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Retargeting, aber richtig

Die Gründe für einen Nichtkauf können vielfältig sein. Alle Display-Plattformen bieten Retargeting an, doch den meisten fehlt es an Kreativität.
Frank Puscher | 07.07.2020
Retargeting, aber richtig © freepik / user5738668
 

Die einfachste Methode, um Streuverluste zu reduzieren, ist Menschen mit Onlinewerbung anzusprechen, die die eigene Website oder den Onlineshop schon kennen. Alle Display-Plattformen bieten Retargeting an, aber den meisten Marketern fehlt es an Kreativität.

 

Fragen Sie mal in der Fußgängerzone nach Online-Marketing. Jeder zweite Passant wird eine negative Meinung darüber haben, weil ihm vor allem die aufdringlichsten und unsinnigsten Werbemittel einfallen. Und die Gattung Retargeting ist da ganz vorne mit dabei. Schuld daran ist selten die Technik, meistens aber der Marketer, der es an konstruktiver Planung und kreativer Umsetzung vermissen lässt.

 

Retargeting ist so einfach umzusetzen, dass viele die Formate als „gegeben“ hinnehmen. Die Onlinehändler haben es besonders einfach: Sie nehmen einfach ein Produkt aus dem Warenkorb oder eines, dass der Nutzer angesehen hat, und reiben es ihm immer und immer wieder unter die Nase.

 

Stellen Sie sich vor, ein Verkäufer in einem Supermarkt würde das tun. Sie haben sich nur die Inhaltsstoffe oder Kalorien eines Müsliriegels durchgelesen, und sich dann aus Gründen der Bikinifigur dagegen entschieden. Und ab diesem Zeitpunkt läuft der Verkäufer permanent neben ihnen her. „Du hast Dir das Produkt eben angesehen“. „Ist er nicht toll, der Müsliriegel“. „Ich gebe Dir 10 Prozent, wenn Du ihn nimmst“. „Oh, da ist etwas schiefgelaufen. Du hast den Müsliriegel versehentlich nicht in Deinen Einkaufskorb getan“.

 

Sie verlassen panikartig den Supermarkt, aber das hält den freundlichen Verkäufer nicht auf. Er folgt ihnen durch die Fußgängerzone. Er grinst sie vom Bildschirm in der U-Bahn an. Und drei Tage später finden Sie einen Flyer am Scheibenwischer ihres Autos: „Zeit für einen Müsliriegel“.

 

Retargeting kann viel mehr

Criteo steht wie kein anderes Unternehmen für Retargeting. Die Franzosen haben tausendfach bewiesen, dass die wiederholte Kontaktaufnahme mit Interessenten funktioniert. Und doch leidet Kreativchef Fabrice Destagnol unter dieser Marktwahrnehmung. „Seit ich vor 12 Jahren zu Criteo gekommen bin, arbeite ich an der Verbesserung der Qualität der Banner, aber wir werden immer noch mit den banalen Produkt-Preis-Anzeigen in Verbindung gebracht“.

 

Criteo goes Branding. Wer im Template-Arsenal der Pariser stöbert, findet inzwischen zig Beispiele für Werbebanner, die viel eher für Branding als für Abverkauf geeignet sind. Kann Retargeting Branding? Natürlich, denn der Erstkontakt ging vom Nutzer aus. Es gibt also etwas, was ihn interessiert. Und wenn man seine Retargeting-Strategie verfeinert, kann man das Format nicht nur für den Abverkauf, sondern auch für den Markenaufbau, die erweiterte Awareness-Phase oder die Kundenbindung nutzen.

 

1. Die Customer Journey verstehen

Die Gründe für einen Nichtkauf sind vielfältig. In der Regel kennen Retargeting-Banner aber nur eine einzige Mechanik, um das zu bekämpfen, nämlich die Preissenkung. Was aber, wenn der Kunde noch gar nicht kaufbereit ist, weil ihm Wissen fehlt? Das Kosmetik-Unternehmen Perricone hat sechs Varianten des Retargeting-Triggers definiert: Rabatt, Zusatzservice, Alternativprodukt, einzelne Produkteigenschaft, Branding oder einfach ein anderes Design in der Anzeige. Die sechs Formate werden sequentiell ausgespielt, wenn die entsprechenden Daten vorliegen. Oder man setzt damit einen Multivariat-Test auf und tastet sich an die Zielgruppe heran. Oder man variiert ganz automatisch: In der ersten Woche sehen die User die erste Variante, in der zweiten Woche nach Seitenbesuch die zweite.

