KI und Content Strategie: Fluch und Segen für das Marketing
In der heutigen Zeit ist es einfach, einen Artikel über AI und Content Strategie zu schreiben. Man geht auf ChatGPT und formuliert einen Prompt: „Schreibe einen Artikel über AI und Content Strategie“. Und in ein paar Sekunden hat man ihn. Das Ergebnis ist brauchbar, tendenziell besser als viele Texte, die man in so manchem Newsletter lesen kann. Und im Grunde kann man auch bei der Implementierung der Strategie gleich so weiter machen. AI macht das! Aber Moment einmal…
Wir stehen an der Schwelle zur Industrialisierung der Content-Produktion: Ja, dank AI kann jeder Content einfach, unbegrenzt und zu geringsten Kosten in brauchbarer Qualität produzieren. Was sich zunächst gut anhört, birgt nur eine Gefahr: Content wird so zu „Commodity“, zu einem weitestgehend austauschbaren Alltagsgut, das überall in guter Qualität, in unbegrenzter Menge und völlig ohne Aufwand verfügbar ist. So wie Klopapier. Technologie bietet nun zu den Klowänden auch noch das Papier. Von wem dieses Gut kommt, spielt für den Verbraucher dann keine Rolle mehr; es ist halt „nur Klopapier“. Die Frage ist da, welchen Nutzen Content noch für den Creator hat. Verkommt Content Marketing zu einer Imitation von Kommunikation, die am Ende nur noch Kanäle mit „Zeugs“ verstopft?
Die Frage nach dem „Wozu“
Trotz aller Gefahren bleibt Content unverzichtbar. Kommunikation ohne Inhalt ist wie ein Auto ohne Benzin. Wenn wir von "Content" sprechen, meinen wir in Abgrenzung zu Werbung, eine nützliche Kommunikation, die das Bedürfnis nach Wissen, Orientierung, Bestätigung oder Unterhaltung stillt. CMOs wissen, dass Content das Herzstück jeder erfolgreichen Kommunikations- und Marketingstrategie ist. Ohne Content könnten sie keinen Newsletter verschicken, keine SEO-Strategie umsetzen, keine Pressearbeit leisten und nichts auf Social Media posten. Auch in anderen Bereichen, wie der internen Kommunikation, der Unternehmenskommunikation, im Vertrieb und Support, ist Content unerlässlich.
Und deswegen hat sich der Autor dieses Textes entschlossen, den Text über „Content-Strategie“ anders zu konzipieren. Nämlich um folgende These: Bevor sich ein Unternehmen über eine Content-Strategien im engeren Sinne Gedanken macht, sollte es sich erst über eine grundlegende Frage Gedanken machen, nämlich die Frage, „wozu“ es eine Content Strategie braucht oder einsetzen will. Was ist also die Kernstrategie? Es geht um individuelle Bedeutung: Was bedeutet es wirklich für das Unternehmen, den CMO, für die Mitarbeitenden und für die Zielgruppen, wenn das Unternehmen den einen oder den anderen Ansatz wählt? Was ist der eigentliche Zweck? Erst wenn der geklärt ist, kann man sinnvoll über die Content Strategie im engeren Sinne nachdenken, wie man sie umsetzt, und auch, wie man dann Technologie inklusive AI sinnvoll einsetzen.
Wir haben sechs verschiede Kernausrichtungen identifiziert: Ad-hoc, reaktiv, taktisch, strategisch, narrativ und transformativ. Sie alle unterscheiden sich vor allem im Grad und der Komplexität der Planung und das Management. Ein Ad-hoc-Ansatz braucht quasi keine Planung. Hier geht es rein nur um Exekution und Distribution. Ein transformativer Ansatz dagegen braucht sehr viel Planung und sehr viele Management, allerdings ist er auch sehr viel leistungsfähiger.
