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So sieht die digitale Zukunft des Einzelhandels aus

Plädoyer für eine digitale Aufholjagd: Stationäre Händler haben nur eine Zukunft, wenn sie offensiver in die Digitalisierung investieren.
Gerrit Heinemann | 25.02.2019
© Pixabay / Justyna Faliszek
 
Kaum eine Branche ist derzeit größeren Herausforderungen ausgesetzt als der Einzelhandel. Er stellt mit rund 500 Milliarden Euro Nettoumsatz für Waren und gut 3 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland dar. In den letzten Jahren finden Entwicklungen statt, welche die Rolle des klassischen oder stationären Handels dramatisch verändern, ihn unter Druck setzen und seine Daseinsberechtigung infrage stellen.

Bis heute erzielt der Großteil der Einzelhändler die Umsatzsteigerungen und Gewinnoptimierungen über Skalierungseffekte, Standardisierung und Prozessoptimierung, weniger über nennenswerte Innovationen oder den intelligenten Einsatz von Technologien. Insgesamt ist der stationäre Handel mit neuen IT-Technologien nicht vertraut und baut seine Fähigkeiten diesbezüglich nicht aus. Der stationäre Handel hat über diesen Veränderungsprozess seine Nähe zum Kunden verloren und vornehmlich über den Preiskampf seine Marktpositionen gewonnen und ausgebaut. Die Versuche des stationären Handels in den letzten Jahren, sich über Cross-Channel-/Multi-Channel-Lösungen dem steigenden Druck der neuen Wettbewerber aus der digitalen Welt entgegenzustellen, hat nur in wenigen Einzelfällen eine sichtbare Wende gebracht.

Im Wettbewerb mit Amazon und Alibaba


Massive Veränderungen in der Verfügbarkeit von Informationen, Technologien und Kommunikation haben neue Maßstäbe für die Kundenerwartungen gesetzt. Sie bieten dem Händler heute die Möglichkeit, unbegrenzt mit dem Konsumenten in Kontakt zu treten und zu verkaufen. Vielen Handelsunternehmen fällt es angesichts der nahezu unendlichen Möglichkeiten, Innovationen und Trendwechsel jedoch schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen. Auch fehlt es Herstellern und Traditionshändlern an Risikobereitschaft. Sie stecken in einem Dilemma, denn hochskalierte und niedrigmargige Geschäftsmodelle unterliegen hohen Transformationsrisiken. Zudem dominieren Internet-Spieler wie Amazon und Alibaba den Online-Handel, der mehr und mehr zulasten des klassischen Offline-Handels wächst. Im Klartext: Die meisten Handelsformate können sich aufgrund eines rückwärtsgewandten Managements, veralteter Prozesse und Systeme, der zu breiten Angebotspalette, einer schlecht ausgebildeten Belegschaft und last but not least den fehlenden Mitteln nicht auf die neue Situation anpassen. Wie steht es also um die Zukunft des Handels und den Handel der Zukunft? Was sind die treibenden Kräfte, relevanten Erfolgsfaktoren und Game Changer?

Kundenbedürfnisse entscheiden über die richtige Strategie


Eines ist klar: eine radikale Erneuerung bestehender Geschäftsmodelle und Geschäftssysteme ist dringend notwendig - stationäre Händler haben nur eine Zukunft, wenn sie digital klotzen statt kleckern und offensiver in die Digitalisierung investieren. Die angeblichen Vorteile der Traditionshändler gegenüber den Onlinern wie Beratung und schöne Läden sind Mythen. Das zeigt der rapide zunehmende Restrukturierungsbedarf von „Noch-Marktführern“ wie Media-Saturn, Obi, H&M, Ikea oder Metro. Viel wichtiger: Die Erwartungen des Kunden werden nicht oder zu wenig ernstgenommen. Dabei entwickelt sich die Handelswelt immer stärker zu einem integrierten Marktplatz. Kunden wollen ihre Bedürfnisse überall, zu jeder Zeit und auf ihre zum jeweiligen Zeitpunkt präferierte Art stillen. Sie erwarten, dass der Handel sich an ihren Lebensstil anpasst – mit Fokus auf Relevanz, Einfachheit, Bequemlichkeit und Erlebnis. Um in diesem Wettbewerb zu bestehen, müssen Händler ihre spezifische Bestimmung im Leben ihrer potenziellen Konsumenten neu erfinden bzw. schärfen und ihre Produkte und Dienstleistungen entsprechend überdenken und anpassen. Dabei muss digitale Transformation mit Leidenschaft und Glaubwürdigkeit von der gesamten Unternehmensführung getrieben werden.

Hier setzt das neue Buch „Handel mit Mehrwert - Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen“ an. Die Autoren verstehen ihr Buch als Plädoyer für eine digitale Aufholjagd mit einem vollständigen Überblick über alle derzeit relevanten Themen für den Handel im Digitalen Wandel. Dabei werden die drei wichtigsten Aspekte und Herausforderungen der Marktveränderung aufgegriffen: Markt und Kunde, neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle sowie Geschäftssysteme und Business-Schnittstellen.

Auch absatzseitige Aspekte wie das Kaufverhalten der Millennials, die Konsumerisation des B2B-Bereichs als auch die neuesten Geschäftsmodelle wie z.B. Sharing Economy, Seamless Shopping und integrierte Plattformen spielen in der Transformation des Konsumverhaltens eine Rolle, die im Buch ausführlich behandelt wird. Gleiches gilt für Business-Schnittstellen und Geschäftssysteme, bei denen insbesondere die Neuerungen in der Logistik wie die Digitalisierung der Logistikprozesse, Same Day Delivery oder das komplexe Thema der urbanen Logistik dargestellt werden. Dazu kommen Zukunftsthemen wie Exponentielle Organisation (ExO), Blockchain-Technologie sowie neuartige Payment-Lösungen finden Berücksichtigung, mit denen sich Händler auseinandersetzten müssen.

Handel mit Mehrwert - Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen

„Handel mit Mehrwert“ ist als Hardcover sowie eBook im Verlag Springer Gabler erschienen. Autoren sind Professor Dr. Gerrit Heinemann sowie den beiden Geschäftsführer und Retail- und Consumer-Goods Spezialisten der Unternehmensberatung Accenture, Thomas Täuber und Mathias Gehrckens.

Thomas Täuber und Mathias Gehrckens
Thomas Täuber (li.) und Mathias Gehrckens.