Touchpoints für den Omnichannel-Handel
Wer nicht wirbt, der stirbt. Klingt hart, oder? Dennoch hat diese Redewendung einen sehr wahren Kern: Nur wer konsequent und umfangreich Marketingmaßnahmen ergreift, kann dauerhaft erfolgreich sein. Egal ob es sich um die kleine Boutique an der Ecke handelt, die auf Mundpropaganda setzt oder aber den großen Konzern, der mit gewaltigen Werbekampagnen die Republik überschwemmt. Produkte und Dienstleistungen mit Werbung einem großen Publikum zu präsentieren ist eine der herausforderndsten Aufgaben, der man in der modernen Arbeitswelt begegnen kann. Nicht, weil Menschenleben von den eigenen Fähigkeiten abhängen oder aber Millionenbudgets in Rauch und Flammen aufgehen, sollte man sich verrechnen. Nein. Sondern, weil das Arbeiten im Marketing jeden Tag voraussetzt, die eigenen Arbeitsweisen und Methoden auf den Prüfstand zu stellen – und diese notfalls komplett zu entsorgen.
So kann es theoretisch vorkommen, dass eine neue Medienplattform die Welt im Sturm erobert und viele Menschen ihre Freizeit in diesem Medium verbringen. Sollten Marketer diesen Trend übersehen oder bewusst ignorieren, könnten sie schnell den Sprung auf den nächsten Schnellzug verpassen und im Bahnhof versauern. Das bedeutet jedoch auch, dass sie in keinem Abteil und auf keinem Platz wirklichen Komfort entwickeln können, weil sie stets auf gepackten Koffern sitzen. Dazu kommen diverse andere Herausforderungen, welche Marketingteams oft in den Wunsch treiben, sich selbst zu klonen.
Die Business App Fishbowl [1] fragte im Jahre 2019 die Mitglieder des eigenen Netzwerkes: Wer hatte schon einmal Burn-out? Dabei kam heraus, dass keine Berufsgruppe so stark betroffen ist wie die der Marketer und PR-Experten. Nahezu zwei Drittel der 1875 befragten Mitarbeiter von Agenturen gaben an, bereits an der Krankheit zu leiden oder sie bereits erlebt zu haben. Und jeder Marketer, auch in Deutschland, kennt Kollegen, welche von ähnlichen Erfahrungen berichten oder aber Menschen kennen, die durch den Stress in der Arbeit krank wurden.
Kein Marketingteam kommt ohne lange Listen mit überfälligen Tasks und Deadlines aus. Das gehört zum Arbeitsalltag dazu. Das ist jedoch nur selten der Grund, warum sich Teams und Marketer so schnell erschöpfen. Vielmehr sind es die unzähligen kleinteiligen Aufgaben, welche gerne in den Bereich „Schnell nebenbei“ geschoben werden. Egal ob es um das Pflegen von Kontaktlisten für Newsletter geht, die Erstellungen von Workflows für Anmeldungen und Downloads von Content oder aber um das Verwalten von externen und internen Anfragen. Automatisierung im Marketing bedeutet auch in diesem Jahr in vielen Unternehmen immer noch, dass am Schluss ein Mensch Daten von A nach B schubst.
Aus diesem Grund ist vor allem die Automatisierung von wiederkehrenden Aufgaben das Gebot der Stunde und jedes Unternehmen sollte dafür Energie und auch Mittel in die Hand nehmen. Zumindest, wenn es mittelfristig sein Marketingteam nicht regelmäßig austauschen möchte. Oder anders gesagt, es muss das Motto gelten: Was automatisiert werden kann, muss auch automatisiert werden. Das gilt für Agenturen, aber vor allem für analog agierende Unternehmen des deutschen Mittelstandes im Handel und darüber hinaus. Denn gerade in diesem Spannungsfeld ist das Marketing ein essenzieller Bestandteil einer nachhaltigen Zukunftsstrategie. Der Handel und die Filialen der Zukunft brauchen vor allem in Zeiten des Omnichannels genügend kommunikative Schlag-kraft, um im unendlichen Dauerlauf der Aufmerksamkeitsökonomie mit den Giganten des E-Commerce gleichzuziehen.
