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Fünf Culture-Trends 2023

Oder wie Unternehmen das Beste aus dem machen, was sie haben. Erreicht New Work die kritische Masse?
Christian Bernhardt | 05.12.2022
Fünf Culture-Trends 2023 © rawpixel
 

Nach den Pandemiejahren 2020/2021 entflammte im Februar 2022 der Ukraine-Krieg und entwickelte sich vom regionalen Konflikt zur internationalen Krise. In Verbindung mit dem geplanten Atomausstieg stiegen die deutschen Preise für Strom und Gas um 115 %. Die Inflation begann zu traben, die Zentralbanken reagierten mit steigenden Zinsen. Kredite wurden teurer, die Investitionsbereitschaft sank. Der Fachkräftemangel erschwert es, offensiv zu reagieren. Dort, wo Wirtschaftswachstum möglich wäre, wird es durch fehlende Mitarbeiter gebremst. Gleichzeitig steigen die Ansprüche und Lohnforderungen der begehrten Talente. Das Wirtschaftsklima ist auf Rezession gestellt. Kurz: Der Druck nimmt zu! 

Bei höheren Kosten und begrenzteren Mitteln wird 2023 der Schlüssel zum Erfolg darin liegen, das Beste aus dem zu machen, was man hat. Für Effizienzsteigerung und Innovation braucht es fähige und motivierte Mitarbeiter, die gemeinsam an einem Strang ziehen und Führungskräfte, die die Räume und Strukturen schaffen, damit die Energie im Unternehmen frei fließen und sich entfalten kann. Mehr und mehr Unternehmen reagieren, indem sie neue Formen der Arbeit einführen, um die Anforderungen und Erwartungen zu erfüllen.

Trend 1: Kultur und Gemeinschaft stärken

Wie groß ist das Potenzial einer geschlossen agierenden Mannschaft, die sich zusammen mit Herz, Hand und Verstand für eine gemeinsame Sache einsetzt? Im Fußball zeigt sich das beispielweise im Vergleich des deutschen Weltmeister-Teams von 2014 mit ihren Nachfolgern, die 2018 bereits in der Vorrunde scheiterten. Das Prekäre: Personell blieben viele Positionen unverändert. Aber es fehlte der Teamgeist und die Geschlossenheit. Gleiches gilt für die Wirtschaft. Wer hört, dass die beiden Corona-Jahre für die norddeutsche Hotelkette Upstalsboom die erfolgreichsten der Firmengeschichte waren, reibt sich zunächst verwundert die Augen – und fragt dann nach dem Geheimnis hinter dem Erfolg. Als pandemiebedingt die Gäste ausblieben, mussten schließlich viele andere Häuser Insolvenz anmelden. Upstalsboom überstand dagegen durch vier entscheidende Faktoren die Krise unbeschadet: Getragen von einer starken Kultur sicherten volle Transparenz, klare gemeinsame Ziele und selbstorganisierte, agile Prozesse das Überleben.

Trend 2: New Work erreicht den „Handy-Moment“

Just zu dem Zeitpunkt, an dem sich Organisationsentwickler, Vordenker und Unternehmensberater kaum noch trauen, die Worte VUCA-Welt, Agilität und New Work in den Mund zu nehmen, werden sie gesellschaftsfähig. So stellte die Tagesschau Anfang November 2022 angesichts der immer stärker wachsenden Entwicklung fest, dass New Work mehr ist, als nur ein Trend. Everet Rogers Diffusionskurve von Innovationen beschreibt, dass Trends, die die kritische Masse erreichen, anschließend von der Gesellschaft aufgegriffen werden und sich etablieren. (siehe Grafik) Zur Jahrtausendwende war das schön zu beobachten, als zunächst alle über die Handy-Nutzer die Nase rümpften und kurz danach selbst eines in der Tasche hatten. Dieser Punkt scheint nun in Bezug auf New Work erreicht zu sein, so dass sprunghaft mehr und mehr Unternehmen folgen werden. 

