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CRM meets Targeting

Nach der Digitalisierung der Medienformate Musik, Film und Buch folgt jetzt die Digitalisierungsphase der Medien im Dialogmarketing.
Jürgen Seitz | 19.10.2011
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing Band 2:
http://TopOnlineExperten.de



Seit geraumer Zeit verzeichnen die klassischen Werbeformen des Direktmarketings wie Direct Mail sinkende Budgets, während die Ausgaben für Onlinewerbung kontinuierlich steigen. Hintergrund ist nicht nur ein kostenbedingter Wechsel der Kommunikationskanäle. Vor allem wird E-Mail zum Leitmedium der digitalen Kommunikation und verdrängt die klassische Direct Mail zunehmend in spezifische Nischen. Denn obwohl Direct Mail im Multichannel-Konzept weiterhin von Bedeutung sein wird, kann man davon ausgehen, dass die Digitalisierung nun auch im Direkt- und Dialogmarketing voranschreitet. Diese wird zunächst von technologischen Trends wie breit verfügbarer fest installierter und mobiler Breitband-Anbindung und dem Tablet-PC-Boom getrieben, aber auch gesetzlichen Initiativen wie der De-Mail. Nach der Digitalisierung der Medienformate Musik, Film und Buch folgt jetzt die Digitalisierungsphase der Medien im Dialogmarketing: Brief, Kundenzeitschriften, Beileger, Prospekte und Kataloge werden in Zukunft mehrheitlich digital ausgeliefert.


Kunden wünschen Dialog mit Mehrwert

Zwar führt dieser Wechsel auf einen neuen Kanal zu Kosteneinsparungen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass eine einseitige Fokussierung auf möglichst günstige Kommunikationskanäle eine Wertvernichtung herbeiführt. „Billiges Online-Marketing“ in Form von Spam, hochfrequentierte Penetration ohne Kontaktklassenbetrachtung und One-Shot-Kampagnen in beliebigen Umfeldern ohne Dialogcharakter sorgen für Ablehnung bei den Nutzern. Die Gründe liegen in einer empfundenen geringen Relevanz der Inhalte. Hochwertige Möglichkeiten des Online-Marketings wie Rich Media, Rückkanalfähigkeit und Echtzeitdialog werden nur ungenügend eingesetzt. Die Übertragung der etablierten Direktmarketingstrategien droht das neu entstehende digitale Ökosystem zu entwerten. Hintergrund dieser Entwicklung ist der Tatbestand, dass für den eigentlichen Empfänger ein zu geringer Mehrwert durch die Digitalisierung entsteht. Neben Kosteneinsparungen für den Versender muss es das Ziel sein, zusätzlich eine neue Qualität in den neuen digitalen Kanälen sicherzustellen und hochwertige Kommunikationsformate zu gestalten. Nur somit wird digitaler Dialog für den Nutzer einen hohen Wert und eine hohe Relevanz aufweisen.


Standards für hochwertige Kommunikation

Um dies zu ändern, müssen Versender (Werbetreibende, Agenturen und E-Mail Delivery Services), Empfänger (E-Mail Postfach Service Provider) und Gesetzgeber Standards für eine sichere und damit hochwertige Kommunikation schaffen. Das digitale Postfach muss beispielsweise Rich Media wie Video-Mails ermöglichen, „seitenorientierte“ Werbeträger wie Flyer, Prospekte, Kataloge ausliefern, auf verschiedenen Endgeräten Nachrichten nutzerfreundlich darstellen und idealerweise auch weitere Inputs wie ortsgebundene Informationen berücksichtigen können.

Mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger als die attraktive Darstellung, sind Inhalte mit einer hohen Relevanz. Diese kann nur gesteigert werden, wenn individuelle Bedürfnisse berücksichtigt und für die jeweilige Lebenssituation des Kunden die passenden Botschaften gestaltet werden. Auf Basis von Customer Insights können zum Beispiel die bereits aufgebauten Werbefilter durchbrochen werden, welche die Internetnutzer über die letzten Jahre entwickelt haben. Das Ziel muss sein, für den jeweiligen Nutzer zum richtigen Zeitpunkt die passende Botschaft zu platzieren!


