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Datengetrieben Marketing und Vertrieb vereinen

Marketing und Vertrieb stehen sich oft ablehnend gegenüber. Ein eindeutiger Bewertungsrahmen für Erfolg kann Silos überwinden und Synergien aufbauen.
Daniel Renggli | 22.08.2022
Datengetrieben Marketing und Vertrieb vereinen © Freepik / rawpixel.com
 

Marketing und Vertrieb sind sich oft spinnefeind, arbeiten gegeneinander statt miteinander – bis hin zur Sabotage. Dass dies nicht erfolgversprechend ist, weder fürs Business noch für die Customer Experience, ist offensichtlich. Dabei kann Marketing nicht ohne Vertrieb, und Vertrieb nicht ohne Marketing. Nur eine enge Zusammenarbeit führt zum Erfolg. Basis dafür ist gegenseitiger Respekt, eine gemeinsame Sprache, gemeinsam festgelegte Ziele und sinnvolle Kennzahlen, die einen gesamtheitlichen Blick auf den gesamten Trichter (Marketing und Sales Funnel) bieten.

Respekt für die Arbeit der anderen

Beginnen wir mit dem, was oft im Argen liegt: der gegenseitige Respekt von Marketing und Vertrieb. Wenn es zu einem Abschluss kommt, sind nicht wenige Vertriebler der Meinung, dass das allein ihnen zu verdanken ist. Dass Marketing hier Vorarbeit geleistet hat, wird großzügig übersehen. Dass gemäß Forrester Research 68 Prozent der Einkäufer es vorziehen, online zu recherchieren, anstatt mit einem Vertriebsmann oder einer Vertriebsfrau zu reden, wird gerne ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass gemäß Forbes in einem B2B-Umfeld 80 Prozent der Kaufentscheidung getroffen ist, bevor ein Kunde oder eine Kundin überhaupt daran denkt, ein Unternehmen zu kontaktieren. Also ist die Arbeit von Marketing enorm wichtig und verdient Respekt.

Umgekehrt hat Marketing oft wenig Ahnung von dem, was Vertriebsleute den ganzen Tag über tun, was zum Beispiel Opportunity Management heißt, wie viel Aufwand mit der Beantwortung eines RFPs (Request for Proposal) verbunden bist, oder welchen Effort es braucht, bis ein Kunde unterschreibt. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Marketing sieht sich sehr häufig nur die Abschlussrate an, nicht jedoch den mit einem Abschluss verbundenen Kundenwert – und feiert sich nicht nur für «Leads», die zu keinem Abschluss führen, sondern auch für solche, die margenschwache Geschäfte und/oder betreuungsintensive Kunden bringen. Das wird dann gerne als Problem des Vertriebs gesehen. Auch das ist nicht gerade respektvoll.

Es täte also beiden Seiten gut, sich einmal näher mit den Kollegen und Kolleginnen auseinanderzusetzen, denn: Marke und Vertrieb sind untrennbar.

Marketing- und Vertriebs-Esperanto

Esperanto hat sich zwar nicht gegen die englische Sprache durchgesetzt, aber dahinter steckte eine hehre Absicht: die bessere Verständigung der Völker untereinander. Die Marketers und die Vertriebler scheinen zuweilen auch zwei unterschiedlichen Völkern anzugehören. Während der Vertrieb von Opportunitäten und Abschlüssen spricht, sich mit Kunden, Entscheidern und Beeinflussern befasst, sprechen die Marketingleute von Brand Image, Reichweiten, Zielgruppen, Personas, Conversions und dergleichen. Im besten Fall verstehen beide «Leads», aber selbst hier bestehen unterschiedliche Vorstellungen darüber, was ein Lead ist (siehe oben). Entsprechend tief ist die Akzeptanzrate der vom Marketing generierten Leads. Oft liegt die gerade mal bei rund 20 Prozent. Mit anderen Worten: vier Fünftel des Marketingbudgets für Lead Generation ist zum Fenster hinausgeworfenes Geld! Zumindest aus Sicht des Vertriebs.

