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Europa verliert den Anschluss

Nur 10 Prozent des Internet-Umsatzes in Europa. Europas Stärke in den falschen Branchen.
Gunnar Sohn | 19.04.2012
Ob Internet oder klassische Informationstechnik: Europa fällt im internationalen Wettbewerb zurück. Das Problem: Amerika ist stark in wachsenden Branchen, Europa nur in schrumpfenden. Und die Asiaten werden immer besser.

„Europa hat technologisch den Anschluss an die Weltelite verloren“. Dieses Urteil von Hendrik Speck, Professor für digitale Medien, klingt hart. Doch die Verbraucher finden den Beweis für die These schon mit einem Blick auf ihre Handys, Tabletcomputer oder Fernseher. Die kommen immer häufiger aus Amerika oder Asien. Europa spielt in dieser Zukunftsindustrie faktisch keine Rolle mehr.

Das wird auch an den Börsen sichtbar, wo Perspektiven für die Zukunft gehandelt werden: Die großen europäischen Unternehmen aus den Bereichen Telekommunikation, Medien und Technologie haben in den vergangenen vier Jahren 34 Prozent ihres Börsenwertes eingebüßt. Das ist der mit Abstand höchste Verlust unter den großen Wirtschaftsblöcken. Die Amerikaner haben dagegen nur 6 Prozent verloren und wachsen seit dem Börsencrash des Jahres 2008 wieder.

Zwischen 2007 und 2011 gibt es nur zwei Hightech-Sektoren, in denen die Börsenwerte gestiegen sind: Digitale Medien sowie Software & Dienstleistungen. In beiden Sektoren dominieren amerikanische Unternehmen.

Die größten Verlierer sind die in Europa stark ins Gewicht fallenden Festnetz- und Mobilfunkunternehmen, die 32 Prozent weniger wert sind. Verlierer sind auch die Firmen aus der Unterhaltungselektronik und die traditionellen Medien. Die Börsenwerte der Printmedien haben sogar um 27 Prozent in diesem Zeitraum nachgegeben. „Diese Zahlen sind ein Weckruf an die herkömmlichen Medienakteure. Sie müssen die Rolle ihrer Unternehmen in der digitalen Welt überdenken“, sagt Denis Burger, Medienexperte bei Oliver Wyman.

Europas Stärke in den falschen Branchen

Das Fatale an der Situation: Amerika ist stark in den wachsenden Branchen vertreten, Europa größte Börsenwerte liegen dagegen in den schrumpfenden Branchen wie der Telekommunikation. Weil das Kerngeschäft mit der Telefonie erodiert, steigen immer mehr Anleger aus der Branche aus. Zum Beispiel aus der Deutschen Telekom, deren Aktienkurs seit 2007 um rund 40 Prozent gesunken ist.
Noch viel schlimmer hat es Nokiaerwischt. Der Aktienkurs der Finnen ist seit Einführung des iPhones von Applevon 25 Euro auf etwa 3 Euro gefallen.

Die Hoffnung, dass Nokia im Smartphone-Markt noch einmal zurückkommt, wird immer kleiner. Für Speck haben die Europäer keine Chance die Chinesen. „Wir werden das Wegbrechen vieler Marken westlicher Prägung erleben. Beim Personalcomputer haben wir das schon gesehen; bei Smartphones wird das auch passieren. Europa wird hier bald keine Rolle mehr spielen“, sagt Speck voraus, der sich intensiv in chinesischen Fabriken umgeschaut hat. Die Technik in den Geräten sei heute wichtiger als die Marke; der Produktionsprozess mache den Unterschied. „Es ist ernüchternd, wie effektiv die Chinesen gerade dabei sind, diesen Markt aufzurollen. Die Situation ist verdammt ernst“, sagt Speck. (siehe auch: http://ichsagmal.com/2012/04/06/digitales-mittelmas-deutschland-noch-keine-vernetzte-okonomie/ und auch: http://www.theeuropean.de/gunnar-sohn/9941-mobile-world-in-barcelona - hier vor allem die Passage: Wer macht denn die Musik im zukunftsträchtigen Mobil-Geschäft? Die Taktgeber sind hier Apple und Google. Von den verstaubten Telefonie-Läden ist wenig zu sehen. Das kann man jährlich auf der Mobile World erleben. Es reicht eben nicht aus, eine Digitaleinheit zu gründen, um an der Expansion der Netz-Ökonomie zu partizipieren. Dabei gibt es viel zu tun. Das werden vor allem die Netzausrüster wie Huawei offensiv angehen: die Digitalisierung aller Wirtschaftszweige. Es ist kaum zu glauben, von der Hotelbranche über den Handel bis zum Energiesektor gibt es noch eine dramatische Unterversorgung. Der Grad der Digitalisierung liegt teilweise nur bei 30 bis 45 Prozent. Selbst Finanz- und Versicherungsunternehmen kommen nach den Booz-Zahlen nur auf knapp über 50 Prozent. Mit Digitalisierung sind Kommunikation, Anbindung an Zulieferer, Prozessketten und die Lieferung an Endkunden gemeint – also nicht nur der profane DSL-Anschluss).


