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Stress im Projektmanagement durch chronische Dilemmata

Sich Handlungs- und Entscheidungskonflikte bewusst machen
Uwe Techt | 19.09.2014
In chronischen Konflikten zu stecken ist für den einzelnen Menschen nicht nur ein erheblicher Stressfaktor, es entstehen auch enorme schädliche Auswirkungen auf Arbeitsprozesse, Projektabläufe und demzufolge auf das gesamte Unternehmen. Mitarbeiter und Führungskräfte ordnen sich tendenziell den geltenden Regeln unter. Müssen sie deswegen gegen Unternehmensinteressen verstoßen, lässt dies ihr Vertrauen in das Unternehmen und die Führung schwinden. Da es außerdem schwer vorhersehbar ist, wie betroffene Personen – je nach aktueller Situation – entscheiden werden, nimmt die Komplexität der Organisation zu und ihre Steuerbarkeit ab.

Würde ein Unternehmen stets nur an einem einzigen Projekt arbeiten, wären die meisten Ressourcen oft ungenutzt, sprich im Leerlauf. Daher versuchen Unternehmen, ihre Wirtschaftlichkeit dadurch zu optimieren, dass sie mehrere Projekte gleichzeitig bearbeiten. Diese sind idealerweise zeitlich so angeordnet, dass die Ressourcen optimal ausgelastet sind. Daraus ergibt sich die typische Matrixorganisation eines Multiprojektunternehmens:
• Die Arbeit findet in Projekten statt. Projektmanager sind dafür zuständig, die bereitgestellten Ressourcen zielorientiert und effizient zu nutzen.
• Die Ressourcen, die für die Projekte benötigt werden, sind in Bereichen/Abteilungen gebündelt. Ressourcenmanager (Bereichs-, Abteilungs-, Teamleiter) sind dafür zuständig, Mitarbeiter für die Projekte bereitzustellen.
• Die in einem Projekt eingesetzten Ressourcen werden während der Laufzeit des Projektes in unterschiedlicher Intensität genutzt, wie nachfolgendes Beispiel zeigt:

In einem Unternehmen, das große Produktionsanlagen mit hohen technologischen Anforderungen entwickelt und produziert, sind am Anfang eines Projektes schwerpunktmäßig Technologen im Einsatz. Die Technologen erstellen das Anlagenkonzept, legen die Technologie fest und übergeben das Layout an die Konstruktion. Die Konstrukteure und Elektroingenieure erstellen das Design der Anlage und ihrer Komponenten, legen Fertigungs- und Montagezeichnungen an und übergeben diese an die Bereiche Beschaffung und Fertigung. Nachdem diese ihre Arbeit abgeschlossen haben, werden Komponenten montiert, die gesamte Anlage aufgebaut und zunächst mechanisch, dann elektrisch und schließlich technologisch in Betrieb genommen. Das Projekt endet mit einem abschließenden Test und dessen Akzeptanz durch den Kunden.

Knappe Ressourcen und deren effiziente Nutzung
Ressourcen kosten Geld; sie müssen auch dann bezahlt werden, wenn sie gerade nichts zu tun haben. Ressourcenmanager sind deshalb dafür verantwortlich, die Mitarbeiter möglichst gut auszulasten. Oft werden die Ressourcenmanager daran gemessen, wie viel Prozent der Arbeit ihrer Mitarbeiter auf Projekte gebucht werden können. „Jeder muss ständig beschäftigt sein“ ist eines der wichtigsten – oft ungeschriebenen – Gesetze. Der Auftragseingang sowie die gewünschten Liefer- oder Endtermine der Projekte richten sich allerdings nicht nach der optimalen Auslastung von Mitarbeitern und anderen Ressourcen, sondern nach den geschäftlichen Notwendigkeiten der Kunden. Projektmanager können daher die Projektpläne kaum so aufbauen und aufeinander abstimmen, dass alle Ressourcen kontinuierlich voll ausgelastet sind. In der Umsetzung der Projekte kommt es ohnehin oft anders als geplant: Ein verspätetes Projekt benötigt beispielsweise einen Mitarbeiter, der schon für ein anderes Projekt arbeiten soll. Mit anderen Worten: Die Nachfrage nach bestimmten Ressourcen schwankt mitunter sehr stark. Mal werden viele Entwickler angefordert, mal wenige, mal sind die Entwickler überlastet, mal haben sie relativ wenig zu tun. Ein ausgeglichener Zustand ist aufgrund von Variabilität weder theoretisch möglich noch kommt er in der Praxis vor. Ressourcenmanager stecken daher in mehreren, durch sie selbst nicht auflösbaren, chronischen Entscheidungs- und Handlungskonflikten:

