Konsumenten sind scheinheilig – trotz Coronakrise
Mit rasanten Wachstumsraten sorgen Online-Billigplattformen für Aufsehen. Das milliardenschwere US-Unternehmen Wish könnte laut Spekulationen demnächst an die Börse gehen. Insofern stellt sich die Frage, warum Online-Billigplattformen wie Wish derart erfolgreich sind.
Ein großer Teil der Konsumenten gehört nicht zur Mittelschicht und verfügt über wenig Geld. Hinzu kommen aktuelle Ängste, wie es mit Corona und der Wirtschaft weitergeht. Viele etablierte Händler vergessen das. Werden aber alle europäischen Länder zusammengerechnet, beträgt das jährlich verfügbare Einkommen eines Arbeitnehmers weniger als 15.000 Euro im Jahr. Wenn wir in den USA die Mittelschicht und die Reichen beiseitelassen, sieht es dort auch nicht mehr so rosig aus. Die Arbeitslosenzahlen schnellen gewaltig nach oben und Immer größer werden die Schlangen vor den Essensausgaben im Land der ungeahnten Möglichkeiten.
Diese Gruppe kann es sich nicht leisten, bei teureren Händlern zu kaufen. Wish bindet diese Konsumenten durch ultragünstige Waren an sich. Die Ware dazu beschafft sich die Plattform direkt über ihre Markplatzpartner in China. Einige der angebotenen Waren sind zweifelsohne von zweifelhafter Qualität. Immer wieder kommt es zu Lieferproblemen. Aber der Wish-Gründer Peter Szulczewski hat selbst gesagt: Der Preis schlägt im Zweifel alles. Bei einem außergewöhnlichen Preis nimmt ein Konsument auch längere Lieferzeiten in Kauf. Das wissen wir aus Studien.
Aber der Preis ist natürlich auch nicht alles. Die Gründer dieser Plattformen sind natürlich hochprofessionelle Unternehmer. Die achten auf jedes Detail, etwa auf die Benutzerfreundlichkeit der Apps, auf die Bedienbarkeit auf den Smartphones. Viele andere Händler arbeiten da nur suboptimal.
Teilweise wird auf den Plattformen auch mit Rabatten von bis zu 98 Prozent geworben. Solche Preise mobilisieren und führen dazu, dass die Konsumenten nicht mehr nach links oder rechts blicken. Das kennen wir auch aus dem stationären Handel von den "Factory und Designer Outlets". Dort wird Markenware mit Rabatten von 70 Prozent und mehr angeboten. Es ist erwiesen, dass diese Ware eine deutlich mindere Qualität als die der "Original-Designerware" hat. Doch dem Kunden ist das schlichtweg egal. Er stürmt die Outlets. Er will für wenig Geld an die Designermarke kommen.
Es geht da mehr um den Schein als das Sein. Der Konsument ist und bleibt scheinheilig. Die Diskrepanz zwischen seinem bekundeten und tatsächlichen Verhalten ist enorm. Er sagt das eine und tut das andere. Er spricht zwar viel von Nachhaltigkeit, doch will er auch die allergünstigsten Preise.
Deswegen haben Billigplattformen nach wie vor ein gigantisches Potenzial. Sie befinden sich erst in den Anfängen. Viele chinesische Unternehmen wie "Shein", die sich etwa auf Billigkleidung spezialisiert haben, hat man hier in Europa noch gar nicht auf dem Radar. Und die chinesischen Unternehmen fangen gerade erst an, nach Europa zu expandieren. Wenn die Seidenstraße (Handels- und Infrastrukturprojekt Chinas, um Einfluss in Afrika, Asien und Europa auszubauen, Anm.) fertiggestellt ist, wird das wohl eher eine Einbahnstraße sein. Sie wird von Osten Richtung Westen gehen und nicht umgekehrt.
Und auch das Coronavirus dürfte den chinesischen Online-Markt und die Billigplattformen kaum belasten. Zwar prognostizieren Wirtschaftsexperten bereits einen erheblichen Einbruch der chinesischen Wirtschaft. Bei der Behebung des Problems dürfte es aber wiederum auch einen starken "Entladungseffekt" geben, der den Dämpfer vielleicht sogar überkompensiert. Zudem lassen sich derzeit viele Kunden, die unter Kontaktverbot stehen oder isoliert sind, Pakete über die Plattformen liefern. Es handelt sich jedenfalls um ein vorübergehendes Problem, das den langfristigen Trend nicht aufhalten wird.