Es ist also ratsam, sich für eine bessere Zusammenarbeit zuerst einmal auf eine gemeinsame Sprache zu einigen. Dazu gehört, dass man ein gemeinsames Verständnis davon hat, wie ein qualifizierter Lead aussieht, z. B. durch die konsequente Anwendung der BANT-Kriterien (Budget, Authority, Need, Timeline), die es zuvor zu präziseren gilt. Es ist aber zu kurz gesprungen, nur bis zum Lead zu blicken. Die primäre Aufgabe von Unternehmen besteht darin, Geschäfte zu generieren – nicht bloß Interesse. Die entscheidende Größe für die gemeinsame Bewertung und Steuerung von Marketing und Vertrieb ist daher der eingeworbene Umsatz und sein Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln (Kosten-Nutzen-Verhältnis).   

Des Weiteren sollten die Vertriebsleute verstehen, wovon Marketing spricht, und wie die vorgelagerten Größen wie Reichweite, Klicks oder Anfragen mit den eigenen Zielen zusammenhängen. Und Marketing sollte umgekehrt verstehen, nach welchen Kriterien Leads akzeptiert oder zurückgewiesen werden, oder wie sie Opportunitäten positiv beeinflussen können, so dass die Abschlusschancen steigen.

Bewertungsrahmen für Leistung und Erfolg

Neben den eher weichen Faktoren geht es jetzt ans Eingemachte: Wenn also einmal alle wissen, wovon die Rede ist, dann sollte Marketing und Vertrieb gemeinsam einen Bewertungsrahmen für Leistung und Erfolg schaffen. Bei Hase & Igel gehen wir dafür in vier Schritten vor – nach dem Prinzip von «erkennen, verstehen, optimieren», kurz EVO:

Abbildung 1 in Anlehnung an den EVO-Prozess von Hase & Igel

Schritt 1 – Definition von gemeinsamen Zielen

Fragen Sie sich, wie Erfolg aussieht – für Marketing und Vertrieb. Legen Sie ehrgeizige, aber realistische Ziele fest, die nicht nur auf den Erfolg der eigenen Abteilung einzahlen. Denken Sie dabei vom gewünschten Resultat her, also z. B. dem eingeworbenen Umsatz (siehe oben) und schaffen Sie ein Zielsystem, das den gesamten Funnel von diesem Ergebnis her zu steuern vermag – über Silogrenzen hinweg. Dazu definieren Sie Kennzahlen (Key Performance Indicators), die realistisch in der Lage sind auszudrücken, wo Sie sich auf dem Weg zu diesem Ziel befinden. Hier gilt: Weniger ist mehr. Wichtig ist, dass jede und jeder in Vertrieb und Marketing genau versteht, was die entsprechenden Kennzahlen aussagen und wie sie hergeleitet werden, wie sie zusammenhängen, und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Noch wichtiger ist, dass Sie keine KPIs festlegen ohne vorgängige, bewusste Entscheidung dafür, was sie damit konkret steuern wollen. Kein KPI ohne Entscheidung, keine Entscheidung ohne KPI!

Eine der größten Filialbanken Europas hat nach dieser Logik ein Zielsystem geschaffen, das Kommunikationsleistungen nicht nur wirkungsorientiert misst, sondern auch zielorientiert planen lässt. Über die verschiedenen Organisationseinheiten und Marketing- und Vertriebskanäle hinweg lassen sich damit realistische Ziele und Budgets festlegen, und Leistung und Erfolg der Maßnahmen ganzheitlich bewerten – mit großer Akzeptanz, da transparent und für alle gleich.

Schritt 2 – Schaffen eines integrierten Systems

Was am Ende der Customer Journey passiert, sieht häufig nur das Vertriebscontrolling. Dabei sollten auch die Marketingleute an dem gemessen werden, was hinten rauskommt. Denn Wirkung isst Performance zum Frühstück. Schaffen Sie also ein integriertes System, dass alle relevanten Daten aus der eigenen Organisation zusammenbringt und für alle sichtbar macht – von «Top-of-the-Funnel»-Daten, die primär das Marketing interessieren, bis hin zu den CRM- und ERP-Daten des Vertriebs. Moderne Systeme, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, können darüber hinaus auch externe Markt- und Umweltdaten einfließen lassen, so dass nicht nur der Erfolg über die ganze Customer Journey messbar ist, sondern gleichzeitig ein Benchmark zu Kampagnen der Mitbewerber, der Entwicklung der Nachfrage im Markt und weiteren kritischen Erfolgsgrößen erfolgt, die von außen auf das Unternehmen einwirken.

