Spielerische Werbung im Metaverse light
Aber es kommt Bewegung in den Markt. Vor allem, weil immer mehr Werbungtreibende Ingame-Werbung wie die kleine Schwester von Digital-out-of-Home behandeln.
3,2 Mrd. Menschen spielen irgendeine Form des Onlinespiels. Das sind 40 Prozent der Weltbevölkerung. Werbungtreibende sollten leuchtende Augen bekommen, wenn sie sich das Reichweitenpotenzial der Spielewerbung anschauen.
Verstärkend wirkt, dass die Gamer jünger sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. In vielen Spielen erreicht man Zielgruppen, die ansonsten nur über Social Media oder eventuell im Streaming erreicht werden können. Im TV hingegen finden diese Zielgruppen kaum mehr statt. Auch die Cookiekalypse erhöht die Attraktivität von Ingame-Advertising. Es gibt klar definierte Umfelder und es gibt First-Party-Daten, die fürs Targeting genutzt werden können.
Wie heiß der Spielemarkt läuft, sieht man an der sorgfältigen Prüfung der Wettbewerbsbehörden in Sachen Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft. Ein Jahr lang hatten sich die Redmonder bemüht, sich den Spieleriesen einzuverleiben. 68 Mrd. Dollar ist Microsoft der Zuwachs wert. Erst vor wenigen Tagen erteilten die britischen Wettbewerbshüter ein vorläufiges „Go“. Neuer Termin für die Komplettierung der Übernahme ist der 15. Oktober.
Die eine Gamingbranche gibt es nicht
Die Marktforscher von The Business Research Company haben errechnet, dass der Markt für Spielewerbung von 7,8 Mio. Dollar 2022 dieses Jahr auf 8,8 Mrd. wachsen wird. Bis 2027 sollen es 13,7 Mrd. Dollar werden. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 11 Prozent.
Aber es ist ein sehr oberflächlicher Blick, wenn man sich nur die Bruttozahlen anschaut. Kaum eine Medienlandschaft ist so fragmentiert wie die Spielebranche. Die Landschaft der Titel reicht vom gelegentlichen Quiz auf dem Smartphone bis zur High-Performance-Rennsimulation auf dem aufgerüsteten PC. Die Spieleideen erstrecken sich von Solo-Games für den Zeitvertreib bis zur digitalen Welt mit Millionen von Nutzern, nahe an dem, was dereinst als Metaverse gefeiert wurde.
Und immer, wenn eine Content-Welt vielfältig und schwer zu durchdringen ist, wenden sich viele Agenturen und Werbungtreibende ab. Der enorme Zusatzaufwand, der entsteht, um herauszufinden, in welchen Titeln man wie wirbt, steht einem unsicheren werblichen Ertrag gegenüber. Große Werbungtreibende leisten sich gelegentlich eigene Abteilungen, die sich nur mit Gaming beschäftigen. Die agieren oft autark und sind nicht Teil des „offiziellen“ Marketing-Mix. Brent Koning, Global Gaming Lead bei Dentsu, stellt fest: „Die Gaming-Strategien der Advertiser sind noch immer nicht in ihre übergeordneten Marketingplanungen integriert.“
Manch Werbungtreibendem ist die Spielebranche auch einfach zu heiß. Nicht selten beginnen Spiele mit eher harmlosem Gameplay – auch um Eltern und Lehrer zu besänftigen – und steigern die Intensität dann, wenn die Gamer ein paar Level gezockt haben. Es entstehen Umfelder, in denen sich Marken nur ungern zeigen. Mal ganz abgesehen von der anhaltenden Debatte um Ego-Shooter und manch martialischem E-Sports-Titel. Jüngst goss der Landessportbund NRW wieder Öl ins Feuer. E-Sport sei kein Sport. Will ein (gemeinnütziger) Verein ein Angebot rechtssicher integrieren, dann möge man die Analogie zu Schach wählen. Der Fachbegriff der Funktionäre lautet „Sportfiktion“.