Dilemma 1: Mehr oder weniger Kapazität aufbauen
Einerseits: Um Projekte jederzeit ausreichend mit Ressourcen versorgen zu können, müssen Ressourcenmanager so viele Ressourcen bereithalten, dass sie auch bei starker Ressourcennachfrage genügend Kapazität haben. Sie brauchen Reserven, ähnlich wie Stromversorger, bei denen genügend Kraftwerke bereitstehen, um auch in Spitzenzeiten (beispielsweise an Winterabenden) das Stromnetz stabil zu halten. Ressourcenmanager benötigen also Überkapazität, wobei sie in ruhigen Zeiten dafür den Preis zahlen müssen, nicht ausgelastet zu sein.
Andererseits: Um Verschwendung (unnötigen Mittelabfluss) zu vermeiden, dürfen auf keinen Fall signifikante Überkapazitäten aufgebaut werden. Immer wenn die Auslastung eines Bereichs unter einen bestimmten Wert sinkt, wird zwangsläufig – seitens Geschäftsführung oder Controlling – die Frage auftauchen, ob man nicht zu viele Ressourcen hat.
Fazit: Sowohl die Vermeidung von Verschwendung als auch die gute Ausstattung von Projekten mit Ressourcen sind aber zwingende Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen erfolgreich ist.

Wie sich Ressourcenmanager auch entscheiden, sie stehen immer im Konflikt:
• Wollen sie die Versorgung der Projekte durch Überkapazitäten sichern, handeln sie sich Ärger mit dem Controlling und der Geschäftsleitung wegen zeitweise freier Kapazitäten ein.
• Bauen sie die Überkapazitäten ab oder gar nicht erst auf, so beklagen sich die Projektmanager, denen die Ressourcen im entscheidenden Moment für ihr Projekt fehlen.
• So oder so hat die Entscheidung einen negativen Einfluss auf die wirtschaftlichen Ergebnisse.

Dilemma 2: Freie Kapazitäten zeigen oder nicht?
Einerseits: Um zuverlässig zu sein, dürfen Ressourcenmanager auf keinen Fall freie Kapazitäten sichtbar machen. Denn: Freie Kapazitäten werden abgebaut oder genutzt. Beides belastet die Zuverlässigkeit des Bereichs.
Andererseits: Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken, müssen Ressourcenmanager freie Kapazitäten unbedingt sichtbar machen. Denn: Nur wenn Kapazitäten frei sind, können mehr Projekte angeboten/ realisiert sowie die Projekte zu wettbewerbsfähigeren Preisen angeboten werden.
Fazit: Um in ihrer Arbeit als erfolgreich zu gelten, müssen Ressourcenmanager sowohl die Zuverlässigkeit ihres Bereichs sicherstellen als auch einen sichtbaren Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens leisten.

Dilemma 3: Mehr zusagen als der Bereich leisten kann – oder nicht?
Einerseits: Um die Ressourcen stets effizient zu nutzen und keinen Leerlauf zu haben, müssen Ressourcenmanager mehr Arbeit/ Projekte an die Unternehmensleitung zusagen, als ihre Bereiche tatsächlich leisten können. Denn: Aufgrund von Variabilität und Murphy’s Law kommt es oft vor, dass Projekte abgebrochen werden oder erst später als geplant in einem Ressourcenbereich ankommen; dann droht Leerlauf.
Andererseits: Um den Projekten zuverlässig die erforderlichen Ressourcen geben zu können, dürfen Ressourcenmanager auf keinen Fall mehr zusagen, als ihre Bereiche leisten können. Denn: es ist nicht sicher, in welchem Umfang Projektabbrüche und Verzögerungen vorkommen.
Fazit: Erfolgreiche Ressourcenmanager zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Ressourcen effizient nutzen und zuverlässig sind.

