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Digitale Transformation: Von Start-Ups lernen

Damit etablierte Händler und Marken Kundenanforderungen weiterhin erfüllen können, müssen sie jetzt reagieren. Ein Blick auf Start-Ups lohnt sich!
Michael Mertens | 22.06.2020
Von Start-Ups lernen: Innovator's Dilemma © nach Clayton Christensen
 

Die Theorie warum erfolgreiche Unternehmen scheitern

Der Erfolg datengetriebener Start-Ups im Konsumgüterbereich zeigt schon seit Jahren, dass ehemals etablierte und erfolgreiche Marktakteure an der Dynamik der Digitalisierung scheitern können. Zahlreiche frühere Weltmarktführer im Handybereich, wie Nokia, Motorola, Blackberry, HTC oder Sony-Ericsson haben den Smartphone-Hype verschlafen und existieren in ihrer früheren Form heute nicht mehr. Kodak, Pionier der Analogfotografie konnte mit der Entwicklung der Digitalfotografie nicht mithalten und ist einer Pleite nur knapp entgangen. Das Innovators Dilemma, ein bereits in den 90er Jahren begründetes Theorem von Clayton Christensen, unternimmt den Versuch einer Erklärung, warum große und erfolgreiche Unternehmen oft wieder in der Versenkung verschwinden – viel mehr noch: Wieso ihr Erfolg sie zum Scheitern verurteilt.[1]

1. Langjährig etablierte Marktakteure haben eines gemein: Sie achten auf die Wünsche und Anforderungen ihrer bestehenden Kundengruppen und vernachlässigen dabei neue – bisher weniger ausgereifte – Technologien und Geschäftsmodelle.

2. Neue, innovative Marktteilnehmer („Disruptoren“) fokussieren sich im Gegenteil ausschließlich auf jene neuen Technologien/Geschäftsmodelle und sind dadurch in der Lage, sich in diesem Kontext sehr schnell bzw. schneller weiterzuentwickeln.

3. Die neuen Technologien/Geschäftsmodelle reifen heran und erfüllen zunehmend Kundenanforderungen; ab einem gewissen Punkt erfüllen sie die Kundenanforderungen (bestimmter Zielgruppen) besser als bestehende, etablierte Lösungen.

Tradierte Marktteilnehmer sind im Rückschluss dann vielfach nicht mehr in der Lage, den Vorsprung der Disruptoren aufzuholen und werden sukzessive vom Markt verdrängt.

Konsequenzen für etablierte B2B-Händler

Auch etablierte Großhändler und Hersteller im Investitionsgüterbereich können von diesen Entwicklungen betroffen sein. Sie erzielen bei ihren bestehenden Kundinnen und Kunden aktuell häufig einen hohen Zufriedenheitsgrad (bspw. durch intensive persönliche Betreuung, kostenfreies Same-Day-Delivery, Just-in-Time-Belieferung, …). Neue digitale Geschäftsmodelle von Start-Ups hingegen können aktuell aus Sicht vieler bestehender Kund*innen nicht mit dem Service-Level der etablierten Marktakteure mithalten und bedienen daher nur einen vergleichsweise kleinen Teil des Marktes.

Etablierte Marktakteure verbessern – folgerichtig – ihr bestehendes (analoges) Geschäftsmodell (häufigere Belieferung, bessere Kundenbetreuung etc.), um die Anforderungen der Kundenmehrheit noch zu besser zu erfüllen. Gleichzeitig optimieren Disruptoren ihr innovatives, digitales Geschäftsmodell und adressieren damit immer mehr Kundenanforderungen; insbesondere die der nachrückenden Kundengenerationen und innovativer Kundengruppen.

Etablierte Marktteilnehmer verlieren hierdurch sukzessive an Bedeutung und können den (technologischen) Rückstand zu Innovatoren nicht mehr aufholen.

Ein Blick auf Start-Ups lohnt sich

Im Gegensatz zum Konsumgüterbereich konnten sich in der heterogen geprägten B2B-Handelslandschaft online bisher weder etablierte Marktakteure noch innovative Marktteilnehmer signifikant durchsetzen. