Frag den Bot: Wie künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert
Die Welt ordnet sich neu: in Netzwerken. Der Megatrend Konnektivität verändert die Art, wie wir leben. Es entsteht eine globale Netzwerkstruktur, die das Verhalten des Einzelnen prägt: Wir sind rund um die Uhr vernetzt. WhatsApp, iMessage, Facebook Messenger und Skype sind unsere ersten Anlaufstellen, um Freunden, Kollegen oder der Familie mitzuteilen, was uns gerade bewegt. Alles passiert in Echtzeit: Brennt uns eine Frage auf den Nägeln, fragen wir Google. Das Internet ist unser selbstverständlicher Begleiter – immer und überall.
Digitale Datenberge
Bei jeder Aktivität im Netz hinterlassen wir Datenspuren. Jedes Mal, wenn wir eine Frage in Googles Suchschlitz eintippen, erhebt der Konzern personenspezifische Daten. Auf diese Weise lernt Google, was wir mögen und was uns interessiert. Auch Facebook, Microsoft, Apple und Amazon wissen, was uns gefällt. Das Ergebnis: Eine unvorstellbare Masse an Daten unterschiedlichster Quellen, die herkömmliche IT-Systeme nicht mehr verarbeiten können. Big Data beschäftigt sich mit der intelligenten Analyse dieser digitalen Datenberge. Wo die menschliche Vorstellungskraft endet, setzt künstliche Intelligenz an: Die Auswertung großer Datenmengen ist zu einer Hauptaufgabe KI-basierter Systeme geworden. Die digitalen Weltkonzerne investieren Milliarden in die Erforschung künstlicher Intelligenz.
Big Brother in der Hosentasche
Bei künstlicher Intelligenz denken die meisten Menschen an humanoide Roboter und selbstfahrende Autos – doch künstliche Intelligenz steckt auch in unserer Hosentasche. Mein Smartphone trackt, wo ich mich aufhalte. Es erstellt ein Bewegungsprofil und empfiehlt mir, wann ich zur Arbeit fahren soll. Habe ich mit Stau zu rechnen, weckt mich mein virtueller Assistent eine Stunde früher, damit ich nicht zu spät komme. Um ein optimales Suchergebnis zu liefern, greifen Apple, Microsoft und Google auf riesige interne und externe Datenbanken zurück. Zusätzlich lesen sie unsere Datenspuren: Digitale Assistenten überwachen unser Surfverhalten. Sie lernen unsere Gewohnheiten und Vorlieben kennen und eignen sich wertvolles Kontextwissen an. Auf diese Weise stellen sie stichgenaue Prognosen in Bezug auf Bewegungsdaten und Kaufgewohnheiten der Nutzer. Das E-Mail-Postfach verrät, wohin der nächste Urlaub geht, Kalender und Kontakte informieren über das Kommunikationsverhalten des Nutzers. Das Smartphone wird zu Big Brother in der Hosentasche.
Plaudertasche Smartphone
Siri, Cortana, Google Now – Intelligente Plaudertaschen
Digitale Sprachassistenten zeigen, wie selbstverständlich wir heute mit künstlicher Intelligenz interagieren. Wir sprechen mit unserem persönlichen Assistenten wie mit einem menschlichen Gegenüber. Auf Zuruf führen Siri, Cortana und Google Now Befehle aus. Nach einer Studie des Digitalverbandes Bitkom bedient inzwischen jeder zweite Smartphone-Nutzer sein Gerät per Stimme. Siri schlägt mir ein Restaurant in der Nähe vor, sie erinnert mich, im Supermarkt Bananen zu kaufen und verwaltet meine Termine. Ist mir langweilig, erzählt sie mir einen Witz. Und wenn sie mich einmal nicht versteht, sehe ich es ihr nach – sie lernt ja noch.
Apple, Microsoft und Google setzen auf Deep Learning, eine Methode der Informationsverarbeitung mit künstlichen, neuronalen Netzen. Deep-Learning-Verfahren orientieren sich am menschlichen Gehirn. Der größte Vorteil: Die Software lernt. Big Data eignet sich hervorragend, um neuronale Netze zu trainieren. Auf diese Weise lernen Algorithmen, wiederkehrende Muster zu erkennen – etwa bei der Bild- und Sprachverarbeitung.
