Entitled Customer: Der Konsument im digitalen Zeitalter
Amazon, Ebay & Co. verwöhnen ihre Kunden mit der neueste Marketingtechnologie. Und die zeigen auch bei kleineren Anbietern immer weniger Bereitschaft, sich auf Wartezeiten, schlechten Service oder irrelevante Werbebotschaften einzulassen. Wer nicht liefert, was der moderne Konsument erwartet, hat im Haifischbecken E-Commerce schnell das Nachsehen. Entweder reagieren Kunden mit schlechten Bewertungen oder sie wechseln kommentarlos zur Konkurrenz – denn die ist nur einen Klick entfernt. Der Entitled Customer des 21. Jahrhunderts verlangt Marken einiges ab. Wer seine hohen Ansprüche erfüllen will, braucht Daten. Und die richtige Software.
Natürlich war es für Marken schon immer ein entscheidender Erfolgsfaktor, die Wünsche ihrer Kunden zu erfüllen. Wenn dabei manchmal etwas schiefgelaufen ist, war das aber nicht weiter schlimm, denn lange Zeit hatten Konsumenten quasi keine Möglichkeit, sich öffentlich zu ihren Erfahrungen mit Marken, Anbietern oder Produkten zu äußern. Auch die Suche nach alternativen Anbietern oder Produkten war im prädigitalen Zeitalter mit erheblichem Aufwand verbunden. Und wer hat sich damals schon ernsthaft die Mühe gemacht, bei einer Zeitung oder einem Radiosender anzurufen, um sich über eine negative Kundenerfahrung zu beschweren, in der Hoffnung, damit irgendeinen Effekt zu erzielen? Heute sieht die Sache ganz anders aus: Das Feedback, das Kunden auf Bewertungsplattformen im Internet abgeben, wirkt sich fundamental auf den Erfolg einer Marke aus. Mangelhafte Produkte oder schlechter Service können ein Unternehmen heute schnell in den Ruin treiben. Eine Handvoll verärgerter Kunden reicht, um in den sozialen Medien einen Shitstorm auszulösen und dem Ruf einer Marke nachhaltig zu schaden. In einigen Fällen macht sich der Konsument aber gar nicht erst die Mühe, sich zu einer schlechten Erfahrung zu äußern, denn es kostet ihn nur wenige Klicks, um zum nächsten Anbieter zu gelangen.
Entitled Customers und Superstars
Im englischsprachigen Raum nennt man diesen neuen Konsumententypus Entitled Customer – der anspruchsvolle, der berechtigte Kunde. Neben dem herkömmlichen Konsumenten, der bei Amazon oder Google von seinen Produkt- und Markenerfahrungen berichtet, gibt es unter den anspruchsvollen Kunden aber auch eine neue Spezies, die sich im Zuge der Digitalisierung herausgebildet hat: den Superstar. Dank YouTube, Instagram, TikTok & Co. kann heute theoretisch jeder ohne fremde Hilfe eine Fangemeinde aufbauen und für diese zum „Star“ werden. Alles, was man dafür braucht, sind ein Internetanschluss und ein Smartphone. 25 Prozent der 7000 Konsumenten, die Selligent zu dem Thema befragt hat, sehen sich selbst als Superstars [1]. Wer bei seinem Publikum gut ankommt, gilt ab einer gewissen Reichweite als Influencer – und dann sollten Marken ihm besondere Aufmerksamkeit schenken. Influencer haben großen Einfluss auf die Kaufentscheidungen von Tausenden oder gar Millionen von Followern. Für Marken sind sie jedoch nicht nur als Werbebotschafter interessant, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Konsument.
