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Auf Superkraft Mensch setzen

Warum ein Lächeln 100 Computer schlägt. Wenn es drauf ankommt, kann dem Menschen keine noch so weit entwickelte KI das Wasser reichen.
Ferri Abolhassan | 02.11.2020
Auf Superkraft Mensch setzen © Freepik
 

In dem Bestseller „AI Superpowers“ von Dr. Kai-Fu Lee dreht sich alles um Künstliche Intelligenz. Sie wird als die Lösung für all unsere Probleme dargestellt. Mit meinem neuen Buch „Superkraft Mensch“ setze ich dazu ganz bewusst einen Gegenpol. Keine Frage: Digitale Tools sind heute in vielen Branchen unverzichtbar – auch im Kundenservice. Aber am Ende des Tages macht der Mensch mit seiner natürlichen Intelligenz den Unterschied. Unser Motto lautet: Digital denken, empathisch lenken. Denn wenn es drauf ankommt, kann dem Menschen keine noch so weit entwickelte KI das Wasser reichen. Ich erkläre Ihnen auch gerne warum …

 

Wenn Sie alt genug sind, erinnern Sie sich bestimmt noch an die legendäre Fernsehwerbung für Storck-Riesen aus den 1980er Jahren. So fing sie an: „Wie könnte ich nur den kleinen Michael vergessen, der kam ja jede Woche. Und jedes Mal sagte er mit leuchtenden Augen: Storck Riesen bitte, Frau Lange!“ So ähnlich war‘s auch in meiner Kindheit. Schon als kleiner Knirps war ich Stammkunde in einem Tante-Emma-Laden bei uns ums Eck – und ich war dort gerne Kunde! Nicht nur wegen der Süßigkeiten, sondern auch, weil „meine“ Frau Lange für Groß und Klein immer ein freundliches Wort hatte. Sie kannte jeden Kunden und dessen Vorlieben ganz genau. Und sie war zu jedermann zuvorkommend und hilfsbereit.

 

Ich erinnere mich gern an diese Zeit zurück. Da war der Kunde noch König. Übrigens nicht nur im Tante-Emma-Laden, auch beim Bäcker, Metzger, im Wirtshaus oder der Bankfiliale vor Ort. Man hat sich Zeit genommen für den Kunden, sich um ihn gekümmert, ihn persönlich beraten und umsorgt – von Mensch zu Mensch. Der kostenlose Keks, das gerollte Stück Wurst, der Anruf des Filialleiters zum Weltspartag, das waren kleine Servicemomente, die jede Kundenbeziehung emotional aufgeladen haben. Service wurde als bedingungsloser Dienst am Kunden verstanden und gehörte zum Geschäftsalltag.

 

Die Callcenter-Ära beginnt

Doch damit war Mitte der 1970er Jahre Schluss, als die Callcenter-Ära begann. Vorreiter war hier die amerikanische Tourismusbranche. Mit dem telefonischen Kontakt zwischen Unternehmen und Kunden wollte sie die Buchung von Flügen und Pauschalreisen einfacher machen und gleichzeitig ihren Absatz steigern. 1974 gründete die Fluggesellschaft Continental Airlines das erste Callcenter. Und damit war der Siegeszug der Callcenter nicht mehr aufzuhalten.

 

2018 arbeiteten in Deutschland in mehr als 800 Callcentern fast 160.000 Agents. Diese haben ganz vielfältige Aufgaben: Sie beantworten Fragen, geben Infos zu Produkten, Services und Tarifen, kümmern sich um Reklamationen und Beschwerden, lösen technische und kaufmännische Probleme, nehmen Aufträge und Bestellungen an, betreiben Marktforschung, verkaufen Produkte oder erteilen Auskünfte zum Wetter. Mit diesen Angeboten sollten die Callcenter unser Leben einfacher und komfortabler machen – eigentlich.

 

Der Kundenservice bleibt auf der Strecke

Ich sage eigentlich, weil die Praxis leider anders aussah: Es gab zwar immer mehr Callcenter, aber der Kundenservice blieb zunehmend auf der Strecke. Automatisierung und Kosteneffizienz wurden den Unternehmen immer wichtiger. Und so wurde die Call Handling Time zum zentralen KPI: Die Callcenter-Agents sollten die Anrufe möglichst schnell abwickeln. Jede Minute, die sie länger brauchten, wurde als unnötige Kosten betrachtet. Darum hat die Servicebranche automatisiert und spezialisiert, was ging.