Stehen wir kurz vor der Bot-Revolution?
In Zukunft werden wir mit unseren Computern sprechen – und sie mit uns: Das verkündete die Linguistik-Expertin Lesley Carmichael von Microsoft auf der diesjährigen Entwicklerkonferenz. Einen Vorgeschmack auf dieses Szenario bieten Chatbots. Die Vision: Die intelligenten Dialogsysteme sollen Webseiten und Apps als hauptsächliche Benutzerschnittstellen ablösen. Unternehmen, Medien und Dienstleister sollen eigene Bots einsetzen, um Kunden direkt anzusprechen.
Ein Beispiel:
Erkennt meine Assistentin Cortana, während eines Skype-Gesprächs, dass ich einen Kurzurlaub plane, trägt sie den Zeitraum in meinen Kalender ein. Cortana kennt meine Vorlieben genau und aktiviert einen Airbnb-Bot in der jeweiligen Stadt. Der Bot empfiehlt mir mehrere Wohnungen und fragt mich, wie viel ich ausgeben möchte. Bereitwillig beantworte ich die Fragen – auf diese Weise findet der Bot das optimale Angebot für mich. In Zukunft werden wir Reisen planen, ohne Skype je verlassen zu müssen – und das nur noch über Sprache.
Auch Facebook stellte vor wenigen Wochen Chatbots für den hauseigenen Messenger vor. Einer der neuen virtuellen Assistenten in Facebooks Messenger ist Poncho, die Wetterkatze. Als Maskottchen des gleichnamigen Wetterdienstes ist Poncho ausgewiesener Experte für Wetteransagen – so die Theorie. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Unterhaltung mit Poncho eher frustrierend als erhellend. Selbst die einfache Frage nach dem Wetter von morgen bereitet dem Bot Kopfzerbrechen.
Sind Chatbots noch zu doof?
KI-Forscher sind sich einig: Mit jeder Interaktion werden Bots dazu lernen. Je häufiger sie im Einsatz sind, desto besser sollen sie natürliche Gespräche simulieren können. Dass künstliche Intelligenz auch nach hinten losgehen kann, beweist Tay, ein Chatbot von Microsoft. Tay sollte lernen, wie junge Menschen miteinander reden. Keine 24 Stunden, nachdem Tay auf die Twitter-Gemeinde losgelassen wurde, musste Microsoft den Versuch abbrechen: Die Nutzer fütterten Tay mit rassistischen und sexistischen Kommentaren – der Bot plapperte sie munter nach.
Künstliche Intelligenz – 5 Thesen für die Zukunft
So ganz rund läuft die Mensch-Bot-Interaktion noch nicht. Dennoch steckt ein gewaltiges Potenzial in künstlich-intelligenten Systemen. Aber was bedeutet das konkret?
Computer verschwinden – aber nicht ganz
Von begriffsstutzigen Chatbots lässt sich Google nicht beirren – auch dieses Jahr wirft der Konzern mit dem „Founders Letter“ einen Blick in die Kristallkugel. Das Ergebnis: Künstliche Intelligenz wird die Zukunft der Computer-Technik bestimmen. Google’s CEO Sundar Pichai macht unmissverständlich deutlich, welches Potenzial der Konzern in KI-Systemen sieht. Die Post-PC-Ära habe längst begonnen, der Computer als Gerät löse sich auf. Was bleibt sind intelligente Assistenten, die uns durch den Tag führen werden. Künstliche Intelligenz wird so bedeutend sein wie Smartphones und mobile Dienste heute – AI first, statt mobile first, sozusagen.