In nahezu allen Fällen handelt es sich bei Influencern um technologieaffine Early Adopter. Sie entwickeln ein intensives Verhältnis zu bestimmten Marken. Sie lesen Promo-E-Mails, posten Reviews und testen neue Technologien und Produkte frühzeitig. Und ihre Fähigkeit, hochwertigen Social-Media-Content zu produzieren, macht sie für Marken zu wertvollen Botschaftern. Sie sind also eine ausgesprochen dankbare Zielgruppe. Doch wie alle anderen Konsumenten sind auch die Superstars sich über ihre privilegierte Position im Klaren und treten Marken daher mit einer ausgeprägten Anspruchshaltung gegenüber: Sie erwarten Top-Service, relevante Ansprache und vor allem ein hohes Maß an Interaktion.
Wie müssen Marken reagieren?
Die Themen Marketing und Kundenbindung haben durch die Digitalisierung also enorm an Komplexität gewonnen. Für Marken ist das kein Grund, in Panik zu verfallen. Klar ist jedoch auch, dass sie durch diese Entwicklung vor neuen Herausforderungen stehen. Sie können es sich heute nicht mehr leisten, Verbraucher leichtfertig zu verärgern. Daher müssen sie sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, was den Entitled Customer ausmacht und worin seine Ansprüche bestehen, die es zu erfüllen gilt. Die wichtigsten Stichworte lauten dabei Effizienz, Service und Personalisierung. Auch der sogenannte ROPO-Effekt (Research online, Purchase offline) spielt eine wichtige Rolle. Laut einer PwC-Studie handelte es sich bereits im November 2015 bei 64 Prozent der deutschen Konsumenten um ROPO-Kunden [2]. Also um Kunden, die sich online über Produkte informieren, um sie dann offline zu kaufen. Mittlerweile dürften es bereits deutlich mehr sein. Das ist nur einer von zahlreichen Gründen, aus denen eine konsistente Kundenerfahrung über alle Kanäle heute zu den wichtigsten Zielen jeder Marketingstrategie gehören sollte.
Das bedeutet, dass Marketer Technologien in Stellung bringen müssen, die in der Lage sind, dem Konsumenten eine zeitgemäße, kanalübergreifende Customer Experience zu ermöglichen. Die Grundlage dafür sind Daten, die vor allem im Onlinehandel in großer Zahl anfallen. Oft besteht jedoch das Problem, dass die Daten ungenutzt in ihren Silos verbleiben. Dabei stellen sie heute im Marketingbereich eine unverzichtbare Ressource dar. Denn Daten liefern die Informationen, die für detaillierte Kundenprofile nötig sind. Und Kundenprofile wiederum sind erforderlich, um personalisierte Marketingmaßnahmen zu realisieren. Wer hier nicht konsequent dafür sorgt, dass sämtliche verfügbare Daten zentral gesammelt, aufbereitet und verwertet werden, riskiert inkonsistente Customer Journeys und damit unzufriedene Kunden.
Ohne Daten kein personalisiertes Marketing
Was kompliziert klingt, ist heute dank entsprechender Lösungen aus dem Martech-Bereich kein großes Problem mehr. Mithilfe einer sogenannten Customer Data Platform (CDP) haben Marketer die Möglichkeit, Kunden nicht nur als Teil einer relativ grob definierten Zielgruppe ins Visier zu nehmen, sondern jedem Kunden genau die Botschaften zukommen zu lassen, die er in seiner individuellen Situation braucht. Eine Customer Data Platform verknüpft sämtliche verfügbare Kundendaten zu aussagekräftigen Profilen, die in Echtzeit aktualisiert werden. Hat der Kunde beispielsweise in einem Onlineshop nach einem bestimmten Produkt gesucht, kann er kurz darauf per E-Mail oder auch am Point of Sale entsprechende Empfehlungen erhalten. Auch Standortdaten sind ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Konsumenten individuell bei ihren Kaufentscheidungen zu unterstützen. All das geschieht natürlich automatisiert, da eine manuelle Verarbeitung der riesigen Datenmengen vollkommen unmöglich wäre. Die Schlüsseltechnologie, die das ermöglicht, heißt Künstliche Intelligenz (KI). KI-Algorithmen können nicht nur Zielgruppen wie „weiblich, zwischen 40 und 45 Jahre“ definieren, sondern erstellen auf Basis von Parametern wie Browsing-Verhalten, Einkaufshistorie und abgegebenen Bewertungen individuelle Profile für jeden einzelnen Kunden. So entstehen individuelle Customer Journeys, die sich konsistent über alle Kanäle erstrecken, auf denen der Kunde mit einer Marke interagiert. KI ist zudem auch in der Lage, die Touchpoints zu erkennen, die den größten Erfolg versprechen.