Erfahrene Digitalmarketer wissen: Das Problem lässt sich lösen. Man braucht Transparenz, man braucht Standards und man braucht Klassifizierungen für Contents und Zielgruppen. Patrick Stoltze, Country Manager bei Integral Ad Science (IAS) für Zentraleuropa, meint: „Die Implementierung von Targeting-, Sicherheits- und Messlösungen hat in der In-Game-Werbung keineswegs mit den schnellen Innovationen in diesem Bereich Schritt gehalten.“
Folgerichtig bietet sich IAS der Gaming-Branche als Partner an, wenn es darum geht, markensichere Umfelder zu finden und zu erheben, wie gut ein Werbemittel im Spiel zu sehen war. Ein großen Pflock haben die letztes Jahr eingeschlagen, als man eine Kooperation mit dem israelischen Unternehmen Anzu bekannt gab. Anzu gilt als einer der ganz wichtigen Treiber, wenn es darum geht, Spielewerbung skalierbar zu machen. Als Supply Side Platform bündeln sie die Inventare über zahlreiche Spieletitel hinweg und erlauben so ein titelübergreifendes Targeting nach Zielgruppenmerkmalen. Aus Sicht der Spieleanbieter bündelt Anzu werbliche Nachfrage aus unterschiedlichen Branchen und kann so zur Finanzierung eines Games-Studios beitragen. Im Juni sammelte Anzu in einer weiteren Finanzierungsrunde 48 Mio. Dollar frisches Kapital ein.
Anzu ist auch deshalb in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, weil die Israelis von Beginn an Wert darauflegten, die Wünsche der Werbungtreibenden zu erfüllen. Im Juli 2022 veröffentlichte man gemeinsam mit dem IAB Klassifizierungen für werbliche Umfelder, Zielgruppen und vor allem Standards für Messgrößen. Gemeinsam mit dem Standard des Media Rating Council in Sachen Viewability existiert ein „Währungssystem“, das sich gegenüber Display oder Videowerbung nicht verstecken muss.
Denn die Gamer müssen es zum Beispiel bei der Viewability ganz genau nehmen, schließlich bewegt sich der Spieler individuell durch ein Game. Wie lange ist ein Video im Blickfeld des Spielers wirklich sichtbar? In welchem Winkel (3D) ist das Werbemittel zu sehen? Der Vorschlag von IAB und MRC sieht vor, dass alles, was in einem Winkel über 55 Grad (aus der Sichtachse des Users gesehen) angezeigt wird, nicht mehr gezählt werden soll.
Um das zu messen, wurde eine Art „Strahlenbündel“ von der Spielfigur oder (beim Ego-Shooter) von der Mitte des Monitors losgeschickt. Der Winkel, in dem die Strahlen auf eine sichtbare Werbefläche treffen, entscheidet darüber, ob bezahlt werden muss. Dabei ist nicht nur die eigene Positon des Spielers entscheidend, sondern auch, ob die Werbefläche durch Spieleobjekte oder andere Spieler verdeckt wird.
Das ist allerdings nicht die einzige Herausforderung für Programmatic Advertising at scale in der Spielebranche. Patrick Stolze von IAS sorgt sich auch um Fraud bzw. Invalid Traffic. „Ein fragmentiertes Ökosystem ohne formale Verantwortung und hohe CPMs, wie der In-Game-Advertising-Bereich, ist für Betrüger:innen noch attraktiver“, schreibt er in einer Kolumne beim Fachmagazin MEEDIA. Auch das – da ist man sich bei IAS natürlich sicher – lässt sich durch Tiefenmessung in den Griff bekommen. Performance-basierte Abrechnungsmodelle können helfen, solange die erzielte und zu vergütende Conversion nicht ebenfalls von Bots „durchgeführt“ wird. Die Mobile-Branche hat das leidvoll bei Werbung erlebt, die darauf abzielt, dass Apps installiert werden. Auch das lässt sich in betrügerischer Absicht automatisieren.
