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Wunderwaffe Purpose?

Mit einem starken Purpose zum Markenerfolg – so einfach ist es in der Praxis leider nicht. Denn ohne klare Positionierung bleibt er wertlos.
Michael Brandtner | 25.07.2022
Wunderwaffe Purpose © Freepik / ijeab
 

Immer wieder werden Konzepte als eine Art notwendige „Wunderwaffe“ für Marken und Unternehmen angepriesen. In den 1980er und 1990er Jahren galt dies etwa für das Thema „Leitbild“, gefolgt von wahren Visions- und Missionsorgien in Unternehmen. Heute lautet mit Sicherheit das Megathema Nr. 1 für Marken und Unternehmen „Purpose“. Egal ob man heute in einem Unternehmen einem Zukunfts-, Strategie- oder auch Markenworkshop beiwohnt, man wird am Thema Purpose nicht vorbeikommen.

Zwei „Killerargumente“ für das Thema Purpose

Dabei stößt man immer wieder auf zwei echte Killerargumente, warum ein Purpose so wichtig, erstrebenswert und de facto „unausweichlich“ ist. Dazu sollten wir uns beide einmal näher ansehen.

(1) Erfolgreiche Marken haben einen Purpose. Egal ob auf Kongressen, Tagungen oder Seminaren, egal ob in Fachartikeln, in Vorträgen oder im persönlichen Gespräch, es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass erfolgreiche Marken einen klaren Purpose haben. Weniger wichtig ist dabei aber anscheinend, ob zuerst die erfolgreiche Marke oder zuerst der definierte Purpose da waren. Wenn heute Konzerne wie etwa Unilever lautstark darüber nachdenken, dass man für jede Marke einen Purpose definieren will, so ist klar, dass hier zuerst jeweils die starke Marke da war, bevor überhaupt ein Purpose definiert wurde.

(2) Erfolgreiche Start-up-Unternehmen beruhen auf einem Purpose. Die zweite Gruppe, die gerne als Erfolgsbeispiel für einen Purpose benutzt wird, sind erfolgreiche Start-up-Unternehmen. Nur haben diese meist den unschätzbaren Vorteil, dass diese auf einer starken Gründungsidee beruhen, die gleichzeitig die Basis für einen starken Purpose und eine starke Positionierung ist. Mehr noch: Hier bilden oft Gründungsidee, Purpose und Positionierung eine extrem starke Einheit, die nach innen und außen wirkt.

Dazu noch eine Beobachtung aus der Praxis: Unternehmen und Marken, die eine starke Gründungsidee und/oder eine starke Positionierung besitzen, tun sich bei der Formulierung eines starken Purpose bedeutend leichter als Unternehmen und Marken mit einer schwammigen Gründungidee und/oder schwammigen Positionierung

Purpose versus Positionierung

Um besser zu verstehen, worum es geht, sollten wir Purpose und Positionierung auf konzeptioneller Ebene vergleichen. Dabei gibt es einen großen Unterschied: Man kann heute für jedes Unternehmen und jede Marke, egal ob gerade erfolgreich oder nicht, einen Purpose definieren und kommunizieren. Man kann auch heute für jedes Unternehmen und jede Marke, egal ob gerade erfolgreich oder nicht, eine Positionierung definieren und kommunizieren. So wird man heute auch so gut wie kein Strategie-, Marken- oder Marketingpapier finden, in dem nicht das Wort „Positionierung“ vorkommt.

Nur in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden sind nur die wenigsten Marken wirklich klar positioniert. Positionierung – konzeptionell gesehen – ist im Gegensatz zu den meisten anderen Management- und Markenkonzepten ein relatives Konzept. So kann etwa jede Marke in einer Branche einen Purpose und auch eine Positionierung definieren und kommunizieren, aber nur eine kann im Sinne des „The winner takes it all“-Prinzip wirklich die eine Spitzenposition in der Wahrnehmung der Kunden besitzen. Das heißt: Wie stark eine Marke oder ein Unternehmen positioniert ist, hängt nicht nur von der eigenen Idee, sondern vor allem auch von den Ideen des Wettbewerbs ab. Nicht umsonst definierten Al Ries und Jack Trout Positionierung als einen mentalen Kampf um die Kunden.

Purpose und Positionierung

Das heißt: Im Idealfall bilden Purpose und Positionierung wie etwa bei vielen erfolgreichen Start-up-Unternehmen eine starke Einheit, die nach außen und innen wirkt. Nur dabei sollte man immer bedenken, dass letztendlich der Punkt der Entscheidung in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden liegt. Nur und nur dort wird entschieden, was, wann, wo und wie oft gekauft wird. Nirgendwo sonst!

Deshalb werden wir auch in Zukunft immer und immer wieder die „Entdeckung“ machen, dass erfolgreiche Marken mit einer starken Position in der Kundenwahrnehmung und am Markt einen starken Purpose definieren und besitzen. Nur sollten wir mit dem Rückschluss vorsichtig sein, dass ein starker Purpose auch automatisch dafür sorgt, dass dann daraus eine starke Marke in der Kundenwahrnehmung und am Markt wird. So mussten auch in den 1980er und 1990er Jahre viele Unternehmen leidvoll lernen, dass die Wunderwaffe „Leitbild“ sich in der Praxis oft mehr als eine Art „Leidbild“ entpuppte, das weder nach innen noch nach außen eine echte Wirkung erzielen konnte.

Fazit: Themen wie Purpose, Haltung, Engagement und gesellschaftliche Relevanz gewinnen klar an Bedeutung für die Markenführung. Nur als Basis sollte man unbedingt zuerst sicherstellen, dass man eine klare Position in der Wahrnehmung der Kunden besitzt. Denn wenn Ihre Marke heute keine klare differenzierende Positionierung besitzt, die produkt- bzw. dienstleistungsspezifisch relevant ist, braucht man sich über kurz oder lang mit Sicherheit keine Sorgen um die gesellschaftliche Relevanz machen.

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Über Michael Brandtner

Michael Brandtner ist Berater für strategische Positionierung, Partner of Ries Global und Autor des Buches „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“.

Kommentare

Torsten Schwarz

Prima Zusammenfassung der Problematik und insbesondere der Tatsache, dass es sich mal wieder um alten Wein in neuen Schläuchen handelt: Was in der Neunzigern "Leitbild" hieß, wird nun als "Purpose" definiert.