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Customer Journey: Nur konsistent das perfekte Kundenerlebnis

Nur wer eine konsistente Customer Journey über alle Touchpoints hinweg bietet, wird aus Kunden Käufer und Wiederkäufer machen.
Carsten Rust | 10.09.2018
© Pegasystems (auch Abb. 2)
 
Mit der Customer Journey hielt ein neues Konzept Einzug ins digitale Marketing. Sie soll für die Kunden an allen Touchpoints ein besonderes Erlebnis bereitstellen – ein anspruchsvolles Vorhaben, das nicht nur leistungsfähige Technik, sondern vor allem auch eine veränderte Denkweise erfordert.

Konsistente Erlebnisse


In einer mehr und mehr digitalisierten Konsumwelt ist es für Unternehmen wichtig, dem Kunden in allen Phasen der Kundeninteraktion nicht nur Produkte oder Dienstleistungen zu bieten, sondern auch Erlebnisse. Dazu zählen schneller und reibungsloser Service, personalisierte Inhalte und konsistente Informationen auch auf unterschiedlichen Plattformen. Egal, ob Kunden über die mobile App, den Online-Shop, das Callcenter oder vor Ort in der Filiale mit dem Unternehmen kommunizieren, Angebote wie Aussagen müssen aufeinander abgestimmt sein.

Dieser Ansatz wird im Konzept der Customer Journey systematisiert. Dabei geht es um die Organisation aller Berührungspunkte, der Touchpoints, eines Kunden mit einem Unternehmen, also eine Abfolge von wechselseitigen Aktivitäten auf dem Weg von der ersten Awareness über das konkretisierte Interesse bis zum fertigen Deal und zum Service. Klassischerweise ist die Customer Journey eine Abfolge von Schritten, die auch mehrmals und rekursiv durchlaufen werden können:

Erzielen von Aufmerksamkeit


Wurden Kunden früher vor allem durch Anzeigen in Print-Medien, durch TV-Werbung oder Plakate auf Produkte und Dienstleistungen aufmerksam, so spielt beim Kampf um Aufmerksamkeit heute das Web eine zentrale Rolle. Das Marketing stellt sich darauf ein, dass die wichtigen ersten Touchpoints mittlerweile digital sind. So zielen Marketing-Aktionen auf ein Top-Ranking bei Anfragen in Suchmaschinen. Online-Werbung orientiert sich unmittelbar am Verhalten von Web-Nutzern, Content-Marketing verwendet Texte, Bilder, Audio- oder Videomaterial, um mit personalisierten Inhalten, potenzielle Kunden zu gewinnen. Weitere Impulse kommen über Empfehlungen aus sozialen Netzen wie Facebook oder Instagram.

Festigung des Interesses


Früher mussten Kunden bei Interesse an einem Produkt einen Laden aufsuchen oder zum Quelle-Katalog greifen. Im digitalen Zeitalter können sich Interessenten im Web umfassend selbst informieren: Produkt-Videos auf YouTube, Meinungen und Bewertungen von Kunden in Portalen, Foren oder in sozialen Netzen schaffen eine bislang nicht gekannte Transparenz und unterstützen den Kunden bei der Entscheidungsfindung. Unternehmen müssen berücksichtigen, dass ihre Vertriebs- und Marketing-Botschaften, nur ein Element unter vielen sind – und in dem meisten Fällen nicht mehr das entscheidende.

Durchführung des Kaufes


In Zeiten von Online-Shops und E-Com¬mer¬ce erwarten Kunden, dass sie Artikel, für die sie sich entschieden haben, unmittelbar kaufen können. Es ist daher entscheidend, dass der Kaufprozess reibungslos funktioniert; Transaktionen müssen einfach und schnell ablaufen. Eine direkte Verbindung zwischen Plattformen und sozialen Netzen auf die jeweiligen E-Commerce-Seiten schafft klare Wettbewerbsvorteile. Im Idealfall sind Online- und die Offline-Welt nahtlos miteinander verbunden: Will ein Kunde ein Produkt nicht online kaufen, muss die Fortsetzung des Einkaufs in einem Ladengeschäft möglich sein. Ist dieses mit dem Online-Shop vernetzt, so kennen die Verkäufer die Historie des Kunden und können passgenaue Zusatz- oder Serviceangebote vorschlagen.