Datenschutz
Wo immer Daten im Spiel sind, ist auch das Thema Datenschutz nicht weit. Im Hinblick auf den Entitled Customer stehen Marketer dabei vor einem Dilemma: Auf der einen Seite fordern Kunden personalisiertes Marketing, das auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht, auf der anderen Seite zeigen sie eine große Skepsis, wenn es darum geht, dass Unternehmen auf ihre Daten zugreifen. Marketer benötigen also eine gewisse Sensibilität, wenn es heißt, dem Kunden personalisierte Inhalte zu liefern. Es gilt, ein vernünftiges Maß zu finden. Dem Kunden sollte nicht das Gefühl vermittelt werden, dass er auf Schritt und Tritt verfolgt wird. KIs sind (noch) nicht dazu fähig, Art und Anzahl der automatisierten Werbebotschaften entsprechend zu kalibrieren. Hier liegt es an den verantwortlichen Marketern, Regeln und Begrenzungen für automatisierte Trigger und Angebote festzulegen. Sie sind die Kontrollinstanz, die zwischen dem Konsumenten und der KI steht. Die Stärke von KIEngines ist es hingegen, Customer Journeys automatisiert zu gestalten und beispielsweise anhand von Kundenprofilen Produktempfehlungen zu erstellen. Wann und wie oft der Kunde angesprochen werden soll, liegt jedoch außerhalb ihrer Urteilsfähigkeit. Hier ist es wichtig, anhand der Engagement-Historie eines Kunden zu ermitteln, welche Zeitpunkte und Touchpoints sich am besten eignen und wann man sich eher zurückhalten sollte.
Die Zukunft: Joint Venture aus Mensch und Maschine
Lange Zeit waren es die Produkte oder die Kommunikationskanäle, die bei der Konzeption von Kampagnen im Mittelpunkt standen. Heute ist es der Kunde – denn nie zuvor waren Marken so abhängig von seiner Gunst. Dabei ist es entscheidend, seine persönliche Situation und seine individuellen Präferenzen zu kennen und ihm entsprechende Inhalte zu liefern. Viele Marken tun dies bereits auf hohem Niveau. In Zukunft wird es vor allem darum gehen, kreativ mit personalisierten Inhalten zu arbeiten und im Zuge technologischer Neuerungen ein immer höheres Maß an Komfort zu bieten. Im Moment sind Algorithmen noch nicht in der Lage, sämtliche Aspekte einer erfolgreichen Kundenansprache zu berücksichtigen. Der Mensch muss ihnen gewissermaßen sagen, was sie zu tun haben. Der große Vorteil von KI besteht darin, dass sie die riesigen Datenmengen, die über zahlreiche Touchpoints verstreut sind, in kurzer Zeit analysieren können. Dadurch wird es möglich, dem Kunden in Echtzeit relevante Inhalte zuzuspielen und ihn so an die Marke zu binden. Der Anfang besteht also in einer effizienten Datenintegration, für die Marketer auf leistungsfähige Tools zurückgreifen können. Die strategischen Entscheidungen obliegen hingegen nach wie vor dem Menschen.
Literatur
[1] Selligent (2019): So erschließen Sie verborgene Potenziale – Marketing für Superstars. Whitepaper von Selligent Marketing Cloud: https://www.selligent.com/sites/default/files/media/white-paper-marketing-to-superstars-de_0.pdf
[2] PwC (2015): Studie „Store 4.0 - Zukunft des stationären Handels“: https://www.pwc-wissen.de/pwc/de/shop/publikationen/Store+40+Zukunft+des+stationaeren+Handels/?card=15956 – Zugriff 28.08.2019