Sollten Unternehmen um jeden Preis wachsen?
Die Rechnung ist ganz einfach, doch nach wie vor scheinen sie viele Unternehmen nicht richtig verstanden zu haben: Wer zufriedene Mitarbeiter hat, die ihren Job lieben, die ihre Tätigkeit mit Leidenschaft ausüben, weil sie flexibel arbeiten können, ein gutes Klima haben und das Gefühl bekommen, Verantwortung zu tragen, der wird als Chef oder Unternehmer langfristig immer davon profitieren. Denn ein Mitarbeiter, der aus sich selbst heraus motiviert ist, weil ihm an der Sache liegt, weil er sich mit der Firma und seinen eigenen Aufgaben identifiziert, wird immer mehr Leistung erbringen als ein Kollege, der per Auftrag oder Dienstanweisung dazu bewegt werden muss.
Unternehmen sollten deshalb verstehen, dass das Streben nach langfristigem Erfolg nicht mit dem kurzfristigen Blick auf Zahlen, Umsätze und Gewinne allein zu tun hat. Viel wichtiger wird es sein, dass Unternehmen in Deutschland, gerade angesichts herausragender Transformationen etwa auf dem Feld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, auf Gewinne verzichten, um ihren Betrieb langfristig zu erhalten und weiter zu entwickeln.
Wachstum nicht um jeden Preis
Jedes Unternehmen will wachsen, doch Wachstum um jeden Preis ist ein strategischer Fehler. Um die Logik dieser These zu erläutern, reicht ein fiktives Beispiel zweier Unternehmen. Betrieb A fordert von seinen Mitarbeitern mit Blick auf kurzfristige Umsätze überdurchschnittlich hohen Einsatz und Überstunden, weshalb kaum Zeit für die Entwicklung einer Unternehmenskultur und auch für Weiterbildungen bleibt, zumal der Arbeitgeber lieber in neue Produkte und Märkte investiert als in Coachings oder Seminare. Jahresgespräche drehen sich in Unternehmen A eher um Aufgaben, Leistungen, Unternehmensziele als um die individuelle Entwicklung des Mitarbeiters. Die Angestellten vermissen Wertschätzung, verlieren die Identifikation mit ihrer Tätigkeit und gehen innerlich auf Abstand zum Unternehmen, was sich alles in allem sehr negativ auf ihre Motivation auswirken wird. Sie werden weniger kreativ sein, weniger engagiert, weniger Ideen einbringen und in letzter Konsequenz weniger leistungsfähig.
Betrieb B hingegen verzichtet bewusst auf Teile des Gewinns und investiert massiv in die eigene Belegschaft. Die Mitarbeiter fühlen sich dadurch nicht nur wertgeschätzt; sie lernen auch stetig dazu, sind neuen Entwicklungen am Markt gewachsen und bekommen Perspektiven und Pfade aufgezeigt, wie sie sich selbst weiter entwickeln können. Es geht darum, Mitarbeiter nicht in eine Schablone zu pressen, sondern ihre individuellen Fähigkeiten wahrzunehmen und sie dementsprechend einzusetzen und weiter zu entwickeln.
Viele Unternehmen haben einzig das Ziel, schnell möglichst groß zu werden. Doch es ist besser, nicht immer das Maximum an Wachstum anzupeilen und statt schnell vor allem organisch, abhängig von der Branche, und gesund zu wachsen. Ein Unternehmen, das mit Blick auf die Auftragslage 20 neue Mitarbeiter einstellen könnte, sollte womöglich schrittweise vorgehen und zunächst nur die Hälfte anwerben. Natürlich ist der schnelle Weg zu neuer Größe reizvoll, aber er ist umgekehrt auch eine große Gefahr für die Kultur eines Unternehmens, die sich gerade bei kleineren Unternehmen festigen oder auch noch konkreter herausbilden muss.
Eine gewachsene, funktionierende Unternehmenskultur ist für viele Betriebe ein nicht zu unterschätzender Wert. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu werden, wie sich diese Kultur bewahren lässt und welche Entwicklungen ihr womöglich entgegen stehen, beispielsweise ein zu aggressiver Wachstumskurs.
Warum Kündigungen Unternehmen Geld kosten
Die Konzentration auf die eigenen Mitarbeiter und auf die Kultur geht natürlich bisweilen auf Kosten der Arbeitszeit, die für Projekte zur Verfügung steht. Aber am Ende zahlen sich Investitionen aus. Denn zufriedene Mitarbeiter, die Vertrauen spüren, die ihre Rolle auf dem Weg zum Unternehmenserfolg klar erkennen und bei denen Aufstieg nicht nur in Form von Beförderungen stattfindet, sondern durch eine permanente Entwicklung, werden versuchen, das in sie gesetzte Vertrauen zurück zu zahlen, die auf sie zugeschnittene Rolle ausfüllen und so ihr Potential optimal entfalten – was wiederum dem Unternehmen zugutekommt.
Studien zeigen, dass eine Kündigung in der Regel zwei bis fünf Monatsgehälter kostet – weil Kunden verloren gehen, weil die Produktivität des Mitarbeiters zum Ende hin sinkt, weil die Personalabteilung bei der Suche nach einem Ersatz Zeit und Geld aufwenden muss. Dabei ist nicht zu vergessen, wie viel Wissen und Erfahrung beim Weggang eines Mitarbeiters verloren geht, diese Kosten sind nicht zu beziffern, aber auch nicht zu unterschätzen. In Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels wird es deshalb immer wichtiger, die eigenen Leute so zu pflegen, dass sie ihrer Arbeit gerne nachgehen, aber auch, dass sie in ihrer Tätigkeit einen Sinn erkennen.
Wie Unternehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiter übernehmen
Und nicht zu vergessen: Unternehmen haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Sie tragen eine Verantwortung dafür, sorgsam mit ihren Mitarbeitern und deren Arbeitskraft umzugehen und dabei das Individuum als solches zu behandeln, sprich: Jeden Mitarbeiter separat zu betrachten, zu bewerten und zu behandeln. Das bedeutet auch, dass nicht jeder Angestellte früher oder später mit Führungsaufgaben betraut werden muss, im Gegenteil: Eine funktionierende Personalentwicklung erkennt, ob ein Mitarbeiter eher als Führungs- oder doch als Fachkraft taugt. Auch hier gilt: Man tut weder dem Mitarbeiter noch dem Unternehmen einen Gefallen damit, Menschen zum Beispiel zu Führungskräften zu machen, die sich in dieser Rolle womöglich gar nicht sehen.
Das Problem einer wertschätzenden Personalentwicklung war schon immer, dass sie sich nur schwer messen und in Zahlen ausdrücken lässt. Deshalb ist die Entwicklung einer Unternehmenskultur, in der Personalentwicklung ernst genommen wird, Chefsache. Es braucht das Commitment von ganz oben, um klar zu machen, dass die Konzentration auf das Fördern der eigenen Mitarbeiter durchaus dafür sorgen darf, dass kurzfristig weniger Gewinne erwirtschaftet werden.