In den letzten Jahren zeigte sich deutlich, was der Eintritt in die 4. Stufe der industriellen Revolution wirklich bedeutet. Die Situation kann sich von einem Tag auf den anderen komplett ändern, nichts ist wirklich planbar, die Rezepte von gestern funktionieren heute nicht mehr. Die aktuellen und kommenden Herausforderungen sind so komplex, dass sie nicht im Alleingang bewältigt werden können. Der starke Mann, der von der Unternehmensspitze her seiner Belegschaft den Weg in eine sichere Zukunft weist, ist mit der Vielschichtigkeit der Probleme genauso überfordert, wie jeder einzelne seiner Mitarbeiter. Die kommenden Probleme können nur gemeinsam gelöst werden. Aufgabe der Führung ist, dabei mit der passenden Haltung vorauszugehen und die erforderlichen Räume und Strukturen zu schaffen, in denen dem Wandel kooperativ und auf Augenhöhe begegnet werden kann. Dazu gehört der Umbau von hierarchischen Unternehmens- zu Netzwerkstrukturen und die Einführung flexiblerer Rollenmodelle, die ein selbstorganisiertes, agiles Handeln der Organisation ermöglichen. Das bringt zwei Vorteile: 

1. Wenn die Macht von der Unternehmensspitze auf alle Mitarbeiter verteilt wird, steigen die Handlungsfähigkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit. Die Organisation kann effizienter handeln und sich schneller verändern, die Agilität steigt. 

2. Die begehrten jungen Generationen Y und Z sind, mit dem Smartphone in der Hand, in Netzwerken großgeworden und reagieren irritiert auf die Organisationsstrukturen in herkömmlichen Unternehmen. Die jungen Talente spüren intuitiv, dass die alten Vorgehensweisen den aktuellen Herausforderungen nicht wirksam begegnen können und es wirksamere Lösungen gibt. Bereits 2018 planten gemäß einer Deloitte-Studie 43 % der Millennials, in den nächsten beiden Jahren ihre Arbeit zu kündigen, davon waren 62 % bereit, als Freelancer zu arbeiten. Die Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie kurz unterbrochen, wurde aber anschließend mit der großen Kündigungswelle direkt wieder aufgenommen. Arbeitgeber, die die Ansprüche der jungen Generation erfüllen, werden diese nicht nur effektiver halten, sondern auch vielversprechende Talente stärker anziehen.

Trend 3: Mit Wertschätzung Mitarbeiter zurückgewinnen, die Dienst nach Vorschrift schieben

Wenn die Kosten steigen und der Output gehalten werden soll, muss die Effizienz erhöht werden. Dabei kann es nicht darum gehen, das Hamster-Rad noch etwas schneller zu drehen. Eine rein quantitative Steigerung der durchoptimierten Prozesse ist vielerorts ohnehin nur schwer möglich. Und auch nicht nötig! Den wirklichen Unterschied machen qualitative Entwicklungssprünge. Damit diese gelingen, braucht es engagierte, motivierte Mitarbeiter und einen Rahmen, in dem sich jeder traut, sich zu beteiligen und außerhalb der Box zu denken. Laut Studien des Gallup-Institutes  schieben durchschnittlich 5 von 7 Mitarbeitern Dienst nach Vorschrift, 1 von 7 hat gar innerlich gekündigt. Unternehmen, denen es gelingt, diese Mitarbeiter zurückzugewinnen, erleben regelmäßig enorme Effizienzschübe und erkennen, dass es weniger Neueinstellungen braucht oder das vorhandene Potenzial sogar ganz reicht, weil die Mitarbeiter plötzlich wieder voll bei der Sache sind. 

