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Deshalb muss Bürokratie abgebaut werden

Wünschenswert guter Service wird auf vielerlei Weise durch hausgemachte Bürokratie boykottiert. Wie man ihr zu Leibe rückt, zeigt dieser Beitrag.
Anne M. Schüller | 15.10.2020
Deshalb muss Bürokratie abgebaut werden © Freepik / lanasham
 

Kundenzentrierung steht bei vielen Unternehmen weit vorn, zumindest auf dem Papier. Doch fragt man die Kunden, zeigt sich sehr oft ein anderes Bild. Wünschenswert guter Service wird auf vielerlei Weise durch hausgemachte Bürokratie boykottiert. Wie man ihr zu Leibe rückt, zeigt dieser Beitrag.

 

Wer durchstarten will, muss sich radikal auf die Seite des Kunden stellen. Und alles, was nicht dem direkten Kundenwohl dient, muss konsequent abgebaut werden. Doch leider agieren viele Unternehmen nach wie vor effizienzgetrieben und selbstfokussiert. Tunlichst sollen sich die Kunden in die jeweils vorgedachten Abläufe fügen, umständliche Formalien akzeptieren und im Takt ihrer altersschwachen Software ticken.

 

Heißt: Die Klientel soll ackern, damit man selbst nicht so viel Arbeit hat. Wirklich kundenorientiert ist aber nur der, der sämtliche Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass nur noch positive Erlebnisse übrigbleiben. Denn jede Unannehmlichkeit vertreibt die Kunden heutzutage ruckzuck. Außerdem kann jede Störung in der Wertschöpfungskette zu einem Einfallstor für Disruptoren werden.

 

Das Hauptproblem für Ärger mit Kunden ist Bürokratie

Die Zeit des Kunden verschwenden? Geht gar nicht! Alles, was Vorgehensweisen langsam macht, muss also schleunigst weg. Und alles, was sie schnell macht, muss her. Doch klassische Managementformationen sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren. Regeln, Standards und Normen von früher lähmen das Vorankommen, frustrieren die Mitarbeiter und verärgern die Kunden.

 

Prozessbesessenheit, Reportingmanie und Bürokratie machen ein Unternehmen träge und dumm, weil alles einem vordefinierten Weg folgen muss und in starren Verfahrensweisen versinkt. Standards erzeugen zudem Isomorphie: Alles gleicht sich immer mehr an. Doch nur das Besondere, Faszinierende, Bemerkenswerte hat eine Zukunft. Bei Vergleichbarem hingegen entscheidet allein der Preis. Dann soll es wenigstens billig sein. Für die Bilanz ist das verheerend.

 

Ein Bürokratieabbauprogramm „Minus50“ ist sinnvoll

50 Prozent weniger Bürokratie, Administration, Regelwerke, Statusberichte, Formulare und Genehmigungsverfahren sind eine vernünftige Zielzahl. „Minus50“ nenne ich dieses Programm. Weshalb Minus50? Einleuchtende Vorgaben sichern ein notwendiges qualitatives Leistungsniveau. Und sie helfen, böse Fehler zu vermeiden. Solche Prozesse sind kluge Prozesse. Die bleiben natürlich.

 

Dumme Prozesse hingegen verplempern wertvolle Zeit. Zudem sorgt Bürokratie für Selbstvermehrung. Jeder Ausrutscher hat eine weitere Regel zur Folge. Am Ende wird das Ganze derart komplex, dass alles wie in einem Panzer erstarrt und jeder zum Leidwesen der Kunden nur noch „Dienst nach Vorschrift“ tut.

 

Ein ausuferndes Berichtswesen verleitet auch dazu, sich von den Kunden abwenden zu können, nach dem Motto: "Würde nicht so viel Zeit mit Status Reviews verschwendet, hätte ich mehr Zeit zum Verkaufen." Und jeden Freitag ist Märchenstunde: Der Wochenbericht muss geschrieben werden. „Irgendwann habe ich den einfach nicht mehr abgegeben – und niemand hat ihn vermisst“, erzählt mir ein Vertriebsmitarbeiter.

