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Bundesverfassungsgericht: Eltern haften für Filesharing

Das BVerfG hat entschieden, dass Eltern für den illegalen Download haften, wenn sie nicht verraten, welches Kind die Tat begangen hat.
Christian Solmecke | 04.04.2019
© Pixabay / Geralt
 
Wer muss was vor Gericht in einem Filesharing-Verfahren beweisen? Zu dieser Frage gibt es bereits viele Entscheidungen. Doch was gilt im grundrechtssensiblen Bereich von Ehe und Familie? Darüber, ob Eltern ihre Kinder verraten müssen, hat das BVerfG in einem heute veröffentlichten Beschluss (Az. I BvR 2556/17) entschieden. Der Kölner Medienanwalt Christian Solmecke erläutert das Urteil:

„Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Eltern nach einer Tauschbörsen-Abmahnung das Wahlrecht haben: Sofern sie wissen, welches ihrer Kinder die Tat begangen hat, haben sie das Recht, den Täter zu benennen oder nicht. Verpfeifen sie ihre Schützlinge allerdings nicht, haften die Eltern selbst. Damit bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH). Der BGH hatte zwar bereits 2017 in dem streitgegenständlichen Verfahren bestätigt, dass der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie höher zu bewerten ist, als der Eigentumsschutz der Musik- und Filmindustrie. So ist der Anschlussinhaber nicht zu konkreten Nachforschungen innerhalb der Familie verpflichtet. Ermittelt er jedoch selbst den Täter, muss er diesen auch benennen- und zwar auch dann, wenn er aus seinem familiären Umfeld kommt.

Die Entscheidung, die jetzt vom aktuellen BVerfG-Beschluss gestützt wird, führt zu dem Ergebnis, dass Eltern sich nunmehr besser stellen, wenn sie zwar theoretisch die Möglichkeit in den Raum stellen, dass ihre Kinder die Tat begangen haben, gleichzeitig aber erklären, dass sie den wahren Täter nicht kennen. Kennen die Eltern den Täter, müssen sie ihn verraten oder sie haften selbst. Kennen Sie den Täter nicht, sind die Eltern von der Haftung befreit.

Zum Hintergrund


Im vorliegenden Verfahren, welches nun sowohl vom BVerfG als auch vom BGH entschieden wurde, wurden Eltern abgemahnt, die angeblich das Musikalbum “Loud” der Künstlerin Rihanna getauscht haben sollen. Die Eltern hatten aber vorgetragen, dass sie die Tat nicht begangen haben, sondern eines ihrer Kinder. Sie selbst hörten nur Klassik und insofern kämen sie gar nicht als Täter in Frage. Zeitgleich jedoch wollten die Eltern auch nicht verraten, welches ihrer drei Kinder die Musik getauscht hatte. Und genau das war die Streitfrage, die vom BGH zu klären war, nämlich ob Eltern den Namen ihres Kindes benennen müssen, wenn sie wissen, dass dieses Täter der Urheberrechtsverletzung gewesen ist.

Generell gilt schon seit 2012, dass es eine Vermutung der Täterschaft zu Lasten desjenigen gibt, der den Internetanschluss angemietet hat. Das bedeutet, dass vieles dafür spricht, dass Eltern, die Anschlussinhaber sind und über deren Internetzugang Musik getauscht wurde, auch die Täter sind.

Allerdings haben die Gerichte in den vergangenen Jahren Eltern eine Beweiserleichterung zugestanden. So können sich Eltern entschuldigen, indem sie mitteilen, dass sie selbst nicht die Urheberrechtsverletzung begangen haben, möglicherweise aber ihre Kinder in Betracht kommen.

Die Besonderheit im aktuellen BVerfG-Fall lag darin, dass die abgemahnten Eltern sehr genau wussten, wer die Tat hier begangen hatte, aber den Täter eben nicht verraten wollten. Insofern war es spannend, welches Gewicht mehr wiegen würde – entweder die Eigentumsrechte der Musikindustrie oder Artikel 6 des Grundgesetzes, der Schutz von Ehe und Familie.