Nur 10 Prozent des Internet-Umsatzes in Europa

Ähnlich düster sieht es im Internet aus. Europa erzielt nur 10 Prozent des Umsatzes im globalen Internetgeschäft und gar nur 5 Prozent der Gewinne, hat Burger ausgerechnet. „Der Anteil europäischer Internetunternehmen am Weltmarkt sinkt kontinuierlich“, sagt Burger. Die Aussichten werden nicht besser, denn auch hierzulande dominieren amerikanische Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon oder Ebay die Online-Märkte. „Die Umsätze aus der Online-Werbung und den Verbraucherausgaben werden künftig schneller wachsen als die Nutzung der Onlinemedien. Dies wird die digitale Kannibalisierung, aber auch die regionalen ökonomischen Verlagerungen weiter anheizen“, sagt Burger.

Den Heimvorteil gibt es nicht mehr

Einen Heimvorteil, wie ihn klassische Industrieunternehmen noch hatten, gibt es im Internet kaum noch, sieht Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik in Darmstadt, als eine Ursache. Speck sieht gleich drei Gründe für die schlechte Lage Europas: „Erstens: Wir haben in Deutschland nicht die Kultur, die Risikoleistung zu fördern wie in den USA. Zweites: Europa hat keinen einheitlichen großen Binnenmarkt. Und drittens: Viele Förderprogramme haben die Innovationen aus den Augen verloren. Großforschungsinstitute greifen das Geld ab. Damit sind sie zwar in Nischen brilliant, aber es kommen wenige verwertbare Produkte dabei heraus“.

Zudem verhindere die Technologiefeindlichkeit der Deutschen Innovationen. „In Deutschland wäre eine Plattform wie Youtube niemals entstanden. Sie wäre wenige Wochen oder Monate nach dem Start tot gewesen“, kritisiert Speck. Das Vorgehen, erst einmal populäre Inhalte anzusammeln und dann zu überlegen, wie alle daran verdienen können, habe überall funktioniert – nur in Deutschland nicht. „Man stelle sich vor, wie der Pferdekutschenverein damals eine innovative Verkehrspolitik bei der Einführung des Autos geregelt hätte. Nicht anders diskutieren wir heute über das Urheberrecht“, sagt Speck.

„Trennung von Staat und Technologie“

Seine Forderung, wie Deutschland aus der Technik-Falle herauskommt, klingt daher radikal: „Ich plädiere für einen Trennung von Staat und Technologie. Der Staat hat enorme Probleme, mit der Technologie Schritt zu halten. Das kann nicht funktionieren“. Einige Lichtblicke hat Buxmann aber doch noch erkannt: „Die Gründungen im IT-Bereich steigen in der letzten Zeit. Sowohl in den Hochschulen als auch bei den Studierenden hat inzwischen ein Umdenken stattgefunden“, sagt Buxmann. Nun ruhen die Hoffnungen auf der neuen Generation der Gründer, auf den Samwer-Brüdern und den viele Inkubatoren, die gerade in Deutschland aus dem Boden sprießen. Doch eine aktive Gründerszene, die inzwischen auch eine schnelle Internationalisierung in Asien und Lateinamerika im Blick hat, genügt noch nicht. „Noch immer haben die meisten Gründer das Ziel, ihr Unternehmen schnell und möglichst teuer zu verkaufen. Entweder nach Amerika, oder an einen etablierten europäischen Konzern, der dann selten aggressiv international wachsen will“, sagt Burger. Ausnahmen wie der Musikdienst Spotify seien zu selten in Europa.
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Europa verliert den Anschluss - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/digital/internet/netzoekonomie-blog/internet-europa-hat-den-anschluss-verpasst_aid_738262.html




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Über Gunnar Sohn

Gunnar Sohn ist Freiberufler und u.a. Wirtschaftspublizist, Buchautor, Blogger, Medienberater, Moderator und Kolumnist.