Umfassende Customer Insights im digitalen Dialog

Wo findet man aber die dazu notwendigen Informationen? Im durchschnittlichen Mediennutzungsverhalten steigt der Anteil der täglichen Internetnutzung immer weiter an. Die Customer Journey, die Reise des Kunden durch das digitale Ökosystem, erstreckt sich mittlerweile über eine immer größer werdende Anzahl an Webseiten. Aus Sicht des Werbetreibenden kommen so auch Bestandskunden zunehmend über klassische Akquisitionskanäle wie SEM auf die eigene Website (Onsite). Ihre Bedürfnisse haben sich dabei häufig Offsite, das heißt auf Portalen, Preissuchmaschinen, sozialen Netzwerken et cetera ausgeprägt. Aussagekräftige Customer Insights erhält man erst, wenn möglichst alle Signale der Kunden auf der Customer Journey zusammengetragen werden.

Insbesondere gilt dies, da sich das Verhalten im Onsite- und Offsite-Bereich unterscheiden kann. Offsite, also in der „freien Wildbahn“ des Internets, beobachtet man die potenziellen oder Bestandskunden unabhängig von seiner Marke. Hier können insbesondere für die Marketingaktivitäten in der Lead- und Akquisitionsphase aufschlussreiche Erkenntnisse über den Nutzer generiert werden. Onsite, oder im „Verkaufsraum“, beobachtet man den Bestandskunden oder einen Interessenten in seiner Marken-Beziehung mit all seinen Facetten und kann mit diesem Wissen Neukunden-Kontaktprogramme, Bestandskundenentwicklung und Kundenbindungsmaßnahmen optimieren. Natürlich kann der Kunde innerhalb seiner Customer Journey diese beiden großen Umfelder mehrfach betreten.


Abbildung der gesamten Customer Journey

Onsite liefert ein analytisches CRM-System (aCRM) umfassende Customer Insights. In der Regel liegt in einem CRM Data Warehouse eine möglichst breite Datenbasis über den Bestandskunden und sein Verhalten. Offsite zeichnen auf den meisten großen Portalen Targetingsysteme für das Online Behavioural Advertisment die Signale von Nutzergruppen auf. Beide Systeme sind allerdings bislang noch Insellösungen, deren Daten zunächst auf einer neu zu entwickelnden Plattform integriert werden müssten. Erst dann kann ein ganzheitliches Bild des Kunden über die gesamte Customer Journey entstehen und ein hochwertiger digitaler Dialog gestaltet werden. Natürlicher Ausgangspunkt für eine derartige Entwicklung passender Systeme und Prozesse sind Portalumfelder mit folgenden Eigenschaften:

• ein Targetingsystem mit der Möglichkeit zur Einbettung externer Daten: CRM-Daten lassen sich integrieren,
• adressbasierte Geschäftsbeziehung mit dem Nutzer: ein postalischer Abgleich zum CRM ist möglich,
• hohe Online-Reichweite: ein hoher Überschnitt zum CRM-Mandanten ist realisierbar,
• hochfrequentierte und regelmäßige Nutzung durch den Nutzer: tägliche Customer Journey-Berührungspunkte.

In der Konzeption und Realisierung einer solchen Plattform muss sowohl der private Datenschutz als auch die Datensicherheit der beteiligten Partner beachtet werden. Dabei muss die Beziehung zwischen beiden Partnern in der Regel durch einen Vertrag zur Auftragsdatenverarbeitung geregelt werden.