Das OLG München kam als Vorinstanz zum Verfahren zu dem Schluss, dass die Eltern den Namen des Kindes hätten benennen müssen und verurteilten sie zur Zahlung (Az. 29 U 2593/15). Daraufhin zogen die Eltern zunächst vor den BGH.

Urteil des BGH und Beschluss des BVerfG


Der BGH stellte dann 2017 heraus, das zunächst einmal die Musik- und Filmindustrie beweisen muss, dass der Anschlussinhaber als Täter haftet (BGH, Az. I ZR 19/16, Loud). Allerdings spricht eine Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen – etwa die Familienangehörigen – diesen Internetanschluss benutzen konnten. Zu dieser Frage müssen sich Anschlussinhaber im Rahmen ihrer sogenannten sekundären Darlegungslast äußern, weil es sich um Umstände auf ihrer Seite handelt, die der Abmahnindustrie unbekannt sind.

In diesem Umfang seien Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse sie dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen haben. Entsprechen Anschlussinhaber ihrer sogenannten sekundären Darlegungslast, dann ist es daraufhin wieder Sache der klagenden Partei, die für eine Haftung der Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen.

Die Eltern im jetzt auch vom BVerfG entschiedenen Fall hatten ihrer sekundären Darlegungslast nach Ansicht des BGH jedoch nicht genügt, da sie ihr Kind, das für die Rechtsverletzung verantwortlich war, ermittelt hatten, allerdings den Namen des Kindes nicht angeben wollten.

Diese Angabe war den Eltern zumutbar. Zugunsten der Musik- und Filmindustrie sind das Recht auf geistiges Eigentum sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu berücksichtigen. Auf Seiten der Eltern ist der Schutz der Familie zu berücksichtigen und in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen. Danach ist der Anschlussinhaber etwa nicht verpflichtet, die Internetnutzung seines Familienmitgliedes zu dokumentieren und dessen Computer auf die Existenz von Filesharing-Software zu untersuchen. Hat der Anschlussinhaber jedoch den Namen des verantwortlichen Familienmitglieds erfahren, muss er dessen Namen offenbaren, wenn er eine eigene Verurteilung abwenden will.“

Hier das Loud-Urteil des BGH im Volltext: BGH, Urteil vom 30. März 2017, Az. I ZR 19/16, Loud

Die häufigsten Fragen und Antworten zum Thema Tauschbörsen Nutzung:

Wie kommt die Medienindustrie überhaupt an meine Daten?


Der Tausch von Musik oder Filmen im Internet läuft in der Regel so ab, dass die Dateien nicht nur heruntergeladen, sondern gleichzeitig auch wieder der gesamten Welt zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist die IP-Adresse des Hochladenen ersichtlich. Über die Rückverfolgung der IP-Adresse kann die Medienindustrie dann den Anschlussinhaber ermitteln und abmahnen.

Hafte ich als Anschlussinhaber immer?


Der Bundesgerichtshof hat schon vor einigen Jahren die Vermutung aufgestellt, dass der abgemahnte Anschlussinhaber auch der Täter der Urheberrechtsverletzung ist. Allerdings kann der Anschlussinhaber diese Vermutung dann entkräften, wenn er die Tat nicht begangen hat und er einen alternativen Geschehensablauf darlegen kann. Konkret bedeutet das: der Anschlussinhaber muss die Möglichkeit in den Raum stellen, dass noch andere Familienmitglieder zur angeblichen Tatzeit Zugriff hatten. Weiß er nicht, wer die Tat konkret begangen hat, so ist er auch nicht dazu verpflichtet, die Rechner der weiteren Familienmitglieder zu durchsuchen.

Haften Eltern für ihre Kinder?


