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Der Pfad zur Harmonie

Wie Unternehmen ein produktives Umfeld schaffen
Uwe Techt | 07.03.2016
Unternehmen bestätigen ihren Mitarbeitern gerne lautstark und öffentlich, sie seien ‚das wahre Kapital des Unternehmens‘, und dass ‚glückliche Mitarbeiter zu einem gesunden Unternehmen führen‘. In der Praxis ist dies oft kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Das Arbeitsumfeld – von Misstrauen und Konflikten geprägt – ist vielfach frustrierend und demotivierend.

Verwundern mag das nicht, denn (Allzu-)Menschliches ist sicher eines der schwierigsten Elemente effektiven Managements. Zufriedenheit lässt sich schlecht messen und menschliche Verhaltensweisen werden gern als unvorhersehbar und irrational (da emotional) abgetan. Und doch besteht kein Zweifel daran: Ein zufriedener, dem Arbeitsgeber wohlgesonnener Mitarbeiter, ist ohne Frage produktiver und motivierter, zeigt mehr Initiative und Kollaborationswillen. Genau diese Eigenschaften sind entscheidende Zutaten eines innovativen, florierenden und flexiblen Unternehmens. Dies zu ignorieren, weil es ‚schwierig’ zu handhaben ist, scheint ein dramatischer Fehler. Im Artikel ‘Can a manager really motivate others? Engines of Disharmony’, erklärt Martin Powell: „Wollen Sie die Kultur Ihres Unternehmens ändern, dann wird diese Arbeit ‚an den Menschen’, die soziale Komponente, ein langer und frustrierender Prozess, wenn sie nicht zuerst das System selbst in Schuss bringen, indem Sie die Engines of Disharmony beseitigen!“

Die Engines of (Dis)Harmony
Dr. Eliyahu Goldratt hat die Hauptauslöser der häufig präsenten Unzufriedenheit identifiziert – natürlich mit dem Ziel, sie zu beseitigen und Zufriedenheit herzustellen. Er nannte sie die ‚Engines of Disharmony“ und setzte ihnen die ‚Engines of Harmony’ – sozusagen den erwünschten Zustand – gegenüber.

ENGINES OF DISHARMONY
1. Ich weiß nicht, was mein Beitrag zur Zielerreichung ist, und ich weiß auch nicht, wie mein Beitrag bewertet / anerkannt wird.
2. Ich weiß nicht, was der Beitrag anderer ist, und ich weiß auch nicht, wie sie bewertet / anerkannt werden.
3. Organisatorische Konflikte darüber, welche Regeln am besten anzuwenden sind, um das organisatorische Ziel zu erreichen.
4. Trägheit / Angst vor dem Scheitern verhindert notwendige Veränderungen und eine kontinuierliche Verbesserung.
5. Individuelle Konflikte wegen bestehender Lücken zwischen Verantwortung und Befugnis (führt zum “Feuerlöschen”).

ENGINES OF HARMONY
1. Ich weiß genau, was mein Beitrag ist und wie mein Beitrag bewertet / anerkannt wird.
2. Ich weiß genau, was andere beizutragen haben und wie ihr Beitrag bewertet / anerkannt wird.
3. Systematische Ausrichtung der Regeln mit dem Ziel der Organisation (ersetzen der lokalen / kurzfristigen Optima mit Regeln für ein globales Optimum).
4. Prozesse, Skills und Kultur ausgerichtet auf eine kontinuierliche Verbesserung durch das Aufdecken von Widersprüchen und Infragestellen von Grundannahmen.
5. Systematisches Schließen aller Lücken zwischen Verantwortungen und Befugnissen. Das “Feuerlöschen” wird zum Anstoß für Konfliktlösungen.

