Marketing ohne Gewissensbisse
Nachhaltiges, klimaneutrales Marketing ist für die gesamte Branche sehr relevant geworden. Der Trend hat sich in den letzten 12 Monaten noch einmal deutlich verstärkt, sowohl national als auch international. Als ich neulich auf einer Veranstaltung vor rund 40 PR-Agenturen einen Vortrag hielt, stellte ich den Anwesenden die Frage, wer den CO2-Fingerabdruck seiner Agentur kennt. Das Ergebnis überrascht vielleicht nicht: Kein einziger wusste auf diese Frage eine Antwort. Doch spätestens jetzt sollten Marketingabteilungen und Dienstleister damit beginnen, das Thema ernst zu nehmen, ihre CO2-Bilanz aufzustellen und die organisatorisch notwendigen Schritte einzuleiten, um klimaneutral zu werden. Spätestens wenn der Nachhaltigkeitsbeauftrage im Unternehmen an die Tür des CMO klopft, werden die Aktivitäten der gesamten Abteilung und der Dienstleister unter die Lupe genommen. Letztere werden im Zweifelsfall durch solche ersetzt, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit frühzeitig auseinandergesetzt haben. Der Druck wird auch seitens der Politik erhöht: Regelungen zur Nachhaltigkeit in Unternehmen des Mittelstands mit mehr als 500 Beschäftigten treten bereits bald in Kraft und mittelfristig werden gesetzliche Regelungen zur Klimaneutralität voraussichtlich für alle gelten. Höchste Zeit also, die angesprochenen Punkte einmal zu strukturieren und einzeln zu betrachten.
Die Komplexität des eigenen ökologischen Fußabdrucks
Was verbraucht Ihrer Meinung nach mehr CO2: eine gedruckte Zeitung oder eine Online-Zeitung? Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten von Ihnen auf die gedruckte Zeitung tippen würden, was auf den ersten Blick auch naheliegend ist. Die Herstellung einer gedruckten Zeitung verbraucht Rohstoffe und Energie.
CO2-Verbrauch einer gedruckten und einer Online-Zeitung © DDV
Außerdem müssen Zeitungen an den Mann und die Frau gebracht werden und gerade die Logistik und der Transport verursachen gefühlt massive „Umwelt- kosten“. Doch in der Praxis kann es auch anders aussehen, denn die gedruckte Zeitung wird im Durchschnitt von 2,8 Personen gelesen, die Online-Zeitung auf jedem Gerät hingegen nur von einer Person. Dies kann dazu führen, dass eine gedruckte Zeitung sogar weniger CO2 verursacht als eine Online-Zeitung [1].
Mehrere Leser machen die gedruckte Zeitung klimafreundlicher © DDV
Ein anderes Beispiel betrifft vermutlich auch Ihren geschäftlichen Alltag. Video-Meetings sind seit Beginn der Corona-Pandemie zur absoluten Normalität geworden und haben Geschäftsreisen weitestgehend verdrängt. Zwar können wir heute wieder ungehindert reisen, aber einerseits hat man sich an Videokonferenzen und die entfallende An- und Abreise gewöhnt und andererseits tut man gefühlt durch die eingesparte Autofahrt auch etwas für die Umwelt.
Doch der Schein trügt. Eine zwanzig Kilometer lange Autofahrt verursacht ungefähr so viel CO2 wie eine Stunde Video-Stream. Sollte Ihr Geschäftspartner in der Nähe wohnen oder das Meeting sehr lange dauern, kann die Fahrt günstiger für die Umwelt sein als die Videokonferenz. [2] [3]
CO2-Belastung durch eine Stunde Videostream und 10 km Autofahrt © DDV
Auch für das Marketing gibt es solche Beispiele. Für einen physischen Werbebrief wird häufig mit rund 20 Gramm CO2 gerechnet. Die Schätzungen für den CO2 Bedarf einer E-Mail liegen in der Literatur zwischen 0,5 Gramm für eine kurze Mail, die nicht gespeichert wird und 30 Gramm für eine E-Mail mit großen Anhängen, wie beispielsweise eine Werbemail mit vielen Bildern.
Ohne Anhang ist die E-Mail klimafreundlicher als ein Brief © DDV
Warum das so ist? Die riesigen Server, auf denen E-Mails mit Anhängen für den spontanen Abruf in unseren Postfächern gespeichert sind, verschlechtern die CO2-Bilanz solcher E-Mails enorm. Zwar ist die Studienlage zu all den genannten Beispielen nicht durchweg eindeutig und auch Klimaexperten streiten sich darüber, was tatsächlich weniger umweltschädlich ist. Fakt ist aber: Die Berechnung eines CO2-Fußabdrucks ist nicht immer so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. [4] [5] [6]
Große Anhänge erhöhen das CO2-Budget von E-Mails © DDV
Marketing ist gut für Unternehmen – aber ist es auch gut für die Umwelt?