Was Marken aber vor allem brauchen, sind markensichere Umfelder. Selbst in an sich harmlosen Simulationsspielen wie The Sims können sich Szenen und Dialoge entwickeln, in deren Nähe die werbungtreibende Marke nicht gesehen werden möchte. Umgekehrt gibt es in Strategie-Spielen und sogar Shootern Situationen, die frei von Gewalt., Krieg oder Katastrophe sind und sich eventuell für Werbung eignen. Hier erkennt Patrick Stolze gewaltige Verbesserungen in den letzten Jahren. „Als Lösung für diese Herausforderung rücken fortschrittliche Objektanalyselösungen zunehmend in den Fokus, die kontextsensitive Avoidence und Contextual Targeting in 3-D-Spielumgebungen ermöglichen.“
Will sagen: Nicht zuletzt durch die sprachlichen Fähigkeiten der Large Language Models und das stetig besser werdende Verständnis für Bild und Video bei der KI lassen sich Umfelder wesentlich granularer und genauer beurteilen.
Wie wirbt man richtig?
Der Markt ist in Bewegung, aber er ist noch da, wo ihn die Werbungtreibenden haben wollen. Elf Prozent jährliches Wachstum ist ein guter Wert, aber von einem Boom ist die Branche weit entfernt. Das hat auch damit zu tun, dass Ingame-Advertising doch deutlich höhere Anforderungen an die Kreativabteilung in Sachen Werbemittelgestaltung stellt. Die goldene Regel lautet: Ein Werbemotiv darf das Gameplay nicht unterbrechen. Das erzeugt ein Spannungsfeld zur gewünschten Aufmerksamkeit auf dem Motiv. Nicht umsonst heißt ein beliebtes Designelement in der Werbung „Stöhrer“.
Einfacher wird es, wenn man sich mit Spielen auseinandersetzt, in denen die klassischen Regeln des Display- oder Videoadvertising gelten. Werbeunterbrechung für kostenlosen Spielekonsum, so lautet der Deal zwischen Publishern und Spielern, wenn es um Casual Games geht. Das sind die einfachen Spiele für zwischendurch, von Fruit Slice bis Quizduell. Viele davon sind enorm reichweitenstark und adressieren breite Zielgruppen.
Die Ad Alliance hat sich das Format jüngst in einer Studie genauer angeschaut. Fast die Hälfte der Befragten spielen wöchentlich über drei Stunden. Die beliebteste Werbeform sind sogenannte Rewarded Ads. Die Spielenden entscheiden selbst, ob sie eine Werbung sehen möchten, um beispielsweise eine Belohnung oder einen Vorteil im Spiel zu erhalten. Das erzeugt übrigens auch latenten Druck auf die Kreativabteilung: Wie gestaltet man Werbemittel so, dass sie angeschaut werden wollen.
Trotz der eher plumpen Form der Einbindung ist die Werbewirkung nach Ansicht der Ad Alliance erheblich. Im Nachgang erkennen etwa 39 Prozent der Spielerinnen und Spieler die Werbespots wieder und bewerten diese positiv.
Von anderen lernen
Inzwischen gibt es jede Menge Beispiele von Unternehmen, die erfolgreich in Spieleumgebungen geworben haben und an denen man sich ein Beispiel für eigene Experimente nehmen kann.
Maybelline (L´Oréal)
Wie einfach Spielewerbung sein kann, hat im Juni die L´Oréal-Tochter Maybelline vorgemacht. Unterstützt durch die Agentur Wavemaker warb man in der Zivilisationssimulation The Sims. Die meisten Werbemittel sind klassische Plakate. Und sie hängen in Malls, auf Plätzen, an Hausfassaden. Das ist im Gameplay absolut organisch und für die Agentur ein Klacks bei der Motiverstellung. Sieben Mio. Kontakte erzielte man in der 14-tägigen Laufzeit im Juni. Im Schnitt hatten die Spielerinnen vier Sekunden Kontakt zu den Werbemitteln. Avisierte Zielgruppe waren natürlich junge Damen zwischen 14 und 24. „Die Maybelline New York x Die Sims Mobile Game Kooperation passt hervorragend zu unserer Marke mit hoher Affinität zum jungen Makeup-Publikum.“, erklärt Stefan Merkel, Media & Digital Team Leader Maybelline New York bei L’Oréal DACH.