Grundlegend für Goldratt ist der japanischen Kulturbegriff Wa, der mit ‚Harmonie’ übersetzt wird. Der Fokus liegt dabei auf einer harmonischen Gemeinschaft, die über den individuellen Interessen steht. Die im Westen revolutionär anmutende Idee, Wohlergehen und harmonisch Zusammenarbeit der Mitarbeiter in den Vordergrund zu stellen, anstatt reinen Profit anzustreben, sprach Goldratt direkt an. Er erkannte: Ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen von sich aus motiviert sind, dem Unternehmen zu seiner Zielerreichung zu verhelfen, würde letztlich nur positive Auswirkungen haben. Die identifizierten Engines of Disharmony haben zudem zahlreiche schädliche Effekte, die viel weiter gehen als nur suboptimale Unternehmensleistung:

• Mitarbeiter, die den Sinn einer Initiative sowie ihre eigene Rolle darin nicht erkennen, werden sich ihr oft widersetzen oder zumindest nicht aktiv dazu beitragen.
• Konflikte sind an der Tagesordnung: sie verschwenden Zeit, Energie und absorbieren oft unnötig Management-Aufmerksamkeit.
• Um Konflikte zu lösen, werden Kompromisse getroffen, die für alle Seiten unzufriedenstellend sind.
• Misstrauen und Feindseligkeit bestimmen die Zusammenarbeit und führen zu Spannungen zwischen einzelnen Bereichen.
• Ist jeder nur auf seine eigenen (lokalen) Interessen ausgerichtet, werden Entscheidungen getroffen, die gegen die übergreifenden Ziele des Unternehmens gehen.
• Ungültige oder aktiv schädliche Vorgehensweisen bleiben erhalten, weil sie niemand hinterfragt oder rare Verbesserungsvorschläge als nicht praktikabel abgetan werden.

Wie aber können Unternehmen diese negativen Symptome beseitigen? Wie wird aus Disharmonie endlich Harmonie?

Mit systemischer Veränderung zur Harmonie
Die angestrebte Veränderung betrifft das gesamte Unternehmen. Dabei ist der grundlegende Kulturwandel keineswegs unmöglich, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen prinzipiell gut sind. Das heißt, sie wollen Sinn in ihrer Arbeit sehen, sie wollen mit anderen produktiv und harmonisch zusammenarbeiten und sie wollen einen positiven Beitrag zum Unternehmen leisten. In der Praxis bietet die Theory of Constraints für jede der Engines konkrete Tools, die helfen, den Weg von der Disharmonie zu Harmonie zu gehen. Wichtig ist, dass sich dieser in den gesamten Prozess der Kontinuierlichen Verbesserung einfügt. Keines dieser Tools ist ein Zaubertrick, der punktuell und isoliert eine bahnbrechende Veränderung verursacht – selbst wenn mit großer Wahrscheinlichkeit auch dann positive Auswirkungen zu spüren wären. Doch in der Gesamtheit bietet ein rundum gesund funktionierendes Unternehmen ein Umfeld, in dem Mitarbeiter sich wohl fühlen und gute Leistung erbringen können.

Eine solide Struktur stützt den professionellen Umgang
Damit Menschen im professionellen Umfeld effektiv miteinander umgehen können, brauchen sie klar definierte Rollen und Verantwortungen – was leider in der Praxis viel zu selten der Fall ist. Auf diese Weise brechen die Engines of Disharmony eine nach der anderen auf und legen ihre darunterliegenden Ursachen frei, die anschließend mit anderen Tools beseitigt werden können:

1. Jede Rolle im Unternehmen wird mit all ihren Funktionen genau definiert, und zwar in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Mitarbeiter. So bleiben keine Unklarheiten bezüglich Verantwortlichkeiten, etwaige Fragen können geklärt werden. Jeder Mitarbeiter weiß fortan genau, wo er steht.
2. Der gleiche Effekt ergibt sich in Bezug auf alle anderen Funktionen und Mitarbeiter: der zweite Engine of Disharmony ist beseitigt.
3. Konflikte und Widersprüche (bei Regeln und Verantwortlichkeiten) werden identifiziert und von den zuständigen Management-Levels geklärt oder beseitigt. Wichtig ist hier, dass die Prioritäten allen klar sind: Lokale Effizienzen dürfen nicht das Unternehmensziel behindern.
4. Audits dienen dazu, ungültige oder schädliche Regeln aufzuzeigen. Anhand einer Change Matrix werden die notwendige Veränderung erarbeitet.
5. Häufige Feuerlöschaktionen, die in Phase 2 identifiziert wurden, dienen als Hinweis auf Lücken zwischen Befugnis und Verantwortlichkeit. Diese können anhand der Feuerwolke geschlossen werden.

