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Trends im E-Commerce: Was bleibt vom Hype?

Ein Blick in den Rückspiegel und nach vorne: Was an den Trends dran ist, woran sie letztlich scheitern und worauf man wirklich achten sollte.
Bertold Raschkowski | 15.01.2018
Die Zeit um den Jahreswechsel ist eine beliebte Zeit für Ausblicke, Trends und Trendstudien. Gerade der elektronische Handel kann das sehr gut. Wobei um genau zu sein: Es sind mehr die technologischen Lösungsanbieter und Unternehmensberatungen als der Handel selbst. Letzterer, insbesondere wenn er stationär stark verwurzelt ist, gehört selten bis gar nicht zu den Trendsettern oder Innovatoren. Jedenfalls nicht aus eigenem Antrieb. Das wird sich vermutlich erst dann ändern, wenn man gemerkt hat, dass a) das Internet doch nicht mehr weggeht und b) Jeff Bezos einen Laden aus Ziegel und Zement neben den eigenen gebaut hat.

Aber auch dann ist eher mit einer jammernden Abwehrhaltung zu rechnen, die möchte, dass der Markt zu eigenen Gunsten reguliert wird. Alternativ und parallel wird diskutiert, wie man sich denn aufstellen kann um der (bösen) Konkurrenz den Garaus machen zu können.

Also wird nach Trends und Innovationen gesucht, nach dem nächsten großen Ding gesucht, mit dem die Schlacht am Markt zu gewinnen ist.

Das interessante ist: Sie können sich die vor 5 oder 6 oder 7 Jahren aktuellen Themen Im (Online-) Handel ansehen, das Datum auf heute ändern und zack, haben sie einen ebenfalls aktuellen Trend-Report. Manche Dinge scheinen in der freien Wildbahn länger zu dauern, andere kommen mit etwas Verspätung wieder an die Oberfläche. Im Prinzip also nichts Neues.

Beispiele gefällig?


2011 hat eine chinesische Telekommunikations-Firma einen High-Tech-Einkaufswagen vorgestellt, der mit Hilfe eines Tablet den Weg im Laden weist, auf Sonderangebote hinweist, Daten analysiert und den Checkout vereinfacht. Ende 2017 finden wir Prototypen / Testinstallationen hierzulande mit dem Namen Wanzl Connect, die einem irgendwie bekannt vorkommen.

Der Dauerbrenner seit Jahren: Multi-, Omni-, Cross- und wie auch immer Channel. Die Fragestellungen und Herausforderungen haben sich nicht wirklich geändert. Die Lösungsvorschläge scheinen sich jedoch zunehmend in eine Richtung zu konzentrieren: Der Kampf gegen Amazon (und Co.).

Analytics und Algorithmen im Allgemeinen, die Übertragung von Online-Analyse-Methoden auf den stationären Handel mit Hilfe von WLAN-Tracking, Gesichtserkennung und Co. im Besonderen. Der Begriff Big Data ist zwar nicht mehr so häufig zu lesen, der Kern jedoch ist und bleibt ein Dauerbrenner.

Fokus auf das Wesentliche


Wohin die Aufmerksamkeit geht, dorthin fließt auch die Energie. Im Zweifel auch das Geld. Beides sind Ressourcen, die Ihnen fehlen, wenn Sie Ihr Geschäft voranbringen wollen, jedoch statt eigener zielführender Aktivitäten wie ein Kaninchen auf die Amazon- oder Digitalisierungsschlange starren oder Trend-Reports verschlingen.

Keine neue Erkenntnis: Versuch macht klug, experimentelle Optimierung ist angesagt. Das ist keine Erfindung aus einem Keller im Silicon Valley! Im klassischen Handel haben Wissenschaft und Forschung das bereits vor mehr als 30 Jahren empfohlen. Heute sind die Voraussetzungen allerdings aufgrund der technischen und analytischen Möglichkeiten dafür besser denn je. Besser denn je um eigene Lösungen und Konzepte für die bestehenden und zukünftigen Kunden zu entwickeln. Klingt trivial, ist es aber keinesfalls.

Woran hapert es denn?


Wo wir gerade bei den Hinderungsgründen und Begrenzungsfaktoren für die flächendeckende Übernahme von Innovationen und Trends sind und einen unpassenden Fokus und fehlende Experimentier- und Risikofreude als wichtige Gründe identifiziert haben. Ein weiterer Grund ist nicht weit: Die ausgeprägte Bashing-Mentalität hierzulande. Ich habe das Gefühl, dass in Fachkreisen die Freude (gepaart mit entsprechend hoch dosierter Häme) am Scheitern neuer Konzepte und der misslungenen Umsetzung / Adaption von (technischen) Trends um ein Vielfaches höher ist, als die Anerkennung für die Marktbegleiter, dieses gewagt zu haben.