 

Loyalty-Retargeting zum vierten Geburtstag als Kunde von American Express (Quelle: Screenshot / Facebook)

 

2. Die Marke ist bekannt

Sie wissen natürlich wer Hubspot ist. Zu Hubspot auf die Website kommt man, weil man ein neues CRM-System will, eine Frage zum bestehenden CRM hat oder sich für die Idee Inbound-Marketing interessiert. Dieses Wissen kann sich das Retargeting-Banner zunutze machen. Es setzt darauf auf. Zum Beispiel adressiert Hupspot konkrete Painpoints, die der Kunde beim Thema CRM hat, etwa die potentielle Zeitersparnis.

 

Nur in ganz seltenen Fällen bewerben Banner die Marke generisch. Der schwäbische Druckdienstleister bewirbt den bereits konvertierten Kunden mit der Generik: „Sie sparen, Wir machen Druck bei Produktion und Auslieferung“. Das ist vergeudetes Inventar.

 

Der ansonsten im Digitalen hervorragend aufgestellte Musikhändler Thomann verpasst diesen Punkt. Obwohl mich fast ausschließlich Produkte im Umfeld Podcasting und Mikrofone interessieren, verfolgt mich das generische Banner: „Wir mit der riesigen Auswahl“. 

 

Ein TÜV-Siegel im Einsatz bei Check24, zusammen mit einem Sonderangebot (Quelle: Screenshot)

 

 

3. Neuromarketing

Es ist immer wieder überraschend, dass ein und dasselbe Unternehmen in den CRM-Maßnahmen wie E-Mails mit Neurotriggern arbeitet, dies aber bei der Bannerwerbung vermissen lässt. Natürlich hat das Banner nicht die gleichen Daten, wie ein CRM-System, aber es gibt nun mal Neurotrigger, die bei vielen Nutzern funktionieren. Im Zweifel baut man einfach ein Set von sechs Retargeting-Bannern, die zum Beispiel auf den Cialdini-Prinzipien aufbauen:

1. Knappheit: Countdown, begrenzte Stückzahl

2. Autorität: Von Stiftung Warentest getestet

3. Social: Proof: Das ist Janine. Seit sie Schauma benutzt …

4. Sympathie: 5 Tipps gegen Babyschnupfen (Tempo)

5. Konsistenz: Es wird Zeit für die umweltbewusste Entscheidung (E-Bike-Anbieter)

6. Gegenseitigkeit: Fast jede Form von Content-Marketing

 

 

Neuromarketing bei Jaspers: Das Rezept als Dankeschön (Gegenseitigkeit) für den Kauf ( Quelle: Screenshot Facebook)

 

 

4. Retargeting als alternativer Zugang

Die Tatsache, dass die User beim ersten Besuch nicht konvertiert haben, kann freilich auch damit zu tun haben, dass die ursprüngliche Produktseite keinen besonders guten Job macht. Bei der Leadgenerierung B2B kann zum Beispiel sein, dass zu viele Daten vom User abgefragt werden. Ein spannender Test wäre zu sehen, ob sich das ändert, wenn man die Seite „leichter“ macht. Und genau das kann man im Retargeting-Banner beschreiben.

 

Ein spannendes Beispiel zeigen die beiden SEO-Dienstleister Fuseon und Onepage.io. Beide bewerben das Erstellen von  Landing Pages. Während Onepage eher klassisch die Instagram-Anzeige textet, hat Fuseon direkt einen versprochenen Mehrwert drauf: „Kostenlose Checklist downloaden“. Vielleicht ist dieser sehr direkte Zugang, die bessere Nutzersteuerung. Aber das weiß man eben nicht, man muss es testen.