 

Der Gedanke war: Effizienz ist wichtiger als Kundenzufriedenheit. Also leiste ich mir nur so viel Service wie nötig ist. So wurde der Servicegedanke in vielen Branchen komplett übersteuert – auch in der Telekommunikationsindustrie. Ja, auch unsere Branche hat sich kaputtgespart und – was noch viel schlimmer ist – die Konsumenten mit ihren Bedürfnissen aus den Augen verloren. Es gab nun zwar immer mehr Kontaktkanäle und Zugangswege, aber letztlich weniger Service.

 

Der Mensch steht im Mittelpunkt

Aus meiner Sicht waren wir damit auf dem Holzweg! Deshalb haben mein Team und ich vor drei Jahren begonnen, Kundenservice neu zu definieren: Wir managen heute keine Kosten mehr, wir managen die Service-Qualität und die Zufriedenheit unserer Kunden. Dafür stellen wir den Menschen – wie Frau Lange – konsequent in den Mittelpunkt, den Kunden mit seinen individuellen Bedürfnissen, den Mitarbeiter mit seinen ganz persönlichen Fähigkeiten. Unser Motto: Weg vom Taylorismus und Callcenter-Agents mit austauschbaren Skills, hin zu gut ausgebildeten Kundenberatern, die in der Lage sind, selbst komplexe Anliegen leidenschaftlich und empathisch zu lösen – möglichst beim ersten Mal.

 

In dem Bestseller „AI Superpowers“ von Dr. Kai-Fu Lee aus dem Jahr 2018 dreht sich alles um das schier grenzenlose Potenzial von Künstlicher Intelligenz. Da ist etwas dran und ich halte digitale Lösungen wie Chatbots, Apps und RPA heutzutage für unverzichtbar, um die Erwartungen der Konsumenten an einen schnellen, unkomplizierten 24/7-Service zu erfüllen – Stichwort „Liquid Expectations“. Und auch, um Mengen aus dem System zu nehmen. Allein wir als Telekom Service haben 100 Millionen Kundenkontakte im Jahr. Das sind 270.000 am Tag.

 

ABER – und das ist meine feste Überzeugung – technische Lösungen wie KI & Co. können den Kundenberater nur unterstützen, niemals ersetzen. Nur Menschen schaffen wirklich begeisternde Kundenerlebnisse. Was wir mit unserer natürlichen Intelligenz (NI) leisten können, kann keine noch so weit entwickelte Maschine mit Künstlicher Intelligenz (KI): Zwischentöne hören, Empathie zeigen, kreative Lösungen finden, dem Kunden das Gefühl geben, es kümmert sich jemand, das alles kann allein der Mensch! Das sind die Momente, in denen ein Lächeln locker 100 Computer schlägt.

 

„Was wir im Intelligenzvergleich zwischen Mensch und Maschine unterschätzen – und kleinmachen – ist unsere genuin menschliche Fähigkeit zur Emotion.“ Zukunftsforscher Matthias Horx

 

Die Formel für besten Service

Aus diesem Grund haben wir eine Formel entwickelt, mit der wir unsere Service-Transformation meistern wollen. Und in dieser Gleichung kommt der Mensch an erster Stelle: Die besten Mitarbeiter plus die beste IT, unterstützt durch die beste Transformation, ergeben die beste Kundenzufriedenheit. Und – das war der Denkfehler in der Callcenter-Ära – erst aus der besten Kundenzufriedenheit entsteht automatisch die beste Effizienz. Zufriedene Kunden rufen wegen des gleichen Anliegens kein zweites oder drittes Mal an. Zufriedene Kunden rufen den Außendienst kein zweites oder drittes Mal auf den Plan. Unterm Strich sparen bester Service und eine beste Zufriedenheit viel Zeit, Geld und Aufwand. Und das ist dann wirklich effizient!

 

Jetzt erscheint unsere Formel auf den ersten Blick sehr simpel. Das ist sie in der Umsetzung allerdings nicht. Sie mit Leben zu füllen, ist sehr aufwendig. Wie mache ich aus einem Serviceteam mit 30.000 Menschen beste Mitarbeiter? Wie schaffe ich es, dass sie ihr persönliches Potenzial voll entfalten? Und wie gelingt es, dass die Berater nicht nur helfen wollen, sondern auch können? Aus meiner Erfahrung heraus braucht es dafür vor allem drei Dinge: Freiraum, Fachlichkeit und die richtige Haltung.