Nicht nur die vielen eigenen Datentöpfe über Kanäle und Gräben hinweg zusammenzuführen, sondern eben diese Außensicht miteinzubeziehen, verschafft die Möglichkeit, die eigene Datenbasis entscheidend anzureichern und somit Ergebnisse realistischer zu bewerten und Erfolge klarer zu attribuieren. Wie sich dafür 3rd-Party-Daten von außerhalb des Unternehmens kreativ nutzen lassen im Zusammenspiel mit den eigenen Daten, zeigt die folgende Grafik aus einem Projekt in der Möbelbranche.

Abbildung 2: Verknüpfung der Datenquellen nach Schoenmakers (2021) [1]

Schritt 3 –Analyse der Erfolgstreiber

Daten allein bedeuten noch kein Wissen. Um erfolgreich zu steuern, müssen Sie genau verstehen, was zu Erfolg oder Misserfolg führt. Nicht schaden kann es an dieser Stelle, sich ein wenig mit multivariater Statistik zu befassen – gerade durch die Digitalisierung ist sie nicht so schwer zugänglich, wie viele glauben. Ermitteln Sie interne und externe Erfolgstreiber für Werbeträger, Werbemittel, Inhalte (Content), Anbahnung im Vertrieb, Pipeline Acceleration, Kundenwert, Kundenbindung, etc. Zum Beispiel Pricing und Call-to-Action (intern) oder Nachfrage nach komplementären Gütern, Wettbewerb und Wetter (extern). Wichtig ist dabei besonders, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Variablen (Maßnahmen, Kanäle, etc.) zu verstehen um Ihr System optimal zu gestalten. Somit werden Zusammenhänge zwischen den Kennzahlen und Funnelstufen nicht bloß behauptet oder aus allgemeinen Branchenstudien abgeleitet, sondern spezifisch an den Daten Ihres Unternehmens ermittelt. Die erkannten Erfolgstreiber sollten Sie dann laufend monitoren und unbedingt einbeziehen, wenn Sie Ziele definieren oder Ihre Maßnahmen bewerten.

Bei Hase & Igel nutzen wir KI, um die entscheidenden Variablen innerhalb und außerhalb der eigenen Unternehmung zu ermitteln, die wichtigen Zusammenhänge sichtbar zu machen und alle Einflussgrößen laufend zu messen. Ein großer Werkzeughersteller hat damit ein präzises Verständnis dafür gewonnen, bei welcher Kombination sich Kanäle, Themen und Werbemittel optimal gegenseitig befruchten – und kann genau einschätzen, welche äußeren Faktoren sich in welchem Ausmaß auf sein Geschäft auswirken werden, so dass er entsprechende Veränderungen proaktiv einbeziehen kann.

Schritt 4 – Aktive Steuerung und laufende Optimierung

Erfolg stellt sich bekanntlich nicht von allein ein. Man muss die Analysen interpretieren und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können. Dashboards bieten dabei einen schnellen Überblick und machen die Zusammenhänge einfach sichtbar. Zusätzlich bieten heute die meisten Tools «Drill-down»-Möglichkeiten, die einen tieferen Einblick in die Daten gestatten. Die Interpretation und vor allem die Schlussfolgerungen werden aber in der Regel den Nutzern selbst überlassen – die Anbieter gehen davon aus, dass diese schon wissen, welche Korrekturmaßnahmen sie einleiten müssen. Unserer Erfahrung nach reicht das aber oft nicht, um den erfolgskritischen Schritt vom Analysieren zum Handeln zu gehen. Eine wirklich smarte Lösung sollte Anwender automatisch mit konkreten Optimierungsvorschlägen unterstützen, so dass diese nicht nur die Ergebnisse stets im Blick haben, sondern auch Potenziale und Handlungswege erkennen. Denn eine Steuerung des Erfolgs ist untrennbar mit einer laufenden Anpassung der Instrumente und Maßnahmen verbunden: Optimierung gewinnt im Dauerlauf.

Ein führendes Franchise-Unternehmen im Handwerk hat sich auf dieser Basis von einmal festgelegten, starren Zielwerten verabschiedet und preist die aktuellen Entwicklungen automatisch in seine Zielvorgaben ein. Mit den KI-gestützten Optimierungsempfehlungen wird laufend die Höhe und Verteilung der Budgets überprüft und wenn nötig angepasst – und die beteiligten Einheiten und Dienstleister erhalten präzise Briefings, wo und wie optimiert werden sollte. Bereits im ersten Jahr wurden so mehrere Millionen Mehrumsatz mit demselben Budget gehoben.