 

Welche Variante konvertiert besser? Retargeting ohne Varianten-Tests vergeudet eine Chance. (Quelle: Screenshots Instagram)

 

 

5. Upselling im Lifecycle

Das Tracking der Conversion und das Matching mit der Retargeting-Liste ist kein großes Problem, solange sie Retargeting nicht günstig bei Wiederverkäufern buchen, die diesen Abgleich nicht vornehmen. Gelingt das Matching, so sind frisch konvertierte Kunden eine wunderbare Zielgruppe, denn sie schenken Ihrem Unternehmen Vertrauen.

 

Kurz nach dem Kauf zielt eine Upselling-Strategie auf Komplementärprodukte, die entweder nötig sind (Tinte, Toner, Batterien) oder wahrscheinlich (das Stativ zur Kamera). Je länger der Besuch her ist, umso größer kann man den Kreis der Angebote ziehen. Wenn Ihr Kunde eine günstige Digitalkamera gekauft hat, dann wäre zwei Monate später vielleicht der Zeitpunkt, ihm ein Teil mit besser Auflösung anzubieten.

 

6. CRM Retargeting

Welche Ihrer Kunden waren lange nicht mehr auf der Website? Nehmen Sie die Liste, entwerfen Sie eine Kampagne zur Churn-Prevention, indem Sie Neuheiten zeigen, Treueangebote aussprechen oder ähnliches, und nutzen Sie Google, Facebook oder Instagram, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Idealerweise nutzen Sie dabei natürlich die ganze Tiefe der CRM-Daten und entsprechende Personas.  

7. Schrittweise konvertieren

Ist die direkte Conversion vielleicht einen Schritt zu groß? Zögern Kunden, weil Sie die Tragweite einer Entscheidung nicht übersehen können? Testen Sie einen Funnel mit kleinen Schritten und passen Sie das Retargeting immer daran an, welche Stufe der Nutzer erreicht hat: Content-Piece, Whitepaper-Download, Nutzung des Chat-Bots, Beratungsangebot.

8. Angereichtertes Retargeting

Der Ansatz ist so einfach, wie man es sich vorstellen kann: Man benutzt nicht nur den einen Retargeting-Parameter sondern ergänzt um weitere Datenpunkte. Schon etwas älter aber dennoch zeitlos ist eine Case vom Automobilhersteller Mazda, der neben der Produktinformation aus dem Retargeting auch noch die Ortsdaten verwertete und den Kunden via Banner direkt zum lokalen Händler schickte.

9. Behavioral Retargeting

Wordstream macht Onlinemarketing, aber keiner weiß es. Die Website konvertierte nicht, weil viele User das konkrete Angebot nicht verstanden. Wordstream teilte die User in drei Kategorien. Diejenigen, die nur die Homepage gesehen hatten, diejenigen, die sich explizit mit bestimmtem Content auseinandersetzten und solche, die mit dem kostenlosen Keyword-Tool experimentiert hatten. Das Verhalten der User bildet auch Phasen in der Customer Journey ab, in der sie sich befinden und das wiederum kennzeichnet den Informationsbedarf. Wordstream konnte die Menge der wiederkehrenden Besucher um 65 Prozent steigern und die Verweildauer um 300 Prozent.

10. DCO

Haben Sie wahrgenommen, dass Google, Facebook, LinkedIn, Instagram und Snapchat KI-gesteuerte Software einsetzen, um aus Ihren Assets bessere Werbemittel zu erzeugen? DCO heißt das Verfahren, Dynamic Creative Optimisation. Dabei geht es nicht mehr um 10 unterschiedliche Werbebanner, sondern um Tausende. Und weil die Plattformen die Nutzungsdaten der Werbemittel überwachen, optimieren sie die Ausspielung selbständig. Aber Vorsicht: In der vollautomatischen Blackbox wohnt die Gefahr, dass man nicht mehr nachvollziehen kann, wie Ergebnisse zustande kommen. DCO sollte man unbedingt gut planen und hinterher sorgfältig analysieren.

 

 

Wie immer im Online-Marketing geht es darum, die digitalen Signale, die die Daten geben, richtig zu verstehen und daraus Handlungen abzuleiten. Einfaches Produkt-Preis-Retargeting ist das eher nicht.