Intelligente Assistenten werden zur universellen Schnittstelle
Siri ist Geschichte – auf der Disrupt Konferenz von TechCrunch in New York führte das Unternehmen Viv Labs den persönlichen Assistenten Viv vor. Hinter dem Startup stehen Dag Kittlaus und Adam Cheyer, die Entwickler von Siri. Nachdem Apple die Technologie im Jahr 2010 übernahm, verabschiedeten sich Siris Schöpfer, um an einem intelligenteren Assistenten zu arbeiten. Viv ist ein offenes System, das Schnittstellen von Drittanbietern miteinbezieht – während Siri noch im Web sucht, greift Viv direkt auf den passenden Webdienst zu. Siris intelligenter Nachfolger versteht auch komplexe Anfragen – er kann Pizza bestellen, einkaufen und Geld überweisen. In Zukunft soll Viv auch in Fernseher, Autos und Heimelektronik eingebaut werden – eine universelle Schnittstelle für alle persönlichen Belange.
Nie wieder tippen und klicken – Sprachinteraktion wird noch wichtiger
Schon im vergangenen Jahr verzeichnete Google mehr Suchanfragen über Mobile Devices als über stationäre Computer. Auch Wearables sind auf dem Vormarsch. Auf lange Sicht werden wir kein haptisches Interface mehr brauchen. Sprachinteraktion wird nicht nur mit digitalen Assistenten möglich sein – wir werden auch mit Kühlschränken, Fernsehern und Waschmaschinen sprechen. Die intelligenten Systeme werden nicht nur erkennen, was wir sagen, sondern auch, wie wir es meinen. Ihr linguistisches Verständnis macht sie zu echten Gesprächspartnern.
Digitale Assistenten sind die Gatekeeper von morgen
Anstelle der klassischen Suchmaschinennutzung wird der Dialog mit dem persönlichen Assistenten treten. Googles „Mobile Voice“-Studie belegt: Bereits 2014 nutzten 55 Prozent der 13- bis 18-Jährigen täglich die Sprachsuche – Tendenz steigend. Was ändert sich dadurch? Einkaufen wird noch bequemer: Sprachassistenten übernehmen die Suche nach dem optimalen Produkt und bestellen es. Die andere Seite der Medaille: Während Suchmaschinen wie Google oder Bing eine seitenlange Auswahl an Treffern bieten, versprechen digitale Assistenten auf Anhieb ein optimales Ergebnis zu präsentieren. Auf diese Weise bekommen Kunden viele Angebote gar nicht erst zu Gesicht – die nächste Filterblase wird soeben vorprogrammiert.
Bots sind die Fachverkäufer der Zukunft
Keine zeitaufwändigen Recherchen mehr: Die virtuellen Assistenten der Zukunft finden für uns die passenden Produkte. Sie verfolgen aktuelle Trends und kennen die besten Deals. In einem interaktiven Verkaufsgespräch nehmen sie sich Zeit für unsere Vorlieben und gehen auf unsere Bedürfnisse ein – die Bots werden zu persönlichen Stilberatern.
Ein Beispiel:
Ein Kunde möchte sich neue Sportschuhe kaufen. Der Bot eines Online-Versandhändlers stellt dem Kunden eine Reihe Fragen: Wie viel Geld möchten Sie ausgeben? Wie zufrieden waren Sie mit Ihren letzten Sportschuhen? Auf welchem Untergrund laufen Sie für Gewöhnlich? Sie tragen gerne schwarz – sollen Ihre Sportschuhe auch schwarz sein? Kunden müssen sich in Zukunft nicht mehr mit unzähligen Optionen herumschlagen – unsere persönlichen Assistenten präsentieren uns eine handverlesene Auswahl von Produkten. Aber kann der Dialog mit einem Chatbot wirklich die persönliche Beratung durch einen Fachhändler ersetzen? Ein Bot kann Körpergröße und Gewicht abfragen – aber woher soll das System wissen, welcher Schuh zur Fußanatomie des Kunden passt? Ob ein Chatbot als qualifizierter Berater taugt, wird sich daher im Einzelfall entscheiden.
Zusammengefasst: Virtuelle Assistenten werden unsere ständigen Begleiter werden. Sie werden wissen, was wir tun und wo wir es tun. Sie werden unsere Vorlieben kennen, unsere Wünsche und unsere Abneigungen. Intelligente Assistenten werden unsere engsten Vertrauten sein.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Patricia Da Costa. Sie ist Redakteurin bei der Kreativagentur artundweise in Bremen.