Fazit

Es ist Zeit, die Gräben zwischen Marketing und Vertrieb zu schließen und eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Dabei unterstützt ein intelligentes System, das die Zusammenhänge der Marketing- und Vertriebsanstrengungen in Richtung der gemeinsam definierten Ziele gut sichtbar macht, aussagekräftige Benchmarks bietet und konkrete Handlungsoptionen aufzeigt. Das schafft nicht nur volle Transparenz und fördert das gegenseitige Vertrauen, sondern bildet auch eine konkrete Basis für eine enge Zusammenarbeit. Dazu braucht es selbstverständlich auch ein paar zusätzliche Anstrengungen im Bereich der weichen Faktoren, damit Marketing und Vertrieb als ein Team funktionieren. In jedem Fall gilt: Synergien schlagen Silos.

 

[1] Schoenmakers, J.: “Mit Big Data den Markt verstehen”, in: Naskrent, J., et al. (ed.): “Marketing & Innovation 2021. Digitalität – die Vernetzung von digital und analog.” Wiesbaden. (2021): 215-241, https://www.researchgate.net/publication/351009927_Mit_Big_Data_den_Markt_verstehen_Was_digitale_Daten_zum_Online-Verhalten_uber_Nachfrage_Trends_und_Vorlieben_der_Kaufer_verraten

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Daniel Renggli ist als Marketingexperte u.a. bei Hase & Igel tätig. Er betätigt sich ausserdem als Autor, Sprecher und Podcaster (BeyondCXM).

Kommentare

Norbert Schuster

Daten werden im Marketing und Vertrieb in verschiedenen Systemen und Touchpoints erfasst und verwaltet. Nicht nur, dass die Systeme und Daten integriert sein sollten, das moderne Marketing muss Prozesse auch über alle Systeme und Touchpoints hinweg denken und gestalten. Nur so kann das Verhalten von (potenziellen) Kunden vollumfänglich erkannt und adäquate Aktivitäten abgeleitet werden.

Bernhard Kölmel

Zunächst einmal wird durch die Integration eines datengetriebenen Marketing und Vertriebs die mögliche Intelligenz des Marketings und die Zusammenarbeit mit dem Vertrieb neu definiert. Es ist einfach Verbesserungsmöglichkeiten, optimale Kundenkontaktpunkte und Automatisierungspotenzial durch Reverse Engineering der Customer Journey zu identifizieren.

Anne M. Schüller

Herausragende Unternehmen liefern ihren Kunden komplett bereichsübergreifend abgestimmte Touchpoint-Erfahrungen über die gesamte Customer Journey hinweg. Denn der Kunde betrachtet eine Firma immer als Ganzheit. Ihm ist es schlichtweg egal, was hinter den Kulissen passiert, wer wofür zuständig ist und warum es wo klemmt. Abteilungsgrenzen interessieren ihn nicht. Aus welchem Bereich eine Lösung kommt, ist ihm schnuppe. Hauptsache, sie funktioniert.

Matthias Postel

Sehr richtig! Ohne gemeinsame Sprache und Ziele kann so eine Zusammenarbeit auf Datenebene nicht funktionieren. Und mittels einer Customer Data Platform können die benötigten Informationen auch sinnvoll zusammengeführt und die Komplexität verringert werden. Aus meiner Sicht gehört dabei unbedingt das C-Level des Unternehmens dazu, das die Unternehmensstrategie vorgibt und dafür die Daten benötigt.

Fred Geiger

Data-Driven ist kein Hexenwerk mehr - an Zahlen mangelt es uns wahrlich nicht. Wir brauchen vielmehr neue Prozesse.  So sollten agile Prozesse mit Beteiligten aus Marketing und Vertrieb nicht die Ausnahme, sondern die Regel und zudem konsequent handlungsauslösend sein: wir starten die Werbekampagne erst, wenn eine vorher definierte Distribution geschaffen wurde, unser Schulungskonzept wird sofort geändert, wenn der NPS hinter den Erwartungen liegt oder eine Road-Show konsequent gecancelt, wenn die Pilotveranstaltung bestimmte Kennziffern nicht erreicht. Kurzum: nicht die Organisation sucht sich Zahlen zur Steuerung, sondern die Zahlen steuern die Organisation. Das ist der eigentlich revolutionäre Gedanke im Data-Driven Marketing.