Wie eben gezeigt, verursachen die Instrumente des Marketings CO2 – egal, ob offline oder online. Doch im Zuge der Umweltauswirkungen all unseres Handelns regt sich in der Gesellschaft zunehmend Widerstand gegen Marketing, nicht nur wegen seines CO2-Fußabdrucks, sondern weil Marketing den Zweck verfolgt, mehr Konsum zu erzeugen. Damit wird Marketing qua Definition – nämlich als ein Instrument zur Absatzförderung – zum CO2-Verursacher. Einige Vertreterinnen und Vertreter der Umweltbewegung „Letzte Werbung“ – Stichwort Haushaltswerbung nur noch gegen Opt-in – sind beispielsweise der Ansicht, dass der durch Marketing ausgelöste Konsum der CO2-Bilanz einer bestimmten Marketingkampagne hinzugerechnet werden sollte. Hier tun sich erstaunliche Parallelen zu der Diskussion auf, die die Gesellschaft und insbesondere auch Marketer in den letzten Jahren und Jahrzehnten zum Datenschutz geführt haben. Die Spannweite reicht von Meinungen, zu denen in der großen Breite ein Konsens herrscht, bis hin zu extrem polarisierenden, teilweise auch radikal politischen Ansichten, die jedwede sachlich argumentative Diskussion unmöglich machen. Denn seien wir mal ehrlich – die Welt wäre doch ärmer ohne Konsum, oder?
Was sollten Sie also tun? Machen Sie O5C2 statt CO2
CO2 ist Hauptverursacher des Klimawandels. Natürlich gibt es noch andere schädliche Klimagase und wertvolle Rohstoffe, die es zu erhalten gilt. Doch bleiben wir erst einmal beim Klimakiller Nummer eins. Um CO2 zu reduzieren, sollten Unternehmen O5C2 machen. Ich kann Sie beruhigen. Dabei handelt es sich nicht um ein anderes chemisches Molekül, sondern vielmehr um eine Vorgehensweise zur Verbesserung der Klimabilanz. O5C2 steht für:
Mit O5C2 zu einer Nachhaltigkeitsstrategie © DDV
Mithilfe dieser sieben Schritte sind Marketer relativ einfach dazu in der Lage, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und ihre Umweltbilanz zu optimieren.
Jeder Verbesserung eines Ist-Zustandes liegt zunächst einmal seine Analyse zugrunde. Bezogen auf das Marketing eines Unternehmens heißt „Calculate Impact“ also, die interne oder durch Dienstleister verursachte CO2-Bilanz möglichst präzise zu erfassen. Eine Agentur, die von einem Unternehmen ein Briefing erhält und die ersten Kampagnenideen entwickelt, sollte bestenfalls dazu in der Lage sein, in die Präsentation bereits mit zu integrieren, wieviel CO2 diese Kampagne verursacht. Das machen bisher die wenigsten Agenturen. Nach der möglichst exakten Kalkulation des CO2-Verbrauchs geht es anschließend um die Stellschrauben, an denen Unternehmen und Dienstleister ansetzen können, um nachhaltiger zu werden.
Die Idee hinter „Optimize Strategy“ ist, dass der größte Hebel zur Optimierung ganz am Anfang einer Marketingkampagne, nämlich in der Strategie liegt. Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür welchen Impact eine solche Strategieänderung haben kann ist Ethereum, eine digitale Plattform, die die Blockchain-Technologie einsetzt. Durch eine Umstellung des zugrunde liegenden Algorithmus von einem „proof of work“ auf einen „proof of state“ konnte der Energieverbrauch um 99,5 Prozent gesenkt werden. Eine Änderung auf der konzeptionellen strategischen Ebene kann also schon große Mengen an CO2 und wichtigen Rohstoffen einsparen. Das gleiche gilt im Marketing beispielsweise mit der richtigen Wahl der Marketingkanäle.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist fast so alt wie das Marketing selbst. „Optimize Circulation“ meint die Optimierung der Selektionen, der Adressqualität, der Berücksichtigung von Kundenwünschen hinsichtlich ihres präferierten Marketingkanals bei der Ansprache und die Deduplikation der eingesetzten Adressen. Wer ein Mailing an eine falsche Zielgruppe verschickt und hohe Streuverluste hat, verschwendet nicht nur Budget, sondern belastet auch unnötig das eigene Klimakonto. Ein echter „dooropener“ also für eine Diskussion mit dem CMO oder der Agentur.
Egal, ob Unternehmen ihre Marketingkampagnen selbst kreieren oder dafür einen Dienstleister beauftragt haben, auch im Bereich der Kreation gibt es CO2-Einsparpotenziale, weshalb „Optimize Creatives“ die Aufforderung ist, diese aufzudecken. So gibt es beispielsweise ökologische Schriftarten, die weniger umweltbelastend sind als gängige Fonts. Auch die Menge und die Farbe des Textes, der für die Kampagne eingesetzt wird, sollte geprüft werden. Durch den geschickten Einsatz von Weißraum oder alternativen Farbtönen lässt sich schon einiges bewirken. Ein dunkles grau ist weniger klimaschädlich als ein sattes Schwarz, das fünf Mal so viel Tinte verbraucht. Das menschliche Auge bemerkt den Unterschied meist nicht einmal. Die Reduktion der Anzahl oder der Größe von Abbildungen in Kampagnen wirkt sich ebenfalls positiv auf die Ökobilanz aus. Und ein Self-Mailer spart nicht nur Material, sondern natürlich auch CO2. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Fakt ist, die Kreation in Unternehmen und Agenturen wird sich hiermit auseinandersetzen müssen.
