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Nebenwirkungen von Multi- und Omni-Channel

Oft werden Konzepte als das eine Allheilmittel für eine erfolgreiche Zukunft präsentiert. Jedoch sollten auch die Nebenwirkungen beachtet werden.
Michael Brandtner | 22.02.2021
Nebenwirkungen von Multi- und Omni-Channel © Freepik
 

Immer wieder werden Konzepte als das eine Allheilmittel für eine erfolgreiche Zukunft präsentiert. In der Handelslandschaft gilt das heute mit Sicherheit für Multi-, Omni-Channel und das berühmte 360 Grad Einkaufserlebnis. Wann immer man einen analogen oder digitalen Handelskongress besucht, stößt man auf Statements wie dieses: „Der Schritt, den der Handel gehen muss, um sich zukunftsfähig aufzustellen, ist der Schritt hin zum Omnichannel-Commerce. Dem Kunden sollte online und offline eine allumfassende und kontinuierliche Customer Experience geboten werden.“ Nur wie bei jedem wirkungsvollen Konzept, sollte man immer auch die Nebenwirkungen im Auge haben. Im Falle von „Multi- oder Omnichannel“ sollte man speziell auf die folgenden drei Punkte im Beipacktext achten:

 

Nebenwirkung 1: Man denkt regional in einem globalen Medium

Das Internet unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von allen anderen Massenmedien bisher: (1) Es ist global. (2) Es ist interaktiv. Damit bietet das Internet speziell die große Chance, dass man damit globale Marken baut. Genau diese Chance bleibt aber in der Regel bei Omni- oder Multi-Channel-Konzepten ungenutzt. So wird speziell von stationären Händlern das Internet maximal als eine Art „Ergänzung“ zum bestehenden Geschäftsmodell gesehen.

Das heißt: Man ist vor allem damit beschäftigt, das eigene stationäre Geschäftsmodell rund um die eigenen Filialen zu digitalisieren. Nur genau so beschränkt man sich in der Regel in einem globalen Medium selbst auf einen geographisch eingeschränkten Markt. Gleichzeitig steigt aber so in Summe die Gefahr, dass in Zukunft relativ kleine nationale Multi- oder Omni-Channel-Geschäftsmodelle auf relativ große globale Nur-Online-Geschäftsmodelle stoßen werden.

 

Nebenwirkung 2: Man verschenkt wertvolle Zeit

Damit kommen wir auch gleich zum zweiten Punkt. Wer das Internet nur als Ergänzung sieht und dementsprechend handelt, verschenkt unter Umständen wertvolle Zeit. Nehmen Sie Amazon! Wo wäre Jeff Bezos mit seinem Handelsimperium heute, wenn er von Anfang an Multi- oder Omni-Channel gedacht hätte? Die wahrscheinliche Antwort: Nur in den USA. So gesehen hatte er das große Glück, dass es in den 1990er Jahren noch keine Flut an Multi- und Omni-Channel-Experten gegeben hatte. Gerade das Internet erlaubt eine globale Expansionsgeschwindigkeit, wie diese zuvor nicht möglich war.

Aber wer das Internet nur als logische Ergänzung zum analogen Geschäftsmodell sieht, wird genau diese mögliche Expansionsgeschwindigkeit anderen nur digitalen Wettbewerbern überlassen. Nehmen Sie etwa Douglas! So träumt Douglas-Chefin Tina Müller davon, dass man einmal die erste Adresse in allen Schönheits- und Beautyfragen werden wird. Dazu hieß es im Manager-Magazin Juni 2019: „Aus Douglas soll eine Beautyplattform werden, auf der sich ein Termin beim Frisör buchen, eine Masseurin nach Hause bestellen und die Handtasche zum Abendkleid finden lässt.“ Diesen Traum kann man – wenn überhaupt – nur national träumen. International wird Douglas das nie erreichen.

 

Nebenwirkung 3: Man spricht wahrscheinlich vor allem die eigenen Kunden an.

Nehmen Sie etwa Media-Markt und Saturn. Natürlich bieten beide Marken ihren Kunden in Deutschland ein stationäres und ein digitales Einkaufserlebnis. Aber dabei sollte man sich eine Frage stellen: Wen wird der Internet-Auftritt von Media-Markt am ehesten ansprechen? Natürlich die Media-Markt-Kunden! Wen wird der Internet-Auftritt von Saturn am ehesten ansprechen? Natürlich die Saturn Kunden! So waren die meisten Coke Light-Trinker zuerst Coca-Cola-Trinker und die meisten Pepsi-Light-Trinker zuerst Pepsi-Cola-Trinker. So meinte auch der Sprecher einer österreichischen Möbelkette, die international tätig ist: „„Unser Onlinegeschäft läuft in jenen Gegenden schlechter, wo wir mit Filialen nicht so gut vertreten sind.“

Während Amazon als Internetbuchhändler den Kunden aller stationären Buchhandlungen eine echte Alternative bot, wird der Internetauftritt von Thalia sehr viel stärker die Thalia-Kunden als die Kunden anderer Buchhandlungen ansprechen. Während Tesla für die Käufer aller Premiummarken eine Alternative ist, wird der Audi e-tron vor allem die Audi-Kunden ansprechen. Das Problem dahinter ist, dass die Verantwortlichen von großen etablierten Marken in der Regel die Macht der eigenen Marke über- und die Macht von neuen Marken unterschätzen. Provokante Frage dazu: Wie würden Barnes & Noble oder Thalia heute dastehen, wenn man auch Amazon besitzen würde?

 

Defensiv statt offensiv

So werden es wahrscheinlich viele, vor allem viele große stationäre Handelsunternehmen in Zukunft bereuen, dass man das Internet eher defensiv als Ergänzung zum eigenen analogen Geschäftsmodell gesehen hat, statt wirklich offensiv die vollen Möglichkeiten dieses neuen Mediums auszuschöpfen. Denn eines ist klar: Wer etwa die Gelben Seiten ins Internet überträgt, wird im Internet immer nur eine digitale Ausgabe der Gelben Seiten bekommen, aber man wird niemals Google werden. Unter diesem Gesichtspunkt, speziell unter Beachtung der drei Nebenwirkungen sollte man vielleicht die eigene Strategie noch einmal überdenken, um wirklich das globale Potenzial des Internets für das eigene Unternehmen voll zu nutzen. Dabei sollten speziell die großen Handelsunternehmen in neuen Online-Geschäftsmodellen und zusätzlich in neuen Online-Marken denken.