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Digital ins Regal: Apotheken im Umbruch

Der Apothekenmarkt steht vor einer fundamentalen Transformation. Alles neu macht der Lockdown: Die Customer Journey.
Martha Schulze-Borges | 10.09.2021
Digital ins Regal: Apotheken im Umbruch © freepik / pch.vector
 
Strukturelle Veränderungen im Versorgungssystem, Digitalisierungen von Prozessen sowie sich ändernde legislative Rahmenbedingungen stellen die Branche auch ganz ohne Pandemie schon vor genügend Herausforderungen. Lockdowns, Masken und Abstandsregeln zeigen wiederum, dass Apotheken genauso wie stationäre Einzelhändler krisensichere Konzepte brauchen. Das Fehlen von Laufkundschaft lässt den OTC-Markt stagnieren, Bürgertests werden derweil in Schnellimbissen angeboten. 
 
Während ab Juli 2021 das digitale Rezept seine Testphase in Berlin und Brandenburg startete und im Oktober bundesweit ausgerollt werden soll, geht Amazon erste Schritte im Diagnostic & Lab Testing Business und etabliert sich im OTC-Markt. Die Digitalisierung schreitet in vollem Tempo voran. Apotheken sind derweil jedoch häufig auf sich gestellt. Wo sich die einen also sogar noch weitreichendere digitale Angebote – insbesondere auch seitens Pharma – wünschen, setzen die anderen noch auf ihr gutes altes Faxgerät. Genau dort gilt es jedoch anzusetzen, um den Rückstau in der Digitalisierung aufzuholen.
 
Alles neu macht der Lockdown: Die Customer Journey
 
Die größten Learnings aus der Pandemie sind dabei klar: Die Kommunikation zwischen Pharma und den Apotheken ist deutlich ausbaufähig. Zudem gilt es neue Wege zu finden Healthcare-Professionals (HCPs) aktiv zu unterstützen. So kam es in der ersten Welle zu regelrechten Hamsterkäufen bei OTC-Produkten wie Schmerzmitteln, insbesondere Paracetamol. Häufig war hier sogar nicht klar, ob die Supply Chain zusammenbrechen würde, da die Kommunikation zwischen Apotheken und Pharma bei weitem noch nicht ausgereift ist. Der normale Abverkauf in den Filialen selbst stand dabei jedoch fast vollkommen still. So wandten sich Patient*innen vorrangig an Online-Versandapotheken oder nahmen die Botendienste ihrer Hausapotheken in Anspruch. Wer nun die Customer Journey nicht dementsprechend schnell anpassen oder die gefragten Produkte liefern konnte, sah sich mit massiven Umsatzeinbußen konfrontiert. Wie so häufig in der Wirtschaft galt auch hier: Größere Ketten hatten Schwierigkeiten und Probleme mit der Geschwindigkeit der Transformation mitzuhalten. Schlankere Unternehmen konnten sich hier schneller digitalisieren. Ein wichtiger Faktor, waren es doch insbesondere die Apotheken, die währen des Lockdowns Patient*innen zur Seite standen! So konnte beispielsweise in gut aufgestellten Filialen der Prozess der Testung von Beginn an digitalisiert und adaptiert werden. 
 
In der zweiten und dritten Welle änderte sich dies erneut. Apotheken waren nun häufig die einzige Anlaufstelle für viele Patient*innen, um Fragen zu klären. So wurde selbst der Besuch beim Facharzt oder der Fachärztin gerne aufgeschoben, Apotheken – egal ob mit oder ohne Rezept – jedoch nur allzu gerne besucht. Um so wichtiger wurden gut ausgebildete Mitarbeitende, die Rede und Antwort stehen konnten. Pharmaunternehmen, die hier Online-Trainings, Webinare oder andere weiterführende Services anboten, um Apothekenpersonal dahingehend zu unterstützen, waren gern gesehen. Generell galt es (und gilt es auch weiterhin) massiv in die Weiterbildung sowohl bei Pharma selbst als auch in den Filialen zur bestmöglichen Unterstützung der Patient*innen zu investieren. Derzeit, wo eine deutliche Normalisierung spürbar ist, haben viele Pharmaunternehmen nun ihre Lehren aus der turbulenten Zeit gezogen.  So wurden Safety Stocks für eine sichere Supply Chain aufgebaut, aber auch insbesondere die Betreuungsmodelle der HCPs überdacht. 
 
Dezentral, flexibel, remote: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf den Apothekenvertrieb?
 