- Ad-hoc: Die Ad-hoc-Ausrichtung einer Content-Strategie zielt darauf ab, Content und Kommunikation entlang aktueller Ereignisse zu entwickeln und schnell umzusetzen. Ein gutes Beispiel hierfür ist SIXT. Die Idee ist, aktuelle Anlässe, News, Innovationen und Gelegenheiten zu verarbeiten. Damit werden Sie vor allem Aufmerksamkeit, Reichweite und Engagement erzeugen können. Es geht darum, der erste zu sein, der ein potenzielles Hype-Thema aufgreift. Die Rolle von Martech besteht hier vor allem darin, schneller und einfacher zu arbeiten. AI unterstützt beim Monitoring, bei der Analyse und Automatisierung, kann aber auch bei der Kreativität helfen. Aber selten wird AI den Content (alleine) erstellen. Die Stärken und Chancen dieses Ansatzes liegen in der Überraschung und Authentizität. Er ermöglicht eine kreative, innovative, schnelle und flexible Herangehensweise. Da kein großer Aufwand für die Planung erforderlich ist, kann schnell auf aktuelle Gegebenheiten reagiert werden. Die Herausforderung ist allerdings, mit potenziellen Problemen bei der Abschätzung der Folgen umzugehen. Deswegen ist es wichtig, strategische Leitplanken und Führung zu entwickeln, um sicherzustellen, dass die Ad-hoc-Ausrichtung in die Gesamtstrategie integriert ist.
- Reaktiv: Eine reaktive Ausrichtung einer Content-Strategie hat das Ziel, allen internen und externen Anforderungen umfassend gerecht zu werden. In dieser Ausrichtung agiert die Kommunikationsabteilung als Service-Dienstleister für interne und externe Stakeholder. Der Fokus liegt darauf, alle internen Stakeholder von Fachabteilungen bis zu den Chefs zufriedenzustellen und direkt auf Kritik von außen, Kontroversen und Trends zu reagieren. Hier werden diverse Tools eingesetzt, um die Arbeitsorganisation zu erleichtern. AI wird vor allem zur Arbeitsentlastung eingesetzt, um repetitive Aufgaben zu automatisieren und Content zu generieren. Hier ist es durchaus sinnvoll, AI auch den ganzen Job machen zu lassen. Chat-Bots sind ein Beispiel dafür, um Kundenanfragen schnell und effizient zu beantworten. Die Stärken und Chancen dieser Ausrichtung liegen in ihrer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Allerdings führt der hohe Reaktionsdruck zu Stress, Verzettelung und Getriebenheit. Es fehlt an Struktur, Fokus und Orientierung, da die Prioritäten oft durch die schnell wechselnden Anforderungen bestimmt werden. Zudem besteht die Gefahr eines Wildwuchses von kaum kompatiblen Tools. Die digitalen Silos erschweren dann häufig eine Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen. Gleichwohl ist das der Ansatz, der in den meisten Unternehmen wohl am verbreitetsten ist.
- Taktisch: Die taktische Ausrichtung einer Content-Strategie hat das Ziel, direkt messbare Erfolge zu erzielen. Ihr Charakter besteht in der Planung einzelner Maßnahmen und Kampagnen. Häufig werden Konzepte für ein taktisches Vorgehen „Strategie“ genannt, wenn man es aber genau betrachtet, sind das eben keine Strategien, sondern Taktiken. Strategie zielt im Gegensatz zur Taktik auf komplexere Ziele ab, die nur durch das Zusammenwirken vieler Maßnahmen und über einen langen Zeitraum zu erreichen sind. Ziele beim taktischen Vorgehen sind stattdessen meistens kurzfristig, zum Beispiel den Abverkauf eines neuen Produktes anzukurbeln, Leads zu generieren, Engagement auf einem Kanal zu steigern oder Aufmerksamkeit für eine Marke zu generieren. Technologie wird vor allem in Form einzelner Tools eingesetzt, um Skalierung, Datenintegration und Automatisierung zu ermöglichen. AI spielt eine operative Unterstützungsrolle. Sie kann beispielsweise für die Datenerhebung und -analyse, A/B-Testing, SEO, Segmentierung und Reporting verwendet werden. Die Stärken und Chancen der taktischen Ausrichtung liegen in ihrer relativen Einfachheit und der Möglichkeit, schnelle Ergebnisse zu erzielen. In vielen Unternehmen ist sie bereits etabliert, und es stehen viele Best Practices auf dem Markt zur Verfügung. Allerdings vernachlässigt dieser Ansatz langfristig ausgerichtete Themen wie Reputation und Vertrauen, und das Unternehmen entwickelt sich nur begrenzt weiter. Neben der reaktiven Vorgehensweise dürfte fast alle Unternehmen auch taktische Elemente in ihrer Kernstrategie haben.