Denn, während der Handel in Deutschland noch immer über Innovationen und ihre Sinnhaftigkeit diskutiert, mögliche Schutzsteuern [2] als Gedankenspiele in den Raum wirft oder sich gleich auf eine Insel des Selbstmitleids zurückzieht, preschen die globalen (und meist amerikanischen) Player immer weiter nach vorne und revolutionieren damit regelmäßig die Art und Weise wie Marketing gedacht wird. Oder um im Bild zu bleiben: Die Taktrate im Bahnhof hat durch die Digitalisierung und den Wettbewerb gewaltig zugenommen. Und damit läuft der filialbasierte Einzelhandel Gefahr, ohne passende digitale Touchpoints auf allen Bahnsteigen den Anschlusszug zu verpassen. Drastischer gesagt könnte man es auch sehr spitz formulieren: Wer in den kommenden Jahren nicht die Zeichen der Zeit erkennt und sich ihnen anpasst, wird vom Markt verschwinden.
Betrachten wir den Status quo, dann erkennen wir also Folgendes:
- Marketing in der Digitalisierung erfordert große Flexibilität.
- Vor allem Marketer stehen dadurch unter konstantem Druck.
- Gleichzeitig muss vor allem der Handel jetzt aktiv werden.
- Die Automatisierung im Marketing wird immer wichtiger, ist aber noch am Anfang.
Entwicklungsland Deutschland?
Eine der größten Herausforderungen des Handels der Zukunft – und des damit einhergehenden Marketings – ist der Bedarf und Wunsch nach Individualisierung. Immer mehr Menschen fordern die Vorteile ein, welche durch diese neuen Technologien möglich werden. Vor allem geht es dabei um Komfort und Geschwindigkeit. Einer Umfrage des IT-Beratungsunternehmens Capgemini [3] aus dem Jahr 2020 zufolge würden fast 60 Prozent der knapp 10.000 Befragten ohne schlechtes Gewissen von einem Einzelhandelsunternehmen ohne Automatisierung zu einem wechseln, welches diesen Komfort bereits anbietet.
In diesem bestimmten Fall bezieht sich die Umfrage jedoch vor allem auf die Automatisierung im Handel, sprich zum Beispiel auf Self-Checkout-Kassen. Jedoch verrät sie auch spannende Erkenntnisse über das Verhalten von Kundinnen und Kunden in Deutschland und vor allem über ihre Bereitschaft, neue Technologien zu nutzen. Denn während in Deutschland bisher nur gut ein Drittel der Konsumenten für moderne Einkaufserlebnisse vor Ort auf einen Einkauf im Netz verzichten würden, sind es in Indien bereits fast 80 Prozent und in China sogar 85 Prozent.
Diese Diskrepanz lässt sich jedoch erklären. In Deutschland nutzten 2020 durchschnittlich zwei Drittel aller Einwohner zumindest sporadisch das mobile Internet. Der große Unterschied zu den sogenannten Schwellenländer ist die Akzeptanz und Nutzung von mobilen Endgeräten. Einfach, da gerade in China oder Indien nur sehr wenige Menschen noch auf klassische Heimcomputer zurückgreifen und lieber das Smartphone für alle Geschäfte des täglichen Lebens nutzen [4].
Jedoch ist eine ähnliche Entwicklung mit einer kleinen Verzögerung auch in Deutschland zu beobachten. Denn, gerade Millenials sind heute nicht weniger mobil digitalisiert und werden den Handel der Zukunft auch in der Bundesrepublik und in ganz Europa maßgeblich prägen. Gleichzeitig setzen sie eine neue Lawine in Bewegung, welche die Digitalisierung noch einmal beschleunigen wird. Denn, um die junge und immer wichtigere Zielgruppe zu erreichen, beginnt für Unternehmen ein neuer Wettlauf um die Aufmerksamkeit dieser Kunden im Netz und auf allen verfügbaren und in Zukunft kreierten Kanälen. Und gerade hier wird die Marketing-Automatisierung eine entscheidende Rolle spielen.
Denn, die Kommunikation im Netz ist heute nicht mehr linear, sondern hochgradig asynchron. Das heißt, dass es keinen direkten und persönlichen Kontakt mehr zwischen Werbern und Empfängern gibt, sondern eine auf den ersten Blick wahllose Kombination an Werbemaßnahmen, Aktionen, Kommunikationskanälen und Auftritten. Gerade für die Produkt-Erlebnis-Welt oder den filialbasierten Einzelhandel ist diese Entwicklung eine große Herausforderung. Einfach, da in vielen Chefetagen noch immer in klassischen Kampagnen und von Prospekt zu Prospekt gedacht wird. Jedoch ist dieses Verhalten der beste Weg, um auf dem Bahnsteig zurückzubleiben.
