Was Customer Centricity mit den Kinderzimmern meiner Töchter zu tun hat
Vor einigen Tagen hielt ich einen Vortrag bei einem Konzern über Customer Centricity. In einer gemeinsamen Abschlussrunde mit den Zuhörern fiel mir auf, dass eine Thematik ganz besonders den Zuhörenden auf dem Herzen lag: Customer Centricity sei ja leider nur ein Buzzword – es würde nicht gelebt. Und ich kann sie verstehen! Mit dem, was insbesondere Start-ups vorbildlich leben, tun sich etablierte Unternehmen deutlich schwerer. Woran liegt das?
Jede Abteilung in einem Unternehmen entwickelt aus ihren spezifischen Anforderungen heraus unterschiedliche Customer Journeys und Personas. Somit ergeben sich in den Unternehmen eine Vielzahl von ihnen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass vom Kunden Konsistenz wahrgenommen wird. Der Kunde sollte nicht das Gefühl haben, dass er an jedem Touchpoint des Unternehmens von der Tonalität, der Wortwahl, etc. her unterschiedlich angesprochen wird. Die Herausforderung liegt folglich darin, intern ein unternehmensübergreifendes Verständnis von Customer Journeys und Personas zu entwickeln und durchgängig zu etablieren.
Vier Erfolgsfaktoren für eine gelebte Customer Centricity in jedem Unternehmen:
1. Einheitliche Basis in der Vielfalt schaffen
Um in der Vielfalt der Anforderungen eine Einheitlichkeit in der Customer Centricity zu schaffen, ist es nicht hilfreich, mit steigender Anzahl an Anforderungen auch eine steigende Anzahl an Customer Journeys und Personas zu entwickeln.
Ganz im Gegenteil: Wenn man umfassend agieren will, ist es umso wichtiger, erst einmal die Basis richtig zu definieren. Sechs durchdeklinierte und einheitlich etablierte Personas sind besser als 30 halb-eingehaltene Personas. Die Message kommt beim Kunden nämlich nur dann an, wenn diese durchgängig an jedem Touchpoint konsistent wahrnehmbar ist. Doch wie schaffe ich die richtige Basis, damit unternehmensübergreifend überhaupt ein einheitliches Verständnis von Customer Centricity etabliert werden kann? Die elementare Basis ist, den Kunden mit seinen grundlegenden Bedürfnissen zu verstehen.
2. Kernbedürfnisse verstehen
Abb. 1 Bedürfnispyramide nach Maslow © ANXO
Für ein grundlegendes Verständnis der Kundenbedürfnisse dient die Maslowsche Bedürfnispyramide nachfolgend als Gedankenstütze. Glücklicherweise herrschte in Europa lang kein Krieg mehr und niemand muss hungern. Grundbedürfnisse wie Essen und Schlaf sowie Sicherheitsbedürfnisse wie Wohnen, Arbeit und Einkommen sind für die meisten Menschen grundsätzlich erfüllt.
Für Unternehmen sind in der Kundeninteraktion entsprechend nur noch soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung im Regelfall zu adressieren. Zu diesem Schluss kommt auch der Hirnforscher Gerald Hüther, der in seiner Theorie als Kernbedürfnisse des Menschen Verbundenheit und Autonomie nennt. Verbundenheit kann in der Maslowschen Pyramide als die Stufen soziale Bedürfnisse und Individualbedürfnisse interpretiert werden. Das Streben nach Autonomie wiederum als Selbstverwirklichung.
Diese zwei Kernbedürfnisse sind prägend und ziehen sich von Kind auf durch unser gesamtes Leben. Bereits als Kind hatte man ein Autonomiestreben, beispielsweisen wenn man am liebsten alleine mit den Freunden auf wilde Entdeckungsjagd gehen wollte. Gleichermaßen bestand ein Streben nach Verbundenheit, wenn man sich abends mit Schmusedecke und Teddybär bei der Mutter einkuscheln wollte. Und auch im Jugendalter bleibt diese Bedürfnisstruktur bestehen: Meine zwei 22-jährigen Töchter konnten es kaum abwarten, auszuziehen und ihre Autonomie voll auszuleben. Aber wehe ich wage, ihnen auch nur vorzuschlagen, ihr Kinderzimmer in ein Gästezimmer umzuwandeln! Sie wollen Autonomie und Verbundenheit gleichzeitig. Nichts anderes ist im Arbeitsleben zu beobachten: Vertrauensarbeitszeiten, häufigerer Arbeitsplatz- wechsel oder auch Home-Office sind immer gefragter. Die Menschen wollen autonom und unabhängig sein. Gleichzeitig gehören Wohlfühl-Ecken, Duz-Kultur, Team-Events oder ein Kicker im Office immer mehr zur Normalität. Diese wiederum sind für die Mitarbeiter Elemente, die Verbundenheit schaffen.
3. Verbundenheit und Autonomie in die Customer Experience integrieren
Wir haben festgehalten, dass der Mensch in einer Welt ohne Hunger grundsätzlich von zwei Kernbedürfnissen getrieben wird: Verbundenheit und Autonomie. Folglich müssen sich diese zwei Bedürfnisse in der Customer Experience, den Customer Journeys und Personas widerspiegeln. Doch wie setze ich das am besten um? Hier muss gar nicht zu komplex gedacht werden, wie folgende Beispiele verdeutlichen:
Wenn ich im lokalen Bäcker mit Namen von der Bäckersfrau angesprochen werde und sie ohne große Rückfrage die üblichen Brötchen einpackt oder von meinem Postboten im Supermarkt erkannt werde, hilft es mir Verbundenheit aufzubauen.