QuikTrip
Das Spannende an einer Aggregationsplattform wie Anzu ist, dass man spieleübergreifend targeten kann. Für die Fastfood-Kette QuikTrip ging es um Geotargeting, nämlich immer dann, wenn ein Spieler sich in der Nähe einer Filiale aufhielt. Drei Millionen unique Viewer wurden erreicht und insgesamt lief die Kampagne über 80 Spieletitel hinweg.
Tommy Hilfiger
Für die Modemarke Tommy Hilfiger ging es im Frühjahr vor allem um den schnellen Aufbau von Reichweite in einer jungen Zielgruppe. Ähnlich wie Maybelline plakatierte Hilfiger die Motive aus der aktuellen Frühjahrskollektion in unterschiedlichen Spielen. Eine Mischung aus Saison-Kampagne und Branding. Im Vergleich zu anderen Werbeformen erzielten die Spieleplakate eine um 14 Prozent höhere Werbeerinnerung. Noch spannender war die Performance-Wirkung: Um 23 Prozent stieg die Kaufabsicht. „Die Kampagne zeigte auch, dass Gamer ihre Einstellung zu unserer Marke ändern und in Zukunft eher kaufen oder die Marke weiterempfehlen“, meint Heather Morales, Senior Director of Media bei Tommy Hilfiger.
Axe (Unilever)
Schnelle Reichweite und Markenbekanntheit waren auch die Ziele einer Unilever-Kampagne in Südamerika. In Guatemala gibt es 6,5 Mio. Gamer bei einer Gesamtbevölkerung von 17 Millionen. Und statt teuer in TV-Werbung zu investieren, entschied man sich für eine Kampagne über mehrere Spiele und vor allem Spieleplattformen hinweg. Die Werbemittel von Axe wurden in mobile Games, PC-Spielen und in Roblox ausgespielt. Ein Dufthauch von Metaverse. Eine halbe Million Spieler wurden erreicht. Und worauf man bei Unilever besonders Wert legt: Der Anteil an Invalid Traffic lag bei 0,01 Prozent. Das ist in Südamerika ein sensationeller Wert. Display und Video-Ads leiden in Südamerika regelmäßig unter hohen Fraud-Zahlen.
Deutsche Telekom
In Retail Media gibt es zurzeit ein wichtiges Paradigma: Wenn ein Händler wie OBI Werbung von Marken schalten soll, die nicht dort verkauft werden, dann sollen sie bitte zur Customer Journey des Kunden passen. Das dachte sich auch die Deutsche Telekom: High Speed Internet für Gamer bewirbt man am besten mitten im Spiel. 160 Prozent mehr Aufmerksamkeit, 44 Prozent mehr Werbeerinnerung und 40 Prozent mehr Brand Consideration als in der werbefreien Vergleichszielgruppe lauten die beeindruckenden Werte. „Als Werbungtreibender ist es für uns essenziell, dass unsere Werbung in einer Unterhaltungsumgebung nicht als aufdringlich empfunden wird. Gleichzeitig wollen wir aber die Zielgruppe mit einer klaren, relevanten Botschaft erreichen“, sagt Julian Bretz Mediastratege bei der Deutschen Telekom.
Wenn man sich die Beispiele anschaut, gibt es eigentlich nicht mehr viele Ausreden für Marken, nicht mehr in Spielen zu werben. Auch für Recruiting-Kampagnen könnte sich das Umfeld eignen. Und der buchstäblich letzte Schrei auf dem Spielewerbemarkt ist Audiowerbung. So bekommt man auch im Metaverse den Seitenbacher-Mann auf die Kopfhörer.