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Studie: Wildwuchs und Kontrollverlust in der Informationstechnologie

Machtkämpfe in Konzernen lähmen Geschäftserfolg.
Gunnar Sohn | 18.05.2011
Rund zwei Drittel aller Geschäftsprozesse in den Konzernen werden nicht mehr von der zentralen IT-Abteilung kontrolliert, sondern resultieren aus „IT-Wildwuchs" in den Fachabteilungen. Zu diesem Ergebnis kommt das Forum „Quo vadis BPM?" der Software-Initiative Deutschland http://www.softwareinitiative.de. BPM bedeutet so viel wie „Business Process Management“. Vor allem die in praktisch allen Großunternehmen vorhandene Bürosoftware von Microsoft würden die Fachmitarbeiter zweckentfremdet einsetzen, um betriebliche Abläufe losgelöst von der IT-Zentrale in Gang zu bringen. Demnach liegt jeder dritte Geschäftsprozess entgegen allen Konzernvorschriften als Excel-Tabelle vor, die die Betroffenen per E-Mail untereinander austauschen. Ein weiteres Drittel entfällt auf Microsofts Datenbankprogramm Access. Es werde für betriebliche Abläufe verwendet, ohne Einbindung der IT-Zentrale. Nur noch ein Drittel der Geschäftsprozesse werde von der IT-Abteilung in der dafür vorgesehenen Standardsoftware etwa von SAP oder Oracle verwirklicht.

Als Ursache für die Kluft zwischen IT- und Fachabteilung hat das SID-Expertengremium die immer höhere Geschwindigkeit ausgemacht, mit der Geschäftsprozesse angepasst werden müssen. „Die IT-Abteilung kann bei immer neuen Anforderungen und Änderungen einfach nicht mehr nachkommen. Da die Fachabteilungen trotzdem funktionieren müssen, greifen sie einfach zur Selbsthilfe mit der ihnen zur Verfügung stehenden Microsoft-Software. Ein Ende dieser Spirale ist nicht absehbar. Es ist wohl davon auszugehen, dass bald rund 80 Prozent aller Geschäftsprozesse in der deutschen Konzernwelt auf Excel oder Access basieren“, prognostiziert der Forumschef Herbert Kindermann. Das Expertengremium geht davon aus, dass die BPM-Lösungen nicht mehr zukunftsfähig sind.




IT-Fachmann Andreas Klug wundert sich nicht über den Befund der Software-Initiative: „Eine ganze Reihe von Geschäftsprozessen, die vor nicht einmal 15 Jahren per Hauspost und Geduld in 10 Tagen abgewickelt wurden, müssen heute in 15 Minuten erledigt sein. Alles wurde konsequent digitalisiert.“ Allerdings bremse in vielen vorwiegend großen Organisationen die Komplexität der IT-Strukturen den schnellen Wandel. Dass die Verbraucher durch das Internet und die E-Mail mittlerweile ebenso Teil des großen IT-Netzwerks geworden seien, erhöht die Herausforderung zusätzlich. „BPM ist aus unserer Sicht allerdings nicht das Hemmnis, sondern sogar der einzige konsequente Weg in eine Liberalisierung der IT-Strukturen“, so die Schlussfolgerung von Klug, Mitglied der Geschäftsführung von Ityx http://www.ityx.de in Köln.



Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Harald Henn, Geschäftsführer von Marketing Resultant http://www.marketing-resultant.de in Mainz: „Wer Angst vor Kontrollverlust hat und Wildwuchs in der IT beklagt, der hat möglicherweise ein anderes, unausgesprochenes Problem. Hier geht es eher um die Machtfrage. Wenn ein Unternehmen kundenwirksame, stabile und kosteneffiziente Prozesse haben will, dann muss die Fachabteilung die Anforderungen stellen und die IT eine Methodik, die sicherstellt, dass die Anforderungen fachlich richtig und IT-stabil umgesetzt werden. BPM 2.0-Tools können das sehr wohl leisten; vorausgesetzt IT und Fachabteilung beenden den ewigen Streit, wer die Kontrolle haben muss“, resümiert Henn gegenüber NeueNachricht.

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Über Gunnar Sohn

Gunnar Sohn ist Freiberufler und u.a. Wirtschaftspublizist, Buchautor, Blogger, Medienberater, Moderator und Kolumnist.