Ganz klar, die klassischen Besuche vom Außendienst gehören in jedem Fall teilweise der Geschichte an. So waren Vor-Ort-Besuche zu Beginn der Pandemie kaum möglich und auch der Umstieg auf das Telefon nur bedingt erfolgreich. Denn wenn die Filialen voll sind, hat das Apothekenteam keine Zeit zu verschenken. Wenngleich auch viele Apotheken noch auf das gute alte Fax setzen, gilt es gemeinsam digitale Tools zu etablieren, um solche Kommunikationslücken zu schließen. HCPs können dann selbst entscheiden, wann und wie sie die für sie wichtigen Informationen konsumieren wollen. So ist eine Betreuung von Apotheken beispielsweise mittels Chatbots, Foren oder auch zentralen Service-Webseiten, die durch Multi-Channel-Manager und in Absprache mit dem Außendienst begleitet werden, denkbar. Auch der klassische Direkteinkauf lässt sich über eine digitale Plattform deutlich einfacher abwickeln. Die jetzige Sommerphase sollte also für eine gemeinsame Absprache der gewünschten Kommunikationskanäle und einen Digitalcheck in den Apotheken selbst genutzt werden. So können vor Ort mögliche Tools getestet und besprochen werden. Sollte dann im Herbst ein möglicher neuer Lockdown anstehen, sind beide Seiten gut vorbereitet. 
 
Zudem muss nun auch endlich die Endverbraucherin bzw. der Endverbraucher in der Apotheke direkt abgeholt und in den eigenen Kommunikations– und Vertriebsstrategien gezielt mitbedacht werden – und das, abseits der klassischen Set-out-Modelle! Eine reine Displaywerbung reicht hier schon lange nicht mehr aus. Pharma muss daher direkt an der Quelle ansetzen: Es gilt das Apothekenpersonal zu schulen, um schlussendlich Patient*innen zu erreichen. Eine ganzheitliche Betreuung und Gesundheitslösungen, auch zur Prävention, sind dabei gefragt.
 
Fazit: Individualisiert zum Apotheker*innen-Kontakt
 
Pharma und Apotheken müssen in Zukunft – für eine krisensichere Kommunikation – enger zusammenarbeiten. Schließlich sind letztere für die Branche ein wichtiger Vertriebskanal mit großer Umsatzbedeutung. Es gilt also partnerschaftlich zu denken, Hürden abzubauen und die Kommunikation dahingehend auszubauen. Pharma muss auch hier generations- und medienübergreifend denken. Denn nicht alle Apotheker*innen haben den gleichen Informationsanspruch oder auch die gleichen Präferenzen, wenn es um die Zeit, den Ort oder die Art der Informationsbeschaffung geht. Die Zukunft ist also keineswegs eindimensional! Es gilt in der Ansprache in möglichst viele Richtungen zu denken – sowohl on- als auch offline. Digitale Tools bzw. eine Ansprache durch Multi-Channel-Manager in Absprache und mit Integration des Außendiensts werden in Zukunft Standard sein. Eine einheitliche Plattform aller Pharmaunternehmen in Zusammenarbeit mit Healthcare-Professionals könnte dabei ihr Übriges tun, um die Abverkäufe und Kommunikation mit den Apotheken zu vereinfachen. Stand jetzt ist das jedoch Zukunftsmusik. 
 
Zumindest sollten aber individualisierte Schulungen für das eigene Omni-Channel-Angebot zur Pflicht und nicht nur Kür werden. Insbesondere hier gilt es auf Interaktion zu setzen, wenngleich diese auch digital stattfinden kann. Die jeweilige Spezialisierung bzw. Positionierung der einzelnen Apotheken macht eine generelle Ansprache eh unmöglich. Denn DIE Apotheke gibt es nicht mehr, da bei jedem Healthcare-Professional hier andere Bedürfnisse vorrangig sind. Eine persönliche Ansprache vorab ist also unabdingbar. Wenn es dann um die Digitalisierung geht, gilt es dabei vorrangig die Prozesse abseits der reinen Abverkäufe durch Angebote zu vereinfachen und zu ergänzen, einen echten Mehrwert zu schaffen – weg vom Präparat und reiner Displaywerbung, hin zur Lösung des Problems der Betroffenen. So sollte Pharma beispielsweise auch gezielt das Fachpersonal auf das Beratungsgespräch vor Ort mittels der richtigen Informationen zu möglichen aufkommenden Fragen vorbereiten. Denn eines darf dabei nie vergessen werden: Schlussendlich sind sowohl Apotheken als auch Pharma dem Wohle der Patient*innen verpflichtet.
 
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