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Dmexco 2020: Viele offene Fragen

Aus inhaltlicher Sicht lohnt sich ein Dmexco-Besuch immer, auch wenn sie nur digital stattfindet. Technisch betrachtet, hat das System Luft nach oben.
Frank Puscher | 28.09.2020
Bild und Ton bei den Dmexco-Streams waren gut, die Inhalte hätten stellenweise kritischer sein können © Screenshot
 

Es gibt nicht das eine Buzzword, das die Dmexco 2020 auf die Agenda der Marketing-Verantwortlichen gespült hat. Das war in den letzten Jahren mit Präsenzveranstaltung nicht so und in diesem Jahr in der digitalen Variante ebenso wenig. Extrem präsent war das Thema TikTok, wenngleich sich die Marken schwer tun damit, ihre Haltung zu der erfolgreichen Plattform zu justieren. „Wir schauen uns das schon an, aber ich glaube nicht, dass das in absehbarer Zeit wirklich eine Rolle spielt“ meint Jenny Gruner, die für Hapag-Lloyd das digitale Marketing verantwortet. Das ist mehr als verständlich bei einem B2B-Unternehmen. Aber allein die Tatsache, dass sich alle Marketer damit beschäftigen ist ein Ritterschlag für das chinesische System.

 

Am Beispiel TikTok kann man auch sehr leicht festmachen, woran es der Dmexco ein Stückweit mangelt und das hat nichts mit Corona zu tun. Es hilft wenig, wenn der Leiter einer Influencer-Agentur eine Session moderiert, bei der eine seiner Influencerinnen auftritt und dazu noch ein TikTok-Verantwortlicher vom Bildschirm grüßt. Da alle die gleiche Agenda haben, geht es nur um die Frage, wie toll TikTok wirklich ist. Da Marken aber bei der Budgetentscheidung auch ein Thema wie Zensur oder Brand Safety interessiert, bleibt als einzige Erkenntnis aus der Session: Es gibt viele unterschiedliche Formate und viele unterschiedliche Zielgruppen. Die wirklich spannenden Fragen wurden nicht gestellt.

 

Brand Safety ist ein zweites wichtiges Buzzword der diesjährigen Dmexco. Spätestens nach #stophateforprofit sehen die Marken, dass sie es in der Hand haben, Position zu ergreifen. „Wir sind inzwischen komplett raus aus Facebook“, erklärt Alex Weller, Europas Marketingleiter für den Outdoor-Anbieter Patagonia.

 

Auf der Dmexco wird Brand Safety vor allem als Tool-Thema verstanden. Und hier stehen zwei Unternehmen im Fokus, die derzeit mit starkem Rückenwind durch die Branche segeln: Integral Ad Science und Doubleverify. Beide sind angetreten, zu prüfen, ob Werbung auch da landet, wo der Werbungtreibende das möchte. Und beide erkennen gerade, dass ihre Tools noch viel mehr können. Das neue Buzzword der Stunde ist nämlich Brand Suitability. Und ob etwas zur Marke passt oder nicht, kommt sehr darauf an, was man genau anschaut.

 

Es geht um den Kontext der Werbeplatzierung. Beide Anbieter sehen Umfeld als neues Targeting-Kriterium und können anhand von semantischen Analysen immer besser herausfinden, ob der einzelne Artikel für einen Advertiser funktioniert oder nicht, Vorbei die Zeit holzschnittartiger Ausschlusslisten mit statischen Keywords wie „Katastrophe, Finanzkrise oder Rassismus“. Die neuen Tools sind immer häufiger in der Lage zu differenzieren, ob eine Meldung wirklich problematisch ist, oder ob sie sich schon konstruktiv mit „der Zeit nach der Katastrophe“ auseinandersetzt.

„Umfeld-Targeting wird enorm an Bedeutung gewinnen“, meint Norman Wagner, der Mediachef der Deutschen Telekom. War das nicht der gleiche Claim, mit dem Native Advertising vor fünf Jahren angetreten ist? In der Tat. „Native Advertising hat ein riesiges Qualitätsproblem“, sagt Lucas Schärf der Gründer von Content Garden. Die Systeme von Taboola oder Outbrain funktionieren hervorragend, nur die ausgespielten Werbemittel zeigen von Clickbaiting über fremdsprachliche Anzeige bis hin zu reinen Arbitrage-Betrügern (Weiterleitung auf mit Anzeigen gepflasterte Landeseiten) alles, was man auf den Seiten eines Premium Publishers eigentlich nicht sehen will. „Wenn ich Publisher wäre, würde ich mich nicht wohlfühlen mit solchen Anzeigen auf meiner Seite“, sagt Schärf. Ein Argument pro domo natürlich, denn Content Garden legt seine Natives dem Publisher für 24 Stunden zur Prüfung vor. 

