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Hybrid TV darf nicht zum "Next Generation Teletext" verkommen

Vernetztes Fernsehen benötigt zentrale Instanz wie PayPal
Gunnar Sohn | 24.06.2011
www.ne-na.de - Ist das Internet eine Gefahr fürs Fernsehen, ist es nicht schon längst tot? Mit einem iPad kann ich Sendungen aus dem Netz bequem auf dem Sofa empfangen und mit Smartphones ist es möglich, Filme auch unterwegs zu schauen. Für den RTL-Vorstandschef Gerhard Zeiler sind das keine Bedrohungsszenarien: "Die Zukunft des Fernsehen ist das Fernsehen", so seine lapidare Anmerkung. Für den Status mag diese Einschätzung stimmen. So konnte RTL das Geschäftsjahr 2010 mit einem Rekordgewinn von 1,1 Milliarden Euro abschließen. Da fällt es schwer, die richtigen Gegenargumente zu finden. 220 Minuten verbringt durchschnittlich jeder Bundesbürger täglich vor der Glotze. Die Tendenz ist sogar steigend. Die Internet-Nutzung liegt noch unter der Marke von 100 Minuten. Entsprechend ist gering ist die Bereitschaft bei den Fernsehmachern, intensiv über das so genannte Hybridfernsehen nachzudenken - also über die Vernetzung von Fernsehen und Internet nachzudenken. TV ist nach wie vor das Leitmedium Nummer eins. Schaut man sich die unterschiedlichen Zielgruppen der TV-Macher etwas genauer an, ist das eine problematische Sichtweise: "Am 22. Mai verzeichnete Youtube drei Milliarden Videoabrufe. Pro Minute wird Videomaterial für 80 Stunden hochgeladen. Das ist das Dreifache, was sämtliche Networks in den USA an Fernsehbeiträgen produzieren. Bei diesen gewaltige Zahlen sollten sich auch die klassischen TV-Anstalten Gedanken um ihre Zukunft machen, denn jeder Mensch hat nur ein begrenztes Zeitbudget. Und dieses Budget wird jetzt verteilt", sagte Andreas Karanas, Gründer und GeschÄftsführer von Teveo Interactive http://www.teveo.de/, beim Kongress der Mailingtage http://www.mailingtage.de/de/rahmenprogramm/kongress/ in Nürnberg.


Fernsehgeräte sind keine Smartphones



Die Abrufquote bei Youtube habe sich in den vergangenen 12 Monaten um 50 Prozent erhöht. Bei den 14 bis 29jährigen habe das Internet einen ähnlich hohen Stellenwert wie das Fernsehen. "Bei dieser Zielgruppe sinkt die Bedeutung des Fernsehens und das Internet hat extrem zugelegt - besonders bei Bewegtbildern. Für 73 Prozent der 10 bis 18jährigen zählt das Anschauen von Filmen und Videos zu den beliebtesten Tätigkeiten im Netz", weiß Karanas. Das sei die andere Seite der Medaille. Was werde sich in den nächsten zehn Jahren abspielen, wenn die Jugendlichen erwachsen sind? "Ob das Fernsehen gegen das Internet gewinnen kann, ist fraglich. Deswegen macht es Sinn, sich mit dem Thema Hybrid TV zu beschäftigen", rät Karanas. Weder Youtube noch RTL werden dabei das Rennen machen. Auch die TV-Hersteller, die davon träumen, ein wenig Apple zu spielen, könnten sich nicht so ohne weiteres durchsetzen. Die Verkaufszahlen von internetfähigen TV-Geräten seien zwar beeindruckend. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr über zwei Millionen Fernseher verkauft, die auch einen Internet-Zugang ermöglichen. Um dieses Potenzial zu nutzen, kreieren die Hersteller App-Portale nach dem Vorbild des Steve Jobs-Konzerns. "Man geht bei den Inhalteanbietern zu den üblichen Verdächtigen - von der Bildzeitung bis zu Youtube - um auf den Portalen ein breites Angebot zu bieten. Fernsehen kann man allerdings nicht mit den Nutzungsszenarien von Smartphones gleichsetzen. Wenn ich ein iPhone einschalte, erscheinen die Apps. Wenn ich meinen Fernseher einschalte, erscheint das TV-Programm und ich bin nicht bereit, durch irgendwelche Portale zu surfen. Die Nutzungsprofile sind völlig anders. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass von den TV-Geräten mit Internetanschluss so wenige wirklich genutzt werden", erläutert Karanas.



Hier komme die rote Taste ins Spiel, die man seit der Einführung von Teletext bereits kennt. "Ohne komfortable Funktionen auf der Fernbedienung ist es schwer, den Zugang zu Internetangeboten zu ermöglichen, da Maus und Tastatur nicht zur Verfügung stehen. Entsprechend simpel muss die Navigation sein, die man auf der Couch vor dem Fernseher vornehmen kann", sagt Peter Weilmuenster, Vorstandschef des After Sales-Spezialisten Bitronic http://www.bitronic.eu. Die Personalisierung des Contents für den Fernsehapparat und die Einfachheit der Vernetzung in den eigenen vier Wänden werden der Schlüssel für den Markterfolg sein, prognostiziert der Frankfurter Fachmann für Informationstechnologie und Telekommunikation. Wichtige Voraussetzungen hätten die Hersteller bereits geschaffen: So sei die Zusammenführung von TV und Internet auf einheitlicher Basis mit dem Standard HbbTV verabschiedet worden, um eine Internetnutzung ohne Zusatzgerät zu ermöglichen.



Direkter Dialog mit den TV-Kunden wichtig



"So richtig zündet das Ganze noch nicht. Nur den Roten Knopf drücken und das Next Generation Teletext aufzurufen ist zu wenig, da man den Zuschauer nicht direkt ansprechen kann. Sie wäre möglich, weil es ja über das Internet einen Rückkanal gibt. Um einen neuen Markt zu erschließen, muss es möglich sein, mit den Kunden in den direkten Dialog zu treten. Es fehlt die namentliche Adressierbarkeit der Zuschauer und die Abrechenbarkeit von Transaktionen. Bei iTunes funktioniert das hervorragend. Aber im Gegensatz zu Apple gibt es auf dem Fernsehmarkt einen riesigen Wust an unterschiedlichen Geräten. Es hilft nichts, wenn ein einzelner Hersteller überlegt, etwas ähnliches wie Apple zu machen", so der Einwand von Karanas. Wer nur 20 Prozent des Marktes beherrsche, schließt mit seiner Portalstrategie 80 Prozent der Zuschauer aus. Entsprechend gering seien die Anreize für die Werbewirtschaft. Es müsse daher eine geräte- und anbieterunabhängige Anmeldung des Zuschauers über die Fernbedienung geben. Es müsse also eine zentrale Instanz wie PayPal geben, um eine Registrierung, Freischaltung und Abrechnung zu ermöglichen.


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Über Gunnar Sohn

Gunnar Sohn ist Freiberufler und u.a. Wirtschaftspublizist, Buchautor, Blogger, Medienberater, Moderator und Kolumnist.