- Strategisch: Der strategische Ansatz unterscheidet sich von dem taktischen vor allem dadurch, dass die Ziele komplexer sind. Reputation, Vertrauen, Markenaufbau, Thought-Leadership oder Top-of-Mindness erreicht man nicht durch einzelne Kampagnen. Hier braucht es viel stärker integrierte Kommunikation, und das sowohl in Bezug auf die Kanäle und Werkzeuge als auch in Bezug auf die Zielgruppen. Der Charakter der strategischen Ausrichtung besteht in der kanalneutralen Planung über Themen als Strukturgeber, ergänzt durch Qualitätsmanagement. Der strategische Ansatz entspricht sehr stark dem Newsroom-Modell: Man vernetzt die Kommunikations-Disziplinen, man schafft Synergien, man koordiniert die Arbeit. Im Kern stehen dabei die gemeinsamen Themen. Die Rolle der Technologie in der strategischen Ausrichtung liegt in ihrer Funktion als Integrator und Katalysator für Struktur, einheitliche Prozesse, Transparenz und Kollaboration. AI spielt eine strategische Unterstützungsrolle in dieser Ausrichtung. Sie kann beispielsweise bei der Qualitätssteigerung, Recherche, Informationsfülle, Variation und Anpassung helfen. Die Stärken und Chancen dieser Ausrichtung liegen in ihrem langfristigen und nachhaltigen Ansatz. Sie steigert die Kohärenz, Effizienz und Effektivität der Kommunikation. Sie erfordert allerdings das Buy-in des Managements und Geduld, da der strategische Ansatz Zeit benötigt, um Wirkung zu entfalten. Dieser Ansatz ist noch nicht so weit verbreitet, erlebt aktuell einen echten Trend.
- Narrativ: Die narrative Ausrichtung einer Content-Strategie verfolgt das strategische Ziel, unternehmensweit mit Content und Kommunikation eine kohärente, klare Geschichte zu erzählen. "Narrativ" als Adjektiv bezieht sich hier auf den Einsatz von Geschichten und erzählerischen Elementen, um eine emotionale Verbindung zum Publikum herzustellen. Der Charakter dieser Ausrichtung liegt darin, Content als zentrales Asset für alle Bereiche zu betrachten. Alle Themen werden auf ein zentrales Narrativ ausgerichtet. Es wird konsequent der Einsatz kreativer Methoden wie Storytelling, Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR), Video, Audio, Metaverse und vieles mehr angestrebt. Die Rolle der Technologie besteht darin, komplexe, integrierte Kommunikation und enge Kollaboration zu ermöglichen. Sie dient als Enabler für die Umsetzung des narrativen Ansatzes. AI spielt eine unterstützende Rolle in dieser Ausrichtung. Sie kann beim Themenmanagement, der Strukturierung und inhaltlichen Anpassung helfen. Die Stärken und Chancen der narrativen Ausrichtung liegen in ihrer Innovationskraft, Inspiration und Motivation. Sie ermöglicht ein positives Image, eine klare Positionierung und hebt die Unique Selling Propositions (USPs) hervor. Zudem schärft sie den strategischen Ansatz weiter. Es bedarf allerdings eines Teams von starken Führungskräften, die die narrative Strategie vorantreiben können. Eine solide strategische Grundlage ist ebenfalls wichtig. Dieser Ansatz gilt als innovativ und dürfte in Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen.