Dieses Setting in Verbindung mit dem Faktor Mensch in der Organisation - der sich nicht wirklich ändern möchte und das in die Organisation trägt - konserviert mehr oder weniger den Status quo. Geht auch so... und die anderen sollen sich mal die blutige Nase holen. Am besten tun wir erstmal nix und dann, wenn der Trend oder die Innovation irgendwo und irgendwie Alltag geworden ist, dann steigen wir ein.

Es ist bestimmt keine schlechte Idee, auf erprobte Modelle zurückzugreifen - am besten wissenschaftlich belegt (was immer das auch sein mag). Dann weiß man, dass es funktioniert. Der Haken ist: Diese Philosophie führt mit absoluter Sicherheit auf die hinteren Plätze.

Und wenn der Handel dann doch tatsächlich etwas umsetzt - Trend hin, Innovation her - dann muss es nur noch der Kunde toll finden und akzeptieren. Das ist die letzte und sehr kritische Hürde. Wer es allerdings nicht probiert, wird nie erfahren, ob das Konzept aufgeht.

Trend oder Hype – was also soll ich im Blick haben?


Neben einigen anderen operativen und strategischen Themen sollten wir vielleicht doch drei Dinge im Augenwinkel haben, die unser Geschäft und unser Leben im und mit dem Handel zukünftig stark prägen werden:

- Steuerung der Devices durch Gedanken
Die aktuell gehypte Sprachsteuerung ist aus meiner Sicht eine Krückentechnologie - und zu langsam, um zum Beispiel durch einen Online-Shop zu blättern. Bereits vor 6 Jahren zeigte die Firma g.tec auf der CeBit wie man ein Computerspiel per Gedanken steuern kann. Noch etwas langsam und mit vielen Kabeln, aber hey, das war 2012. Es wird nicht mehr so lange dauern, bis das Smartphone in der Tasche bleiben kann und Alexa uns wortlos versteht.

- 3-D-Druck Technologien
Ende 2012 war es eine recht große Meldung, dass Staples seinen Kunden in den eigenen Läden ermöglicht, Gegenstände in 3-D auszudrucken. Heute sind die entsprechenden Drucker quasi für jeden erschwinglich und verarbeiten immer mehr Materialien. Ich gehe davon aus, dass bestimmte Produkte (Lebensmittel eingeschlossen!) zukünftig dezentraler produziert werden können - und es werden. Einige dann sogar direkt im eigenen Wohnzimmer. Das bedeutet in der Konsequenz einen völlig anderen Markt für diese "Drucker". Die Logistik wird sich entsprechend entwickeln (müssen), da mehr Rohstoffe für den Druck transportiert werden müssen. Weniger Endprodukte werden verschickt, vermutlich werden weniger Verpackungen nötig. Weniger Lagerkapazitäten für Fertigprodukte werden benötigt.

- Analytics und individueller, wirklich user-spezifischer Content
Nein, das ist nicht neu. Ich behaupte, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass (wenn es nicht sowieso schon passiert) wir in der Kommunikation (sei es Direktansprache oder Produktbeschreibungen im Netz) persönlich genau die Argumente geliefert bekommen, die uns zum Kauf triggern. Ein Algorithmus weiß, welche Eigenschaften des Produktes uns wichtig sind, welche persönlichen Motive den Kauf begünstigen und in welchem Wording zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort wir am besten angesprochen werden.

Wenn sich dem Multi- oder Omni-Channel Händler / Marketer dann noch die Daten aus der realen Welt der Geschäfte erschließen (wie bewegt sich der Kunde im Laden, welche Produkte interessieren ihn, was legt er in den Einkaufskorb und was davon kauft er tatsächlich, bleibt er vor dem Schaufenster stehen, kommt er wieder und dann ins Geschäft?) UND er sie mit den Daten aus dem Netz verknüpfen kann (und es tatsächlich tut und tun darf), werden wir in eine neue Dimension der Kaufverhaltenssteuerung eintreten. Technisch ist all das bereits seit vielen Jahren möglich und keine Raketenwissenschaft mehr. Insofern dürfte es an dieser Stelle keine Überraschungen geben, oder?