 

Die armen Publisher. Diesen Herbst prasselt eine Menge auf die Verlagshäuser ein, allen voran das Thema TCF 2.0. Das neue Consent Framework verlangt eine bessere, weil detailliertere Verwaltung der Einwilligungen der Nutzer und neue Cookie-Banner, die so komplex sind, dass der Durchschnitts-Nutzer sie kaum mehr durchschaut. Immerhin freuen sich zum Beispiel Zeit und Süddeutsche über massiv gestiegene Abo-Zahlen im digitalen Segment.

 

Ob die LogIn-Allianz NetId dabei auf Dauer hilfreich ist, muss sich immer noch beweisen. Zwar gab die Allianz eben bekannt, man könne jetzt auch auf die Reichweite der Index Exchange zugreifen und Telekom-Mann Wagner bleibt bei seiner Auffassung: „das ist ein wichtiger Ansatz, ich glaube daran“. Aber es gibt eben auch ganz andere Ansichten. Claas Voigt von emetriq (einer Telekom-Tochter!) kann den Mehrwert von NetID partout nicht finden. Und der unabhängige Marketingberater Erik Siekmann ist der Auffassung, dass man NetID genug Zeit gegeben hat: „Der Drops ist gelutscht“.  

 

Eins ist klar: Auch wenn die technischen Dienstleister sich alle Mühe geben, den Advertisern zu sagen, dass sich an den Targeting-Möglichkeiten durch den Wegfall der 3rd-Party Cookies nicht so viel ändert, es ist ein Umdenken spürbar. Wer Daten hat, investiert in eine Data Management Platform oder (Achtung, neues Buzzword) Customer Data Platform (CDP), um unabhängig von den Daten Dritter Endkunden direkt ansprechen zu können. Und das gilt auch für Marken, die wahrlich keinen „organischen“ Zugang zu Nutzerdaten haben. Felix Jahnen, der Digitalchef von Jägermeister berichtet auf der Dmexco-Bühne davon, dass er gerade eine CDP gekauft hat und nun nach pfiffigen Ideen sucht, wie er seine Kunden zur Datenübergabe verführen kann.

 

Alternativ könnte man natürlich auch auf Selbstselektion setzen. Das gilt ein Stückweit für die neue Trenddisziplin Audio-Marketing. „Die Marketer müssen lernen, Podcast only zu denken“, sagt RMS-Digitalchef Bacher. Der Radiovermarkter spielt programmatisch Audiospots in Podcasts aus und da nur ein Teil der User digital erkennbar ist, gehört des Themen-Targeting zu seinen wichtigsten Platzierungskriterien.

 

Auf Selbstselektion setzt auch der Native-Ansatz von Content Garden. Der User entscheidet selbst, ob er auf den Teaser klickt. Content Garden rechnet nur ab, wenn der User auch wirklich auf der Landeseite ankommt.

 

Selbstselektion ist auch der Pitch für Welect. Der User sieht vier Teaser zu Videospots, die als Preroll vor einem Content-Video geschaltet werden. Und er entscheidet selbst, welches er sehen möchte.

 

Oder der User entscheidet selbst, welchem Influencer er auf Social Media folgt und setzt darauf, dass dieser die Werbeauswahl passend zur Zielgruppe kuratiert. „Da sind die Influencer inzwischen hoch professionell. Die wissen genau, wie schnell sie Follower verlieren, wenn das nicht passt“, erklärt Peter-Pavel Kraljic, Geschäftsführer der Influencer-Agentur Takumi.

 

Womit dieser kleine Dmexco-Rundgang endet, denn wir sind wieder bei TikTok angekommen. Wenn sich Marken überlegen, wie sie „richtig“ auf TikTok werben, dann ist der Königsweg natürlich, die eigene Marke durch Influencer in die Zielgruppe tragen zu lassen. Hoffentlich zensurfrei.

 

Allerdings kann man den Rundgang nicht beenden, ohne einen Blick auf die Leistung der technischen Plattform Dmexco zu werfen. Insgesamt hat das Kölner und Berliner Team einen guten Job gemacht. Mit einer einzigen Ausnahme: Eine mobile Variante der Site hätte es nicht nur geben sollen, sondern müssen.