Integration des Service


Eine Customer Journey bindet die dem Kauf nachgelagerten Fulfillment-Prozesse in die Prozesskette ein, denn digital orientierte Kunden akzeptieren keine Lieferverzögerungen. Auch Self Services sind wieder ein wichtiges Mittel, um die Kundenbindung zu erhöhen und gleichzeitig Kosten zu reduzieren. Bei Service-Anfragen lassen sich automatisierte Lösungen einsetzen, die auf Basis von Natural Language Processing, Text Analytics und Predictive Analytics Kunden rund um die Uhr unterstützen können. Natürlich muss auch die persönliche Interaktion mit einem Berater per Chat oder Telefon möglich sein; dieser muss über das CRM-System die komplette Kundenhistorie kennen.

In jedem Prozessschritt der Customer Journey und an allen dabei angesteuerten Touchpoints muss ein konsistentes "Kundenerlebnis" bereitgestellt werden, also einheitliche und vollständige Informationen, die kanalunabhängig und in Echtzeit rund um die Uhr abgerufen werden können. Die Basis dafür bildet – wie immer in digitalen Projekten – eine leistungsfähige Hardware und Infrastruktur. Neben Performance und hoher Verfügbarkeit ist vor allem wichtig, dass die wesentlichen Komponenten nicht in Silos eingesperrt sind. Andernfalls lässt sich das Kundenerlebnis nur schwer über unterschiedliche Kanäle hinweg – beispielsweise für Callcenter, Onlineshop und Facebook – konsistent halten.

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Fortgeschrittene Lösungen für die Customer Journey sind in der Lage, die anfallenden Daten mit Predictive Analytics und Künstlicher Intelligenz so auszuwerten, dass sie das wahrscheinliche Kundenverhalten vorhersagen können. Auf Basis solcher Analysesysteme ist es auch möglich, die Kundenbedürfnisse in Echtzeit zu antizipieren und für den Kunden kontextsensitiv relevante Vorschläge anzubieten; dieses Next Best Action funktioniert sowohl online über Robots als auch unterstützend für klassische Beratungsgespräche.

Grenzen der Customer Journey


Das Konzept der Customer Journey ist sehr anspruchsvoll, weil es zum einen eine konsequente Orientierung auf die Digitale Transformation voraussetzt, sowohl hinsichtlich der dabei abgebildeten Prozesse als auch der organisatorischen Strukturen. Zum anderen ist ein leistungsfähiger technischer Unterbau unerlässlich, beziehungsweise wenn die Lösung in der Cloud laufen soll, die Ausrichtung der IT auf das Cloud-Computing beispielsweise mit durchgängiger Virtualisierung.

Viele Unternehmen tun sich daher noch schwer, für ihre Kunden eine Customer Journey aufzusetzen. Oft sind die unterschiedlichen Vertriebskanäle und Touchpoints noch nicht integriert, so dass Kunden zum Beispiel je nach Kanal unterschiedliche Angebote vorfinden. Meist werden nur bestimmte Touchpoints erfasst, und das sind dann in der Regel nicht die, die größten Effekt erzielen können, sondern die, die den geringsten technischen Aufwand erfordern. Häufig schaffen es Unternehmen nicht einmal, ihre Kunden richtig zu erkennen. Auf einer Customer Journey kann man Kunden natürlich begleiten, wenn man in der Lage ist, sie an den jeweiligen Touchpoints zu identifizieren. Die Antizipation von Kundenverhalten, was wieder Voraussetzung für die Optimierung der Customer Journey ist – das Unternehmen kann die Aktionen an den folgenden Touchpoints bereits vorbereiten – ist so natürlich kaum möglich.

So ist es nicht erstaunlich, dass bisher nur wenige Unternehmen die Möglichkeiten der Customer Journey ausschöpfen. Meist sind dafür weniger die unzureichenden technischen Voraussetzungen oder ein zu geringer Digitalisierungsgrad verantwortlich, sondern ein Missverständnis über den Grundgedanken der Customer Journey: Es geht hier nämlich um die Umsetzung einer konsequenten Kundensicht – der Kunde steht hier tatsächlich im Mittelpunkt. Die Customer Journey geht bewusst weg von Marketingaspekten, die um die Punkte Umsatz und Kosten kreisen. Sie stellt Kundenzufriedenheit oder Kundenerlebnis in den Mittelpunkt und behandelt Umsatz und Kosten – selbstverständlich müssen auch kundenorientierte Unternehmen Geld verdienen – als Ziele, die mittelbar über bessere Kundenbindung und höhere Kundenzufriedenheit erreicht werden; wenn man so will, ist es ein nachhaltiger Ansatz. Das Konzept der Customer Journey erfordert daher auch eine neue Denkweise – wie so vieles in der Digitalisierung.