Ein gutes Betriebsklima beflügelt die Mitarbeiter, eröffnet Synergien und beseitigt interne Grabenkämpfe und Silodenken. Eine Heidricks & Struggles Studie  belegt, dass der Fokus auf eine starke Kultur zu mehr als doppelt so guten Ergebnissen führt und der zentrale Schlüssel erfolgreicher Unternehmen ist. Eine starke Kultur wird getragen durch die Haltung der Führung, durch Wertschätzung, Kontakt auf Augenhöhe, Bewusstsein über den Sinn der gemeinsamen Arbeit und einem Employee-First-Ansatz. Eine kompromisslose Wertschätzungskultur hat einen weiteren Vorteil, denn sie das zentrale Merkmal, um gute Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.

Trend 4: Überlastung vorbeugen

Das Thema Fachkräfte bleibt aktuell: Auch wenn intern alles gut läuft, ohne neue Mitarbeiter geht es nicht. Allein durch die demografische Entwicklung müssen in den nächsten Jahren mehr und mehr Kollegen ersetzt werden. Dazu kommen strukturelle Aspekte durch die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung. Diese erfordern ständiges Lernen und Anpassen an die neuen Gegebenheiten. Bei der aktuellen Situation am Fachkräftemarkt können sich Unternehmen Fehler bei der Personalauswahl immer weniger leisten. Fehlgriffe sind nicht nur teuer (15-36 Monatsgehälter, Kienbaum ), sie verlängern auch die Suchzeit und überlasten die bestehende Belegschaft. Gerade letzteres ist in Zeiten, in denen sich jeder Dritte ausgebrannt fühlt, kritisch. Immer mehr Mitarbeiter ziehen aus Selbstschutz die Reißleine, 40 % kündigen aufgrund von Überlastung (PEW-Thinktank ). Wenn durchschnittlich jedes Vierte neugeschlossenen Arbeitsverhältnis in der Probezeit scheitert, führt die Überlastung zur nächsten Kündigung und lässt einen Teufelskreis entstehen.

Trend 5: Cultural-Fit Recruiting und die Suche nach dem Growth Mindset

Jeder Mitarbeiter, der geht, verschlechtert den Arbeitgeber-Ruf und erschwert die Gewinnung neuer Talente. Der Schlüssel zum Erfolg liegt neben der oben beschriebenen Kulturentwicklung in einer professionellen Personalauswahl, die auch den kulturellen Fit der Bewerber erhebt und neue Mitarbeiter anschließend mit einem ordentlichen Onboarding ins Unternehmen einführt. Angesichts der engen Fachkräftemärkte kommt es immer mehr darauf an, von der illusionären Suche nach dem perfekten Kandidaten abzulassen und zu untersuchen, welche Potenziale Bewerber mitbringen müssen, damit der Einstieg ins Unternehmen gelingt, um anschließend darauf aufzubauen. Die Organisationspsychologie zeigt, dass das am besten mit einem Growth Mindset gelingt. Bewerber, die diesen mitbringen, zeichnen sich durch eine hohe Lernbereitschaft aus, sehen Kritik als Wachstumschance, wissen, dass Fehler zum Entwicklungsprozess dazugehören und stellen die gemeinsame Entwicklung über das eigene Ego. Die Herausforderung liegt einerseits darin, diese Qualitäten im Recruiting zu erkennen und andererseits von betrieblicher Seite aus eine positive Feedback- und Fehlerkultur zu stellen, damit sie sich entfalten können.

 

Fazit: New Work wird gesellschaftsfähig. Um 2023 der unsicheren Lage und den engen Fachkräftemärkten erfolgreich zu begegnen, braucht es starke Kulturen und eine Personalgewinnung, die zur Kultur passende Talente mit Growth Mindsets erkennt und für sich gewinnt. 

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Über Christian Bernhardt

Dozent für nonverbale Kommunikation und Kommunikationspsychologie. Autor des Fachbuches "Nonverbale Kommunikation im Recruiting" (Springer-Gabler).