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So gelingen Usability-Tests

Wer sich dem Ziel einer positiven UX nähert, hat höhere Chancen auf steigende Umsätze und Kundenloyalität. Diese Daumenregeln sollten beachtet werden.
Till Winkler | 22.06.2020
Methoden zum Testen der User Experience © Freepik / tascha1
 

Wer im digitalen Bereich für Kunden oder Nutzer arbeitet und noch nicht über den Begriff User Experience gestolpert ist, dem möchte ich gerne ein Bier ausgeben. Ich gehe davon aus, heute Abend trinke ich alleine. Das liegt daran, dass eine positive User Experience das höchste emotionsbasierte Ziel im Kundenkontakt ist. Wer sich diesem Ziel nähert, hat eine höhere Chance auf starke Kundenloyalität, steigende Umsatzzahlen und geringere Kundenabwanderung. Wer will das nicht.

User Experience (UX) ist die Erfahrung eines Nutzers bei der Interaktion mit einem Produkt, einem Service, einem Interface. Je positiver, je emotionaler, desto stärker ist die Bindung zu diesem Produkt. Alles klar, Definition ist abgehakt. Jetzt stellt sich die Frage: Wie schafft man das denn? Wie  kommt man dem Ziel nahe, eine solche UX zu schaffen?

Es ist wichtig zu begreifen, dass man für den emotionalen Zustand in einem anderen Menschen entwickelt. Und dabei ist die Null-Hypothese ganz klar: Man weiß es nicht! Man muss beim Nutzer immer wieder nachfragen, wie er sich fühlt, was er erwartet und was die Produktnutzung in ihm auslöst. Eine jährliche Kundenbefragung ist dabei in etwa so sinnvoll und zielführend wie den Partner einmal pro Jahr zu fragen „Wie geht es Dir?“ und dann mit einem guten Gefühl nach Hause zu gehen. Wer den emotionalen Zustand seines Gegenübers verstehen und erfassen möchte, muss in einen kontinuierlichen Dialog treten.

Der Forschungsbereich im UX-Prozess nennt sich UX Research und umfasst eine Bandbreite an Methoden, die helfen können. Zwei dieser Methoden, die besonders häufig angewendet werden, sollen an dieser Stelle vorgestellt werden: Card Sorting und Usability Test. Die meisten Leser werden vermutlich eine Website besitzen, erstellen oder pflegen. Daher soll eine Website als Beispiel dienen. Das Interface dabei steht stellvertretend für alles, mit dem ein Nutzer interagieren kann: App, Bahn-Automat, Service, Car-Interface.

Erst einmal verstehen.

Im ersten Schritt ist es wichtig, nicht an dem vorbei zu entwickeln, was die Nutzer über ihre Services und Produkte bereits wissen (oder denken zu wissen). Alle Nutzer haben ein assoziatives Modell im Kopf und je eher sie dieses auch in der realen Welt wiederfinden, desto schneller feuern die Neuronen und die Nutzer fühlen sich wohl. Man spricht dabei vom mentalen Modell. Je schneller die Nutzer dieses wiederfinden, desto leichter geht ihnen der Interaktionsprozess von der Hand. Äpfel neben Bananen, Wurst neben Käse. Aber Oliven neben dem Müsli machen es schwer. Deswegen greifen Entwickler auf die Methode des Card Sortings zurück! Dabei geht es darum, dem Nutzer alle Kategorien einer Website auf einzelnen Karten vorzulegen. Dieser hat dann die Aufgabe, diese nach Nähe, Hierarchie und im Hinblick auf Wording zu sortieren. Die Sortierung bildet dann am ehesten das mentale Modell des Nutzers ab. Wichtig ist hierbei nicht nur das Endergebnis, sondern auch die Überlegungen, Gedanken, Zweifel und Hoffnungen der Nutzer, die während dem Sortieren geäußert werden. Dieser Prozess kann mit Papierkarten auf einem Tisch durchgeführt werden oder aber mit entsprechenden Online-Tools.

Verhalten beobachten.

Nun hat man das mentale Modell, weiß wie die Inhalte strukturiert werden sollen und hat sich natürlich auch Gedanken zum ausgeklügelten Design und Interaktionscharakter der Seite gemacht. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren soll das Verhalten lenken und den Nutzer verständlich und glücklich zum Ziel geleiten. Es soll daran erinnert werden, dass die Nullhypothese immer lautet: Man weiß es nicht. Daher führt man im Entwicklungsprozess regelmäßig Usability-Tests durch. Diese Tests basieren auf Einzelinterviews (über Videoconference-Software oder live in einem realen Raum), in denen der Nutzer verschiedene Aufgaben auf der Website ausführt. Man beobachtet dabei das Verhalten, hinterfragt Entscheidungen, versucht den Nutzer zu verstehen. Man will wissen, was der Nutzer versteht, welche Fragen er hat und ob er sich wohl fühlt. Und damit gelangt man zu einem Verständnis, was an der Seite noch nicht optimal ist. Testen kann man mit einem Prototyp oder der realen Programmierung – alles was zur Verfügung steht. Ein paar Daumenregeln für den Umgang mit Usability-Tests:

  • Testen Sie im Entwicklungsprozess ca. 3 Mal (Anfang, Mitte, kurz vor Launch)
  • Ein Test mit ca. 5 bis 7 Teilnehmern ist ausreichend
  • Die Interviews dauern meist zwischen 45 und 60 Minuten
  • Fangen Sie nicht sofort mit den Aufgaben an, sondern nutzen Sie die ersten 10 Minuten, den Nutzer erst einmal kennenzulernen und zu verstehen
  • Wenn Sie das Produkt gebaut haben, lassen Sie jemand anderen die Interviews durchführen und beobachten Sie nur (ohne einzugreifen). Das Ego kann einem hier den Erkenntnisgewinn versauen.
  • Fragen Sie wirkliche Kunden oder Nutzer. Die werden sich auch freuen.
  • Sie fokussieren Wahrnehmung und die Bedienbarkeit. Hier zählen auch Einzelmeinungen. Ein Fehler ist ein Fehler. Präferenzen und Akzeptanz stehen auf einem anderen Blatt. Aber das Verständnisziel sollte immer zu 100% erfüllt werden. Also, nicht auf Diskussionen à la „Das war ja nur einer“ einlassen.


Natürlich gibt es noch sehr viel mehr darüber zu wissen und zu erfahren. Aber für den Anfang soll dies ein Einstieg in die Thematik sein. Nehmen Sie die Nutzer ernst, und treten in einen kontinuierlichen Dialog. Eine wahre Hingabe durch Empathie, offene Feedback-Kultur zwischen Kunde und Nutzer sowie einer Priorisierung der Nutzerbedürfnisse erhöht die Chancen auf eine gute User Experience und damit auch auf eine hohe Kundenbindung. Und da man solche Artikel natürlich hochtrabend mit einem guten Zitat beenden sollte, habe ich auch eins rausgesucht: If you don’t talk to your customers, how will you know how to talk to your customers?