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Woran die digitale Wirtschaft krankt

Gewinnmaximierung ist das Gegenteil von Verschwendung, denn sie strebt an, ein Ziel mit minimalen Ressourcen zu erreichen.
Hermann Simon | 27.04.2020
Woran die digitale Wirtschaft krankt © freepik / starline
 

Gewinn ist das, was übrig bleibt, wenn das Unternehmen alle vertraglich vereinbarten Ansprüche von Mitarbeitern, Lieferanten, Banken, sonstigen Gläubigern und des Staates befriedigt hat.

Hingegen sind die in der digitalen Wirtschaft verbreiteten Finanzkonstrukte wie EBIT, EBITDA keine Gewinne, sondern dienen eher der Vernebelung. EBITDAR (R für Restrukturierung), „Core Platform Contribution Profit“ (Uber), „Community-Adjusted EBITDA“ (WeWork), „Adjusted Consolidated Segment Operating Income“ (Groupon) sind nicht Gewinn!

Das Thema löst heute in weiten Gesellschaftskreisen Empörung aus. Die Gewinnmargen werden von den Verbrauchern um das 6-7fache überschätzt. Verbraucher vermuten folgende Nettogewinnmargen: Deutschland 22,8%, tatsächliche Marge 3,2-3,4%; USA 31%, tatsächliche Marge 4,9-6%; Italien 38%, tatsächliche Marge 5,1%.

 

Gewinnmaximierung ist das Gegenteil von Verschwendung, denn sie strebt an, ein vorgegebenes Ziel mit minimalem Ressourceneinsatz zu erreichen oder aus vorgegebenen Ressourcen den größtmöglichen Output zu erzeugen. Also 100 km mit möglichst wenig Energieverbrauch zu fahren oder mit 10 Kilowattstunden eine größtmögliche Wegstrecke zurückzulegen. Welcher Naturschützer kann da widersprechen?

Gewinne sind Kosten des Überlebens und nicht „nice-to-have-Resultate“. Wer Gewinne vernachlässigt, gefährdet sein Unternehmen. Nitin Nohria, Dean der Harvard Business School, sagt: „The first ethical responsibility of a business leader is to make a profit“. Genauso ist es! Gewinne sind sozial, Verluste sind unsozial.

 

Den meisten deutschen Unternehmen kann man nur raten, das Gewinnziel  mit Konsequenz zu verfolgen. Denn die Nachsteuerumsatzrendite deutscher Firmen liegt über einen langen Zeitraum bei mageren 3,3 Prozent, der Durchschnitt aller OECD-Länder hingegen bei 6 Prozent. Wir haben eine dauerhafte und markante Gewinnschwäche. Ich schätze, dass mehr als 50 Prozent unserer Unternehmen ihre Kapitalkosten nicht verdienen. Die Menschen auf der Straße glauben hingegen, die Nettorendite liege bei 22 Prozent, ihr Unwissen ist erschreckend.

Die gewinnstärksten deutschen Fortune Global 500-Unternehmen liegen umsatzmäßig in der gleichen Größenklasse wie die profitabelsten US-Firmen, beim Gewinn aber um den Faktor 3-5 niedriger. Die Börsenwerte spiegeln diese Schwäche wider.

Ursachen der deutschen Gewinnschwäche

-        Falsche Ziele (nur 28% gewinnorientiert, die Hälfte ist volumenorientiert)

-        Falsche Incentives (z.B. Umsatzprovisionen, Optionen)

-        6x so viele Manager kennen den Umsatz wie den Gewinn

-        Falsche Branche/Dominanz reifer Branchen

-        Verzettelung/übertriebene Diversifikation

-        Scaling Up-Schwäche (kleiner Heimatmarkt, geringes Kapitalangebot)

-        Gesamtverantwortung des Vorstandes

-        Mitbestimmung

-        Zu weiche Banken

-        Negative Besetzung des Wortes Gewinn

 

Warum wird Gewinnorientierung derart verteufelt? Ich vermute, dass die Ursache in einem Missverständnis von Kurz- versus Langfristigkeit liegt. Sinnvolle Gewinnorientierung muss eine Balance zwischen kurzer und langer Frist anstreben. Liquiditätsengpässe können zu einer kurzfristigen Orientierung zwingen. Aber in der Substanz sollte die Gewinnorientierung immer langfristig sein. Diese Sicht behebt auch den scheinbaren Widerspruch zur modernen Weltsicht. Denn wie kann es sein, dass Firmen wie Amazon oder Salesforce.com über Jahrzehnte Verluste einfahren und dennoch erfolgreich sind? Die Antwort ist offensichtlich: Sie wachsen, und die Aktionäre glauben an langfristige Wertsteigerung. Bei Amazon und Salesforce.com scheint sich diese Hoffnung zu erfüllen. Bei Uber oder WeWork sind hingegen aus heutiger Sicht Zweifel angebracht.

 

Es gibt drei Gewinntreiber: Preis, Absatzmenge und Kosten. Welcher ist unter diesen der wirksamste? Nimmt man als Kriterium die Gewinnelastizität, das heißt die prozentuale Gewinnsteigerung bei einprozentiger Verbesserung des jeweiligen Gewinntreibers, dann liegt der Preis vor den Kosten an erster Stelle. Beim Absatz kommt es auf die Grenzkosten an. Sind diese Null (wie etwa bei Facebook), so ist die Gewinnelastizität von Preis und Absatz gleich. Sind die Grenzkosten hoch (wie etwa bei WeWork), so bringen Absatzsteigerungen nur geringe Gewinnverbesserungen.

 

Gewinnorientierung ist nicht altmodisch, sondern hochmodern. Es gibt keine Alternative zu konsequenter Gewinnorientierung. Denn am Gewinnmachen ist noch keine Firma kaputtgegangen.

Mehr zum Thema Gewinnorientierung im neuen Buch "Am Gewinn ist noch keine Firma kaputtgegangen".