Targeting im CRM-Umfeld

Ausgehend von einer entsprechend gestalteten Infrastruktur und einem passenden rechtlichen Rahmen für den Datenaustausch können nun vollständig neue digitale Dialogansätze entwickelt werden. Diese können Direktmarketing- und Dialogmarketing-Konzepten mit einer bisher unerreicht hohen Relevanz für Endkunden neues Leben einhauchen:

1. Erweiterung des CRM-Systems auf das Portalumfeld: Allein mit einer einfachen Segmentierung der Portal-User in Bestands- und Nicht-Bestandskunden können beide Gruppen auf dem Portal vollständig unterschiedlich adressiert und falsche Ansprachen vermieden werden. Eine konsequente Erweiterung besteht aus der Verwendung von Informationen über Produktnutzung, Kundensegmenten und Customer Lifetime Value oder Kanalpräferenzen aus dem CRM-System, um die Relevanz des digitalen Dialogs zu erhöhen. Spannend ist dabei, dass durch die gesteigerte Nutzung des Portalumfeldes sowohl aktive, als auch inaktive Bestandskunden angesprochen werden. Die Reichweite des CRM-Dialogs kann deutlich gesteigert werden.

2. Nutzung des Targeting in CRM-Umfeldern: Im Targeting befinden sich aktuelle, für die Segmentierung im Lebenszyklus des Kundenbeziehungsmanagement höchst relevante Informationen. Beim Wechsel des Nutzers vom Portal zur Mandaten-Website lassen sich die Informationen zur direkten Individualisierung des Conversion-Prozesses nutzen. Gleichfalls sind die Daten aber auch für die gesamte Gestaltung der Bestandskundenentwicklung relevant. Gerade in Lebensphasen, in denen man aus CRM-Sicht wenig über den Kunden weiß, er geben sich auf Basis der Targetingdaten Onsite neue Gestaltungsmöglichkeiten für einen relevanten Dialog.

Wie könnten Beispielkampagnen aussehen?

1. Reaktivierung E-Commerce: Längerfristig inaktive Kunden eines E-Commerce-Anbieters, die über die klassischen Kanäle des CRM-Systems nur schwer zu erreichen sind, werden in den Portalumfeldern mit wertorientierten Kampagnen aktiviert. Der mitgelieferte Customer Lifetime Value erlaubt den differenzierten Einsatz von Verkaufshebeln. Die per Targetingsystem erkannten Affinitäten liefern die Basis für ein maßgeschneidertes Produktangebot aus einem Rennersortiment. So können sowohl für den Nutzer relevante als auch für das Unternehmen wirtschaftlich attraktive Angebote mit hoher Kaufwahrscheinlichkeit in einem schwierigen Segmentumfeld angeboten werden.

2. Nachfolgeangebot einer Automobilbank: Endkunden sollen sechs Monate vor Ablauf eines Leasingvertrages ein individuelles Nachfolgeangebot entsprechend ihrer jeweiligen Lebenssituation per E-Mail angeboten bekommen. Es ist möglich, dass diese Informationen durch eher schwache Kunden-Unternehmensbeziehungen und einem langen Vertragshorizont im CRM-System nicht bekannt sind. In diesem Fall fügt der Portalanbieter mit Hilfe von Adserver und Targeting ein zielgruppenspezifisches Angebot in die seitens der Automobilbank versendete E-Mail ein: An Familienväter wird beispielsweise ein Motiv mit Kombi ausgeliefert, während Singles ein Motiv mit Sportcoupé erhalten.

Die aufgeführten Beispiele sollen eines verdeutlichen: Das digitale Dialogmarketing muss neben Kosteneinsparungen für den Werbetreibenden dem eigentlichen Empfänger der Werbebotschaft einen Mehrwert bieten. Eine hohe Relevanz ist dabei ein wesentliches Kriterium. Die Zusammenführung von Targeting- und CRM-System kann hier auf der gesamten Customer Journey ein neues Erlebnis in der Kommunikation definieren und insbesondere bisher schon aufgebaute Werbefilter durchbrechen. Der Entwicklungsspielraum für neue Dialogprodukte ist riesig. Im digitalen Ökosystem des Dialogmarketings können Empfänger, CRM-System, Werbetreibende und Dienstleister gemeinschaftlich profitieren.


Literatur

www.target-group-planning.de
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Über Jürgen Seitz

Prof. Dr. Jürgen Seitz ist Professor für Marketing, Medien und Digitale Wirtschaft an der HdM Stuttgart sowie Gründer der United Internet Dialog GmbH.