Regeln auf dem Prüfstand
Die Feuer-Wolke beschäftigt sich konkret mit dem Konflikt zwischen einer notwendigen Handlung einerseits, und einer sie behindernden Regel andererseits:

Grafik Feuerwolke

Um die Feuer-Wolke zu erstellen, notieren Sie zuerst das Bedürfnis, das Ihre Handlung erfüllen muss (B), dann die Regel, die Sie daran hindert (D‘). Anschließend kommt die Handlung selber (D) sowie das Bedürfnis, das durch die Regel geschützt wird. Zuletzt kommt das (gemeinsame) Ziel. Stellen Sie die Cloud jemandem vor, beginnen Sie am besten mit der Seite, mit der sich die Person selber identifiziert – so verhindern Sie Widerstände. Ein Beispiel der dargestellten Situation wäre ein Kunden-Service-Manager, der bezüglich einer Bestellung dringend eine Antwort von einem schwierigen Kunden benötigt. Allerdings darf nur der (derzeit abwesende) Key-Account-Manager den Kunden kontaktieren. Diese blockierenden Regeln haben meist einen Grund, doch wurden bei ihrer Aufstellung oft nicht alle potentiellen Auswirkungen bedacht. Das Resultat ist eine Prozedur, die dem Unternehmen in vielen Situationen mehr schadet als nutzt: Es mag die Beziehung zum Kunden glätten, wenn er einen einzelnen Ansprechpartner hat. Doch bei dringenden Entscheidungen kommt es so zu Verspätungen und entsprechend für beide Seiten zu Nachteilen.

Grafik Ist das so?

Es gilt also, die Annahmen zu hinterfragen, die dem Vorgang zugrunde liegen, und zu bestimmen, welche ungültig sind und ersetzt werden können. In unserem Beispiel ließe sich zum Beispiel feststellen, dass die verspätete Fertigstellung der Bestellung den Durchsatz des Unternehmens weit mehr verringert, als es die (hypothetisch) beeinträchtigte Beziehung zum Kunden täte, wenn dieser tatsächlich verärgert wäre über den Anruf.

Zufriedene Mitarbeiter sind bessere Mitarbeiter!
Auf diese Weise wird die gesamte Unternehmensstruktur auf Herz und Nieren geprüft und im Einvernehmen aller verbessert. Ungültige oder schädliche Regeln werden beseitigt oder angepasst. Dabei ist es wichtig, die nötige Offenheit an den Tag zu legen: Werden Mitarbeiter dazu ermutigt, Missstände zur Sprache zu bringen, müssen diese auch ernsthaft diskutiert werden. Dabei muss sich nicht zwingend herausstellen, dass eine Änderung nötig oder die beste Lösung ist. Doch dies lässt sich nur dann herausfinden, wenn alles in Betracht gezogen wird.

Am Ende steht ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern ein angenehmeres Arbeitsumfeld bietet. Alle kennen die gemeinsamen Ziele und haben verstanden, dass es in jedermanns Interesse ist, gemeinsam auf sie hinzuarbeiten. Dass sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach der Durchsatz erhöht und das Unternehmen dauerhaft profitiert, sei als ein positiver Nebeneffekt des eigentlichen Ziels genannt: zufriedenere Mitarbeiter.
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Uwe Techt ist Geschäftsführer von Vistem und gilt als der Vorreiter und Experte für die Nutzung der „Theory of Constraints (TOC)“.