Da in den meisten Unternehmen die „lokale Effizienz“ eine dominante Rolle bei der Bewertung von Ressourcenmanagern einnimmt, sagen diese tendenziell mehr zu, als ihr Bereich leisten kann. Auch werden freie Kapazitäten eher verschleiert, um sie künstlich zu verknappen. Das mag zwar plausibel aus Sicht des Ressourcenmanagers sein, ist allerdings ebenso fatal für das Unternehmen.

Der ständige Kampf um Ressourcen
Die knapp gehaltenen bzw. künstlich verknappten Ressourcen erzeugen Probleme für die Projektmanager, die die Verantwortung dafür tragen, ihre Projekte rechtzeitig, im Kostenrahmen und mit den vereinbarten Inhalten abzuschließen. Sie planen die Ressourcen für ihre Projekte ein, können aber keineswegs davon ausgehen, dass die Ressourcen in dem Moment, in dem sie benötigt werden, tatsächlich zur Verfügung stehen. Stattdessen müssen sie während der Realisierung der Projekte immer wieder um die Ressourcen – zumindest um bestimmte Schlüsselressourcen – konkurrieren. Wenn unter Zeit- und Kostendruck stehende Projekte um Ressourcen konkurrieren, müssen Prioritäten gesetzt werden. Prioritäten zu setzen bedeutet, bestimmte Projekte zu bevorzugen – zu Lasten anderer Projekte. Die Manager benachteiligter Projekte sind mit der jeweiligen Prioritätsentscheidung nicht einverstanden, denn ihre Chancen, zuverlässig zu liefern, sinken. Um die ihnen nicht zur Verfügung gestellten (bzw. in Folge einer Umpriorisierung abgezogenen) Ressourcen zu bekommen, müssen Projektmanager aktiv werden, indem sie
• die Bedeutung ihres Projektes sowie den möglichen Schaden durch die Verspätung ihres Projektes „hochargumentieren“
• Netzwerke knüpfen und nutzen
• Druck ausüben
• an höhere Managementebenen eskalieren

So wird aus der Konkurrenz um Ressourcen ein Kampf um Ressourcen. Auf Basis dieser Überlegungen wundert es kaum, dass die besten Projektleiter heute in erster Linie Beziehungsmanager sind. Je besser sie ihr Netzwerk im Unternehmen geknüpft haben, desto leichter werden sie über ihre Beziehungen an die nötigen Ressourcen kommen – und desto erfolgreicher sind ihre Projekte. Diese Strategie mag ihre Projekte retten, doch wird sie zu Lasten der Projekte ihrer Kollegen gehen. Dem einzelnen Projekt mag damit geholfen werden, nicht aber der Gesamtorganisation.

Als Folge etablierter Managementmechanismen stecken gerade im (Multi-)Projektmanagement Mitarbeiter und Führungskräfte oft in Handlungs- und Entscheidungskonflikten. Die typischen, chronischen Dilemmata sorgen dafür, dass Projekte später/nicht richtig/teurer abgeschlossen werden oder sogar scheitern. Hinzu kommt ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor für den einzelnen Menschen. Allein das Bewusstmachen dieser Dilemmata sorgt dafür, dass in Unternehmern alte Vorgehensweisen hinterfragt werden und Mitarbeiter im Projektmanagement so die Chance erhalten, gemeinsam grundlegende Verbesserungen anzugehen.

* Uwe Techt ist Geschäftsführer der VISTEM GmbH & Co. KG und gilt als Vorreiter im deutschsprachigen Raum für die Nutzung der Theory of Constraints (TOC) und des Critical Chain Projektmanagements. Als strategischer Denker für grundlegende Verbesserungen und Durchbruchsinnovationen ist der Topmanagement Coach auch gefragt als Speaker und Autor. Zuletzt von ihm erschienen ist das Fachbuch „PROJECTS that FLOW“. Weitere Informationen unter www.uwetecht.de sowie www.vistem.eu
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Uwe Techt ist Geschäftsführer von Vistem und gilt als der Vorreiter und Experte für die Nutzung der „Theory of Constraints (TOC)“.