friedrich Liechtenstein geschaltet, die sehr gut ankam.
Wohin könnte sich TikTok in den nächsten Jahren noch hin entwickeln?
Adil: Ein weiterer wichtiger Aspekt von TikTok ist die Regionalität. Bei TikTok wird der Content stark regional ausgespielt. Bei dem chinesischen Original Douyin gibt es zum Beispiel überhaupt keinen Feed mehr, nur noch die Startseite und „In-meiner-Nähe“. Das wäre eine Möglichkeit, wohin sich die App auch in Europa entwickeln könnte. Auch das native Shoppen ist bei Douyin schon auf einem ganz anderen Level als bei Instagram. Du siehst beispielsweise ein witziges Video mit einem Möbelstück und kannst es direkt in der App bestellen - mit nur zwei Klicks!
Vielen Dank für das Interview.