„Optimize Production“ schließt konsequent an den kreativen Prozess der Kampagnenerstellung an. Denken Sie einmal darüber nach, wie oft Sie zweiseitige Schreiben bekommen, deren Inhalt optimal getextet auch problemlos auf eine Seite gepasst hätte, oder wie viel Material eingespart werden könnte, wenn Unternehmen konsequent das Papier beidseitig bedrucken würden. Aufkleber auf Printprodukten sind nicht nur ineffizient und unpraktisch, sie sind aufgrund der verwendeten Klebstoffe auch klimaschädlich. Weitere Ansatzpunkte für Optimierungen sind Verpackungsmaterialien, eingesetzte Rohstoffe wie pflanzliche Tinte oder Recyclingpapier, etc. Die Größe und Auflösung von Bildern in E-Mail-Marketing-Kampagnen ist nicht nur besser für den Versand und damit für die Kundinnen und Kunden – Stichwort Spam-Einstufung, Ladezeiten, Dateigröße –, sondern eben auch für die CO2-Bilanz Ihres Unternehmens.
Zu dem Punkt „Optimize Distribution“ fällt mir eine spannende Anekdote aus meiner Zeit als Marketingleiter bei der Commerzbank ein, die aus klimatechnischen Gesichtspunkten heute ein absolutes „no go“ ist. Damals haben wir hin und wieder Marketing-Aktionen in Tschechien produziert, weil das deutlich günstiger war als sie in Deutschland zu produzieren. Also schickte man einige 40 Tonner LKWs mit Papier von Frankfurt nach Tschechien, wo Druck und Konfektionierung vorgenommen wurden und dann wurden die Mailings wieder auf demselben Weg zurückgeholt. Aus heutiger Sicht eine Klimasünde. Vor 15 Jahren waren solche Unternehmensentscheidungen in erster Linie finanziell getrieben und den Nachhaltigkeitsaspekt hatte noch keiner auf dem Schirm. Unternehmen, die ihren ökologischen Fußabdruck in der Distribution verbessern möchten, sollten also ihre Logistik und Lieferanten diesbezüglich prüfen. Vielleicht wird auch die distributionsnahe Produktion künftig eine viel stärkere Rolle spielen als heute.
Natürlich bleibt am Schluss eine gewissen Menge CO2 übrig, die durch die beste Optimierung nicht eingespart werden kann. Dafür kommt am Ende des Prozesses nun der Punkt „Compensate Impact“. Die Kompensation im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie wird dann mit entsprechenden Initiativen dafür sorgen, dass die Restmenge an CO2 ausgeglichen wird. Verschiedene Quellen liefern auch hier wieder unterschiedliche Zahlen, aber es deutet sich an, dass Kompensationszahlungen in einer Größenordnung liegen, die nur einen sehr geringen Prozent- oder gar nur Promille-Wert der Ausgaben für eine Marketingkampagne ausmachen, unabhängig von dem betrachteten Marketingkanal. Das wäre leistbar, auch in Zeiten enger Marketingbudgets.
Es bleibt festzuhalten, dass das O5C2-Modell zum Nachdenken anregen und aufzeigen soll, dass der Weg zu einem wirklich Grünen Dialogmarketing herausfordernd, aber mit der richtigen Einstellung, der richtigen Strategie und der notwendigen Konsequenz möglich ist. Wegen weiterer gesetzlicher Regulierungen, der anhaltenden Klimadebatte und dem steigenden Umweltbewusstsein in der Gesellschaft wird uns das Thema Nachhaltigkeit in den nächsten Jahren – wenn nicht sogar Jahrzehnten – intensiv begleiten. Unternehmen und Dienstleister, die sich frühzeitig ihrer ökologischen Verantwortung stellen und die richtigen Weichenstellungen im Marketing legen, sind für die Zukunft bestens aufgestellt. Fangen Sie am besten jetzt damit an!
Der Beitrag erschien ebenfalls im Rahmen der DDV-Publikationsreihe „Branchentrends im Dialogmarketing“.
Quellen:
[1] Studie „Elektronische Medien sind nur manchmal ökologisch vorteilhaft“ des Fachverbands Druck- und Papiertechnik (VDMA)
[2] https://www.enviam-gruppe.de/energiezukunft-ostdeutschland/verbrauch-und-effizienz/stromverbrauch-internet
[3] https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Digitaler-CO2-Fussabdruck.pdf
[4] https://www.selfmailer.com/blog/werbung-per-brief-und-e-mail-der-co2-verbrauch-im-vergleich.html
[5] https://de.twosides.info/UK/brief-vs-e-mail-wer-hat-die-bessere-klimabilanz/
[6] https://www.geldfuermuell.de/recycling-magazin/e-mail-vs-brief-wie-ist-das-eigentlich-mit-der-co2-bilanz.php