 

Handlungsspielraum bei Einsatzplanung

Mehr Freiraum ist gleichzusetzen mit mehr Wertschätzung, Motivation und Zufriedenheit. Und zugleich auch mit besseren Lösungen für die Kunden. Darum haben wir unseren Teamleitern im Außendienst mehr Verantwortung im Tagesgeschäft gegeben. Da sie die Fähigkeiten unserer Servicetechniker am besten kennen, haben wir ihnen mehr Handlungsspielraum bei der Einsatzplanung eingeräumt: Wo macht eine Auftragsbündelung Sinn? Welcher Kollege ist für den konkreten Auftrag am besten geeignet? Welches Coaching benötigen die einzelnen Mitarbeiter? Das alles entscheiden unsere Teamleiter selbständig. Frei nach dem Motto: Weniger zentrale Vorgaben, mehr persönlicher Spielraum!

 

Und Ähnliches gilt für unsere Hotline-Kollegen: Unsere Kundenberater sollen noch mehr Verantwortung für die Anliegen der Kunden übernehmen – vom initialen Problem bis zur finalen Lösung. Dafür braucht es Erfahrung und Einsatzwille, aber auch Flexibilität. Darum fordern wir unsere Kundenberater bewusst dazu auf, unsere bestehenden Regeln und Prozesse zu hinterfragen und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Es geht uns nicht ums Einhalten von Abläufen und Vorgaben, das ist die alte Welt. Es geht uns darum, den Kunden zu begeistern. Das ist das neue Kriterium! Erlaubt ist, was gut für unsere Kunden ist.

 

Coachings für mehr Fachlichkeit

Besonders in technischen Branchen wie unserer müssen die Mitarbeiter am Ball bleiben, um den Konsumenten stets die beste Lösung anbieten zu können. Da ist jede Menge Eigeninitiative gefragt und die Bereitschaft, ein Leben lang zu lernen. Es gilt die Devise: Wissen ist Macht! Das meine ich im positiven Sinne. Nur wenn ich das nötige Know-how habe, bin ich in der Lage meinem Kunden die beste Lösung anzubieten. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter deshalb dabei, noch mehr Fachlichkeit zu entwickeln und ihr Wissen zu erweitern. Wir schulen sie zu neuen Produkten und Services. Wir haben in unseren 50 Servicecentern Showrooms eingerichtet, wo unsere Kundenberater die neusten Lösungen ganz praktisch kennenlernen können.

 

Zudem intensivieren wir ins individuelle Coaching durch die Teamleiter. Das ist keine Einmalaktion, sondern ein kontinuierlicher Prozess im Arbeitsalltag. Außerdem helfen Wissensdatenbanken unseren Mitarbeitern bei der Problemlösung. Und mit MagentaView schaffen wir jetzt einen 360-Grad-Blick auf unsere Kunden. So unterstützen wir unsere Menschen ganz gezielt durch beste IT.

 

Investieren in unsere Menschen

Kurzum: Mehr als jemals zuvor investieren wir in unsere Menschen – in ihre Fachlichkeit, Kompetenzen, Soft Skills und Ausrüstung! Und wir sind sicher, dass sich diese Investition auszahlt. Ich möchte an dieser Stelle den erfolgreichen Unternehmen Richard Branson zitieren: „Clients do not come first. Employees come first. If you take care of your employees, they will take care of the clients.“ Mit dieser Sichtweise hat er in meinen Augen absolut recht: Wenn Unternehmen sich gut um ihre Mitarbeiter kümmern, kümmern die Mitarbeiter sich auch gut um die Kunden. Eine Win-Win-Situation!

 

Und diese Rechnung geht in der Praxis tatsächlich auf: Nur durch den unermüdlichen Einsatz und die große Leidenschaft unserer rund 30.000 Kolleginnen und Kollegen ist es uns gelungen, die Corona-Krise bis hierhin erfolgreich zu meistern und unseren Service auf die nächste Qualitätsstufe zu heben: Wir haben deutlich weniger Reklamationen (minus 75%), eine messbar größere Techniker-Pünktlichkeit (rund 98%) und eine deutlich gestiegene Erstlösungsquote (über 52%). Sämtliche Erfolge haben erst unsere Menschen möglich gemacht. Zwar sind wir noch nicht am Ziel – für uns zählt jeder Kunde – aber ich bin überzeugt: Der Mensch macht im Service den Unterschied. Erst seine Empathie und Fachlichkeit ermöglichen letztendlich besten Service.