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Programmatic Streaming: Werbeerlebnis neu denken

Connected TV öffnet den Fernseher für Programmatic Advertising. Doch noch werden die einzigartigen Möglichkeiten, die Streaming bietet nicht genutzt.
Ekkehardt Schlottbohm | 01.08.2022
Programmatic Streaming – Werbeerlebnis neu denken © Freepik / studiopeace
 

Im Programmatic Advertising sowie CTV-Geschäft ist Deutschland die Nummer zwei in Europa hinter UK. Dabei entwickelt sich der deutsche Markt derzeit zu einem der interessantesten und innovativsten Werbemärkte. Und das nicht nur, weil Streaming und damit Connected TV (CTV) die Wohnzimmer der deutschen Bevölkerung längst erobert haben und beim Konsum von Bewegtbildinhalten kaum noch wegzudenken sind.

Lokale Sender stehen an der Spitze der HbbTV-Innovationen (Hybrid broadcast broadband TV), und HbbTV-Werbung wird voraussichtlich einen bedeutenden Umfang mit der Einführung neuer adressierbarer Werbemöglichkeiten erreichen. Dazu kommt eine außergewöhnlich große Menge an scheinbar robusten Kooperationen bei CTV- und gemeinsamen Identity-Lösungen.

Auf dem Markt wachsen derzeit Mid- und Long-Tail-CTV-Apps stark. Wie in allen Märkten stehen die lokalen etablierten Unternehmen jedoch unter erheblichem Druck der US-amerikanischen Technologiegiganten, und die Bedenken wachsen, ob sich die einheimische Industrie bei der Bereitstellung programmatischer Lösungen schnell genug bewegt. Um die Komponenten rund um den rasant wachsenden CTV-Markt besser zu verstehen, lohnt ein intensiver Blick auf den führenden US-Markt.

So plant Netflix die Einführung eines werbefinanzierten Modells, um neue Audiences anzuziehen. Dieses soll möglicherweise auch programmatische Werbung umfassen. Während Netflix im Gegensatz zu NBC und Disney keinen Zugriff auf die Angebote von strategischen Partnern hat, muss die Streaming-Plattform irgendwie aufholen. Dabei ist Programmatic eine verlockende Option.

Da sich der Advertiser-Demand immer mehr auf Programmatic verlagert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere Streaming-Anbieter wie Apple und HBO sich in diesem Bereich ebenfalls versuchen werden. Die Effizienz von und starke Nachfrage nach Programmatic sind überaus attraktiv, nicht zuletzt da sich die programmatischen CTV-Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln.

Für die Streaming-Anbieter bietet Programmatic zahlreiche attraktive Vorteile. Beim Zuschauererlebnis bleiben jedoch noch immer Wünsche offen. Um eine überzeugende Alternative für Netflix, Apple und andere Anbieter darzustellen, muss sich dies ändern.

Alles super, nur nicht die Ads

Laut NAB (National Advertisers and Broadcasters)¹ sollen im laufenden Jahr 230 Milliarden US-Dollar für Originalinhalte ausgegeben werden. Gleichzeitig (re)präsentiert das Video-Streaming die hochwertigsten TV-Inhalte, die es bisher gab.

Dabei sind nicht nur die Inhalte qualitativ hochwertig, sondern sie lassen sich auch von Unternehmen wie Netflix und Disney zur Daten- und Erkenntnissammlung nutzen, um Empfehlungen zu personalisieren und das Browsing-Erlebnis genauso gut wie das Viewing-Erlebnis zu gestalten.

Und nun der Vergleich mit dem Werbeerlebnis. Der Übergang zu den Ads verläuft meistens nicht optimal. Anzeigen werden oft aus linearen oder digitalen Kampagnen wiederverwendet. Die Frequenz lässt zu wünschen übrig. Hier gibt es Verbesserungspotential.

Ein neues Werbeerlebnis

Werbung erfolgreich zu gestalten, ist für Unternehmen mit Abonnentenmodell schwierig. Netflix will seine Abonnenten nicht verlieren; Werbung muss also behutsam austariert werden. Sie darf nicht so aufdringlich erscheinen, dass sie die Abonnenten verärgert, muss aber genug Impact haben, um Nicht-Abonnenten zu überzeugen, sich anzumelden.

Laut einer Studie² haben 79 % der Zuschauer das Gefühl, dass in Streaming-Shows zu viele Anzeigen eingeblendet werden und dass diese zu repetitiv sind. Einige Streaming-Unternehmen haben sich daher dafür entschieden, weniger Ads auszuliefern. Statt Inhalte in regelmäßigen Abständen zu unterbrechen, werden Ads zwischen zwei Shows eingeblendet oder nachdem die Inhalte angehalten wurden. Die Zuschauer erwarten diese weniger aufdringlichen Werbeerlebnisse mittlerweile.

Es gibt aber noch andere Problemzonen. Trotz des dramatischen Anstiegs der Streaming-Zuschauerzahlen in den letzten Jahren übersteigt der qualitativ hochwertige Demand immer noch den qualitativ hochwertigen Supply. Mit Frequency Capping lässt sich zwar die Häufigkeit begrenzen, mit der Display- oder Videoanzeigen denselben Usern präsentiert werden – Frequency bleibt aber dennoch weiterhin ein Problem. Auf dem programmatischen Marktplatz gibt es eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Anbieter. Sie alle müssen ihre Anzeigen überwachen und managen, um eine bestimmte Frequency aufrechtzuerhalten. Und genau hier gibt es noch Lücken.

Der Creative-Boom für Streaming-Ads

Display Advertising erlebt derzeit eine „goldene Ära“. Einzigartige Formate wurden entsprechend für alle Gerätearten, sozialen Plattformen und spezifische Websites und Apps entwickelt. Nutzer können mit Anzeigen interagieren – Spiele spielen, Produkte kaufen und mithilfe von AR sogar Erlebnisse virtuell ausprobieren. Die Streaming-Ads stehen kurz davor, diese Ära in den Schatten zu stellen.

Streaming ist ein passives Medium, bei dem sich der Zuschauer auf dem Sofa zurücklehnt, während die Action auf dem Fernseher stattfindet. Interaktive Ansätze sind beim Streaming im Vergleich zu Display etwas eingeschränkter. Dennoch spricht nichts gegen den potenziellen Erfolg von Live-Shopping und ähnlichen Konzepten.

Marken müssen das Werbeerlebnis neu überdenken. Dabei muss ein Messaging priorisiert werden, das die einzigartigen Eigenschaften des Streamings nutzt. Die global aktive Lifestyle-Marke Fabletics nutzt beispielsweise Audience-Daten, um Inventar zu kaufen, das mit höchster Wahrscheinlichkeit die Hauptzielgruppe erreicht. Dazu unterzieht die Marke ihre Creatives einem Test, um zu identifzieren, welche Ads auf dem entsprechenden Channel am besten ankommen.

Während diese Art von Innovation an Fahrt aufnehmen wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die Audience zu priorisieren und ein positives Zuschauererlebnis sicherzustellen. Programmatic für Streaming wird kommen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass es auch für die Zuschauer funktioniert. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und dem unterschiedlich entwickelten CTV-Markt Europas. Auch dieser ist auf dem großen Sprung nach vorne.

 

Quellen:

¹ https://amplify.nabshow.com/articles/230-billion-will-be-spent-on-content-in-2022/

² https://morningconsult.com/2021/10/18/ad-tech-streaming-services-poll/

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Über Ekkehardt Schlottbohm

Ekkehardt Schlottbohm ist Regional VP, Northern Europe bei PubMatic.