Digitalisierung bedeutet für den Handel – und eigentlich alle Unternehmen – die Notwendigkeit, sich selbst flexibler aufzustellen und experimentierfreudiger zu werden. Denn, das zeigt die Erfahrung aus vielen Jahren als Experte: Egal wie gut der Plan ist, manchmal scheitert er an der Realität. Erfolgreiche Unternehmen und Firmen erkennt man daran, was nach dem Scheitern passiert. Der Umgang mit Fehlschlägen definiert die Zukunft. Während die einen nämlich ihre Investitionen zurückfahren und sich auf die Dinge konzentrieren, die zuverlässig funktionieren, wagen die anderen den nächsten Sprung ins kalte Wasser und probieren fleißig weiter.
So war vor einigen Jahren eine eigene App-Lösung der heilige Gral für viele Händler in Deutschland und eigentlich der gesamten westlichen Welt. Jedes Unternehmen brachte eine eigene App auf den Markt und versuchte, die eigene Kundschaft zu Nutzern zu machen. Einige wenige konnten mit ihnen große Erfolge feiern, die meisten Unternehmen jedoch gingen in der Masse unter. Einfach, da eine App, genau wie jede andere Kommunikations- und Werbemaßnahme, nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges ist. Hinter jeder erfolgreichen digitalen Kampagne stecken viele Stunden an harter Arbeit und moderner Kommunikation. Zu sagen „wir haben jetzt auch eine App“ kann nur ein Teil eines großen Mosaiks sein, welches andere Maßnahmen und Technologien ergänzt und sinnvoll einbindet.
Wenn wir also heute von Marketing Automation sprechen, dann müssen wir diese Technologie als einen weiteren Trittstein in der Brücke in die digitale Welt ansehen. Sie kann uns helfen, Hürden zu nehmen und trockenen Fußes auf der anderen Seite anzukommen. Jedoch ist sie kein Schnellboot, welches uns ohne Mühen auf der anderen Seite absetzt.
Fassen wir also zusammen:
- Die Welt wird immer digitaler.
- Und Unternehmen müssen sich diesem Wandel anpassen.
- Gerade wenn es darum geht, mit Fehlschlägen umzugehen.
- Denn, Kommunikation ist heute asynchron und erfordert ein Umdenken.
- Keine Technologie alleine kann den Sprung ins digitale Zeitalter auslösen.
- Vielmehr braucht es Geduld, einen Plan und Ehrgeiz.
Hands on: Was können wir tun?
Was bedeutet das jedoch in der Praxis? Gerade für Händler ist es wichtig, große Projekte und Ambitionen in kleinere und einfachere Teilschritte zu übersetzen. Einfach, da es unmöglich ist, das laufende Geschäft einfach herunterzufahren und alles auf links zu drehen. Eine Idee ist es also, Meilensteine zu definieren, welche für sich genommen Erfolge darstellen und die gleichzeitig auf das gemeinsame Konto einzahlen, eine globale, lokale und digitale Marke zu werden. Grob umrissen könnten diese Meilensteine heißen:
▶ Infrastruktur
▶ Sichtbarkeit
▶ Automatisierung
▶ Optimierung
▶ Perfektionierung
Literatur
[1] Fishbowl (2020): Studie „Pandemic Burnout: 68% Suffering from Workplace Burnout due to WFH; 37% Now Switching Jobs“ – https://www.fishbowlapp.com/insights/2020/06/29/pandemic-burnout-68-suffering-from-workplace-burnout-due-to-wfh-37-now-switching-jobs/ – Zugriff 24.09.2021
[2] Haberich, R. (2021): Gastkommentar Internet World Business: E-Commerce-Steuer: Der Kampf David gegen Goliath? – https://www.internetworld.de/digitaler-handel/online-handel/e-commerce-steuer-kampf-david-goliath-2687887.html – Zugriff 24.09.2021
[3] Capgemini (2020): Studie „Automatisierung kann Kunden zurück in die Einzelhandelsläden bringen“ – https://www.capgemini.com/de-de/news/automatisierung-chance-fuer-stationaeren-einzelhandel – Zugriff 24.09.2021
[4] Trentmann, N. (2016): WELT.de: „Viele Chinesen sind ohne Smartphone nicht lebensfähig“ – https://www.welt.de/wirtschaft/article155093947/Viele-Chinesen-sind-ohne-Smartphone-nicht-lebensfaehig.html – Zugriff 24.09.2021