- Transformativ: Die transformative Ausrichtung einer Content-Strategie hat schließlich das strategische Ziel, Kommunikation tief in die Prozesse zu integrieren und als integre und authentische Unternehmenspersönlichkeit wahrgenommen zu werden. Diese Ausrichtung zeichnet sich durch kulturelle und digitale Transformation aus, die zu einem neuen Mindset, Abläufen und Workflows führt. Es geht um einen tiefgreifenden und nachhaltigen Wandel, bei dem der Newsroom als Organisationsmodell dient. Die Rolle der Technologie in dieser Ausrichtung besteht darin, als zentrales Betriebssystem die Umsetzung und Führung der neuen Organisation zu unterstützen. AI spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung dieser Ausrichtung. Sie kann Transparenz, Steuerung, Wissensmanagement und Controlling optimieren. Die Stärken und Chancen der narrativen Ausrichtung liegen in der Entwicklung einer klaren Corporate Identity. Sie bietet Potenzial für Wettbewerbsvorteile und ermöglicht eine echte Integration von Kommunikation und Business. Die umfassende Veränderung kann allerdings leicht auf Widerstand bei den Mitarbeitenden stoßen. Es ist ein Wandel in allen Bereichen, im Mindset, Toolset wie im Skillset erforderlich. Zudem ist eine konsequente Konsolidierung der IT notwendig, um eine effektive Umsetzung der strategischen Ziele zu gewährleisten.
Auf die Mischung kommt es an
Welche dieser Kernstrategien Sie wählen, hängt von einer ganzen Reihe von Fragen ab, die Sie nur für sich beantworten können. Es gibt hier kein objektives „besser“ oder „schlechter“. Es gibt nur ein besser oder schlechter „für Sie geeignet“. Und das hängt davon ab, über welche Ressourcen Sie verfügen, vor allem auch, wie stark Ihr Team ist und insbesondere die Führungskräfte in Ihrem Team. In der Praxis dürfte Ihre Kernstrategie eine Mischung aus mehreren oder gar allen Elementen sein. Den Kern sollte eine solide taktische Vorgehensweise sein, die Sie zunehmend strategisch ausrichten. Dabei sollten Sie auch unvorhergesehene Ereignisse ein- und durchplanen, Ziel muss aber sein, das Unvorhergesehene zu reduzieren. Wenn Sie dabei auch noch Freiheiten schaffen, um zu einem guten Stück ad-hoc und impulsiv und damit auch authentisch und menschlich zu reagieren, haben Sie bereits großartiges geleistet. Sie sollten sich aber auch über die narrativen und transformativen Ansätze Gedanken machen. Vor allem der narrative Ansatz bietet viele Chancen, sich Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten und emotionale Bindung herzustellen. Und mit der Transformation werden Sie sich ohnehin auseinandersetzen müssen. Kommunikation verändert sich aktuell massiv. Und Sie werden sich diesen Änderungen anpassen müssen. Wie sagt das Sprichwort? „Den Klugen führt das Schicksal, den Dummen zerrt es dort hin.“
Und wie geht man nun mit dem Thema AI um?
Und um jetzt mal den Bogen zu dem Einstieg (und der Headline) zu spannen: Wie Sie am besten mit „AI“ umgehen, hängt vor allem davon ab, wie Sie Ihre Kernstrategie definieren. Davon hängt auch ab, ob Sie „AI“ als „Artificial Intelligence“ verstehen oder als „Augmented Intelligence“. Also ob sie „Intelligenz“ an die AI delegieren, oder ob Sie AI als Unterstützung ihrer eigenen Intelligenz sehen. Je nachdem, wie man das versteht, verändert sich auch der Einsatz von AI in ihrer Content-Strategie. Natürlich ist es eine Option, eine vollautomatische Content-Maschine aufzubauen. Wenn Sie die Märkte mit Ihrem Content fluten, werden Sie mit Sicherheit mehr Sichtbarkeit und bei guter Umsetzung auch Aufmerksamkeit ernten. Auch Commodity-Produkte können erfolgreich sein. Die Alternative ist, dass Sie auf Kreativität setzen und AI nutzen, um besser zu werden als der Wettbewerb. Frei nach dem Motto „Think better, not more“.
Wie das dann aber genau aussieht, muss dann Gegenstand eines eigenen Artikels sein. Dazu ist das Thema zu umfangreich.