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Staat muss soziale und ökologische Kriterien beim Einkauf stärker berücksichtigen

Der schöne Schein der Nachhaltigkeit.
Gunnar Sohn | 12.05.2011
"Das Thema Nachhaltigkeit steckt im Gegensatz zu unserem Amt noch in den Kinderschuhen“, sagte Beschaffungsamt-Direktor Klaus-Peter Tiedtke zum 60-jährigen Bestehen seines Amtes http://www.bescha.bund.de vor rund 300 Gästen in Bonn. Die Jubiläumsfeier der Chefeinkäufer des Bundes setzte sich deutlich von den üblichen Formaten ab, war von Anfang bis Ende erfrischend kreativ, anders als von einer Bundesbehörde erwartet: Das Motto „50er Jahre“ spiegelte sich in allen Details bis hin zum Buffet wider. Moderiert wurde der kurzweilige Festakt von informativen und ideenreichen Filmeinspielungen.



Wenn man den Begriff „Nachhaltigkeit“ in die Suchmaschine Google eingibt, erscheinen rund sechs Millionen Treffer. Bei Sustainability komme man sogar auf über 47 Millionen Einträge. Das heiße allerdings nicht, dass man bei diesem Thema schon weit gekommen sei. „Nachhaltigkeit – verstanden als eine gleichrangige Berücksichtigung von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten – ist für uns ein zentrales Thema. Es stellt sich nur die Frage, unter welchem Fokus. Denn der schöne Schein der Millionen Ergebnisse trügt: Wenn es um die konkrete Umsetzung von Nachhaltigkeit geht, dann stehen wir erst ganz am Anfang, obwohl das Thema schon seit 1994 auf der Agenda steht“, so Tiedtke. Welche Kriterien könnten in die Leistungsbeschreibungen für den Einkauf des Staates aufgenommen werden?



Soziale Kriterien ins Vergaberecht aufnehmen



„Bei ökologischen Anforderungen ist dies durchaus möglich. Anders sieht es bei sozialen Anforderungen aus. Wie sollen wir herausfinden, ob ein Knopf, der an einer Jacke eines Bundespolizisten hängt, nicht von Kindeshand angenäht wurde? Ob die Baumwolle eines Diensthemdes nicht unter ausbeuterischen Bedingungen gewonnen wurde. Und ob die Bauteile in einem Laptop nicht unter inakzeptablen Bedingungen hergestellt wurden“, sagte der Behördenchef. Eine Lösung würde darin, die sozialen Anforderungen in die Eignungskriterien zu verlagern.



„Das Vergaberecht stößt hier allerdings an seine Grenzen: Es gibt nur die Möglichkeit einer Ja/Nein-Entscheidung. Wir können also keine wertende Entscheidung treffen, welcher Bieter ‚besser‘ geeignet ist als ein anderer. Das ist derzeitig im deutschen Vergaberecht verboten. Aus meiner Sicht ist dies eine unzeitgemäße Einschränkung“, monierte Tiedtke in seiner Festrede. Eine wertende Entscheidung, welcher Bieter besser geeignet sei als ein anderer, ist unzulässig. Hier werden den Zielen der Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeit immer noch Grenzen gesetzt.



Beschaffung über Dienstleistungszentrum



„Die Debatte um Nachhaltigkeit steht im Gegensatz zu unserem Amt erst ganz Anfang. Wir sind immerhin stolze 60 Jahre alt. Normalerweise bereitet man sich in diesem Alter zumindest gedanklich auf den Ruhestand vor. Daran ist bei uns nicht zu denken: Unsere Erfahrung der letzten 60 Jahre wollen wir künftig nutzen, um die Durchführung von Beschaffungen für andere Bundesressorts als Dienstleistungszentrum anzubieten. Die Koalitionspartner haben sich dieses Ziel mit dem Koalitionsvertrag zur 17. Legislaturperiode gesteckt. Das Beschaffungsamt arbeitet aktiv daran mit, wir entwickeln uns und den öffentlichen Einkauf stetig weiter“, resümierte Tiedke.



Die Entwicklung des Beschaffungsamtes in den letzten sechs Jahrzehnten stehe exemplarisch für den Wandlungsprozess in der Bundesverwaltung, sagte BMI-Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe in ihrer Festrede: „Wir müssen uns auch weiterhin auf die Zukunft einstellen. Einer der wichtigsten Treiber in den nächsten Jahren ist die finanzielle Situation. Der Staat muss sparen. Wir alle sind aufgefordert, Effizienzpotenziale zu identifizieren und dann mit sicht- und spürbaren Ergebnissen zu nutzen. Ich glaube, hier stehen wir erst am Anfang der Herausforderungen. Die Herausforderungen werden durch Globalisierung, europäische Binnenverwaltung, Demographie und neue technische Entwicklung an Komplexität und Tempo zunehmen. Die Beschaffung bietet Optimierungspotential, um die anstehenden Herausforderungen zu lösen."



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Über Gunnar Sohn

Gunnar Sohn ist Freiberufler und u.a. Wirtschaftspublizist, Buchautor, Blogger, Medienberater, Moderator und Kolumnist.