Bei meinen Töchtern konnte ich diese Verbundenheit wiederum zu Douglas beobachte: Sie konnten es als Teenager bei ihren Shopping-Touren kaum abwarten, sich mit den Mitarbeiterinnen über die neusten Trends und Styles auszutauschen. Und sobald sie den Laden betreten, werden sie auf den Lippenstift, den sie tragen, angesprochen. Ehe man sich versieht kommen dann ewig lange Unterhaltungen zustande und man könnte fast meinen, es entstehen neue Freundschaften.
Denken wir einmal an die viel gescholtene Deutsche Bahn. Wir können wann wir wollen an einen beliebigen Bahnhof gehen, uns in jeden beliebigen Zug setzen und einfach losfahren. Ohne vorherige Planung und Ticketkauf auf dem Smartphone! Diese Einfachheit, Flexibilität und Unabhängigkeit schaffen beim Kunden ein Gefühl der Autonomie. Was hat diese Autonomie für einen Wert, wenn sie in den Mittelpunkt der Kommunikation der Bahn gestellt werden würde. Nicht anders sieht es aus, wenn wir reisen wollen.
Vergleichen Sie einmal den Planungsaufwand für einen Urlaub vor zehn Jahren mit dem heutigen. Plattformen wie booking.com machen die Reiseplanung zu einem Kinderspiel. Ich erhalte eine gefühlt unendliche Auswahl von Hotels und Apartments, zu denen ich auch noch transparente Kundenbewertungen angezeigt bekomme. Mir wird übersichtlich angezeigt, bei welcher Unterkunft man kostenlos stornieren kann oder wo ich sogar erst vor Ort zahlen kann. Ich muss mich als Kunde nicht festlegen und kann spontan sein! Als Reisender empfinde ich eine Autonomie, von der ich vor einigen Jahren nur hätte träumen können.
4. Einheitliche Customer Centricity schaffen
Wie kann ich die Bedürfnisse nach Autonomie und Verbundenheit bei meinen Kunden bestmöglich transportieren? Der Kunde wird nur dann spüren, dass das Unternehmen seine Bedürfnisse adressiert und befriedigt, wenn er eine einheitliche Message unbewusst erkennt. Das heißt, erst wenn der Kunde eine Konsistenz in allen Touchpoints auf seiner Customer Journey wahrnimmt.
Folgendes Negativbeispiel kennt jeder von uns aus seiner persönlichen Erfahrung:
Der Anruf beim Telekommunikationsdienstleister. Ich bin mir sicher, dass das nicht nur bei mir Bauchschmerzen auslöst. Denn wir wissen was auf uns zukommt: Man wird ständig weitergeleitet, muss seine Kundennummer bei jedem neuen Agent erneut durchgeben und jedes Mal sein Anliegen erläutern. Gefühlt versucht zwar jeder Mitarbeiter, mein Anliegen zu lösen – aber keiner hat eine Ahnung von den vorherigen Stationen und Informationen. Als Resultat erhält der Kunde den Eindruck, dass das Unternehmen wohl ein chaotischer Haufen ist und nicht, dass jeder Mitarbeiter in seiner Station bestmöglich weiterhelfen wollte. Der Kunde empfindet seine Bedürfnisse als nicht ausreichend berücksichtigt. Die Customer Experience wird also deutlich negativ durch den Umstand beeinflusst, dass keine Einheitlichkeit in den Touchpoints herrscht.
Aber es ist noch schlimmer: Das Bedürfnis nach Autonomie und Verbundenheit wird negativ adressiert. Man fühlt sich als eine kleine Nummer in einem großen anonymen Moloch!
Welche großen Auswirkungen eine nicht hundertprozentige Einheitlichkeit hat, zeigt auch eine beispielhafte Customer Journey mit zehn Touchpoints. Selbst wenn jeder der zehn Touchpoints untereinander über eine 95-prozentige Einheitlichkeit hinsichtlich Customer Journey und Persona verfügt, wird der Kunde am Ende seiner Customer Journey eine viel geringere Konsistenz wahrnehmen.
Die wahrgenommene Einheitlichkeit vom ersten Touchpoint von 95% reduziert sich nämlich, wenn der zweite Touchpoint auch nur eine Einheitlichkeit von 95% hat. Denn 95% multipliziert mit 95% sind nur noch 90%. Und wenn der dritte Touchpoint auch nur eine Einheitlichkeit von 95% aufweist, nimmt der Kunde nur noch eine Konsistenz von 85% wahr (natürlich gerundet liebe Mathefreaks!). Führt man diese Rechnung fort, bleibt bei einer Customer Journey mit zehn Touchpoints insgesamt nur noch eine Gesamtkonsistenz von 0,9510 = 59,9%.
Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, welche untergeordnete Rolle die einzelne Performance der Touchpoints gegenüber der Gesamtkonsistenz der Customer Journey hat. Folglich heißt das: Um Customer Centricity in meinem Unternehmen erfolgreich zu leben, muss Einheitlichkeit das oberste Gebot sein.