Häufig wird es die Konstellationen geben, dass Eltern Anschlussinhaber sind, die Kinder jedoch die Tat begangen haben. In einer solchen Konstellation stellt sich die Frage, welche Pflichten Eltern möglicherweise im Vorfeld verletzt haben. Diesbezüglich hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Eltern ihre Kinder bei der erstmaligen Internetnutzung umfassend belehren müssen. Danach ist eine weitere Belehrung in der Regel nicht notwendig, sofern die Kinder bei der Internetnutzung keine Auffälligkeiten zeigen. Optimalerweise sollte man diese Belehrung schriftlich festhalten. Wir bieten dazu eine kostenfreie Belehrung auf unserer Internetseite an. Diese ist unter folgendem Link zu finden:

Die Musterbelehrung


Sofern die Kinder, die im gemeinsamen Haushalt leben, volljährig sind oder sofern es sich um Ehegatten handelt, ist eine Belehrung überhaupt nicht notwendig.

Wie ist die Rechtslage bei Wohngemeinschaften?


Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Tauschbörsen-Nutzung in Wohngemeinschaften existiert nicht. Verschiedene Gerichte haben in der Vergangenheit allerdings festgestellt, dass der Anschlussinhaber dann nicht haftet, wenn er seine Mitbewohner zuvor angewiesen hat, keine Urheberrechtsverletzungen über das Netzwerk zu begehen. Klar ist jedoch auch, dass der Schutz der Ehe und Familie, mit der sich Eltern und Kinder rausreden können, in diesen Konstellationen nicht greift.

Wer haftet in Hotels und Ferienwohnungen?


Auch die Haftung in Hotels und Ferienwohnungen ist abschließend noch nicht geklärt. Hier gehen die meisten Gerichte bislang davon aus, dass der Anschlussinhaber von einer entsprechenden Haftung befreit wird.

Wie hoch sind die Abmahngebühren?


Die Musik- und Filmindustrie verlangt unterschiedliche Beträge für den Tausch von Filmen, Serien oder Musik. Wer ein Musikalbum getauscht hat, wird mit etwa 600 € zur Kasse gebeten, für einen Film oder eine Serie werden rund 800 € fällig. Da der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung schon einmal festgestellt hat, dass 200 € Schadensersatz für ein getauschtes Musikstück in Ordnung sind, dürften sich die von der Medienindustrie angesetzten Beträge auch noch immer im rechtlich zulässigen Rahmen halten.

Ich wurde abgemahnt, was soll ich konkret tun?


Zunächst einmal gilt es, die Ruhe zu bewahren. Bitte nicht sofort bei der Gegenseite anrufen. Möglicherweise kann es ratsam sein, eine abgewandelte Unterlassungserklärung abzugeben. Die Zahlung der geforderten Schadensersatzansprüche kann dann verweigert werden, wenn man selbst nicht als Täter in Betracht kommt und einen alternativen Geschehensablauf in den Raum stellen kann. Damit man sich bei dieser Argumentation nicht ins Fettnäpfchen setzt, sollte immer ein Anwalt zurate gezogen werden.

Wieso wird überhaupt noch soviel getauscht?


Tatsächlich hat sich die Nutzung der klassischen Tauschbörsen in den vergangenen Jahren extrem reduziert. Viele Kinder und Jugendliche nutzen allerdings moderne Streaming Software, in der sich in Wirklichkeit eine Tauschbörsen-Software verbirgt. Sie wissen dann oft gar nicht, dass sie Filme wieder zum Tausch anbieten. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die Software Popcorn Time. Wer sich dort eine Minute eines Films anschaut, bietet im Hintergrund diese Minute auch wieder der gesamten Welt zum Tausch an. Die meisten Nutzer dieser Software wissen davon nichts, müssen aber trotzdem haften.
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Über Christian Solmecke

Rechtsanwalt Christian Solmecke hat sich als Partner der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke auf die Beratung der Internet- und IT-Branche spezialisiert.