 

Crossfunktionale Einsatztrupps sind am besten

Ein Bürokratie-Transformationsteam kann sich um überholte Abläufe quer durch das ganze Unternehmen kümmern. Zum Beispiel so: „Bisher dauert die Abwicklung von x eine Woche. Wie schaffen wir das in einem Tag?“ Oder so: „Bisher brauchte die Dokumentation von Vorgang y zehn Seiten. Wie gelingt das in zehn Sätzen?“ So kann man Verfahren digitalisieren, Komplexität reduzieren, Tempo machen, mithilfe agiler Tools die Effizienz nachdrücklich steigern und deutlich mehr Wertschöpfung erzielen.

 

Oha, Sie meinen, die einzelnen Abteilungen sollen sich selbst darum kümmern? Genau das wird nicht klappen. Ausufernde Verfahrensweisen und Vorschriftenberge sind Selbsterhaltungsmechanismen. Sie untermauern die Wichtigkeit und dienen der Bedeutungserhöhung. Durch einen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Vorgaben- und Steuerungsadministration schaffen sich viele Bereiche überhaupt erst eine Existenzberechtigung.

 

Gemeinsames Entrümpeln durch „Kill a stupid rule“

Um die Kundenzufriedenheit zu steigern, hat der US-Banker Vernon Hill eine ganz einfache Methode entwickelt. Seine Ausgangsfrage dabei lautet so: „Kill a stupid rule!“ Was bedeutet: Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Verfahren und von welchem administrativen Unsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?

 

Bringen Sie diese Frage doch mal ins Abteilungsmeeting. Bitten Sie dann die Anwesenden, sich zu zweit zusammenzusetzen und innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden, auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben und an eine umgedrehte Pinnwand zu heften. Sie werden sich wundern, wie da die Funken sprühen und was so alles zusammenkommt.

 

Ist die Sammlung komplett, wird eine Priorisierung vorgenommen. Danach machen sich Dreier-Teams an die Arbeit, um „stupid rules“ ganz zu streichen oder durch neue, agilere Vorgehensweisen zu ersetzen. Zum Start fängt man am besten dort an, wo sich schnell was bewegen lässt. Dies ist schon allein deshalb sehr hilfreich, weil erste Erfolgserlebnisse im Unternehmen via Storytelling schnell die Runde machen.

 

Im ganzen Unternehmen auf Bürokratiemonsterjagd

Neben überflüssigem Papierkram, antiquierten Routinen, lästigen Arbeitsabläufen, unnötigen Verfahren, bremsenden Vorschriften und sonstigen Bürokratiemonstern kann man sich bei dieser Gelegenheit auch von vielen weiteren Monstern trennen:

 

- Schreibstil-, Textbaustein- und Floskelmonster

- Kundenvergraulungsmonster

- Meeting-, Powerpoint- und eMail-Monster

 

Bevor man sich also um Neues kümmert, müssen die Altlasten weg. Erst muss gejätet werden, damit die junge Saat aufgehen kann. Das würde auch jeder Gärtner so machen. Alles Unkraut, das die jungen Triebe am Wachsen hindert, räumt er zunächst beiseite.

 

Mithilfe der Kunst des klugen Weglassens ist ein dicker Batzen Kostenersparnis locker drin. Dabei wird nicht nur wertvolle Arbeitszeit eingespart, es werden auch bedeutende Mittel frei, um die Kundenhege und -pflege zu optimieren und Innovationen in Angriff zu nehmen, die das Unternehmen fit die Zukunft machen.

 

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen

Die Orbit-Organisation

In 9 Schritten zum Unternehmensmodell

für die digitale Zukunft

Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro

ISBN: 978-3869368993

Finalist beim International Book Award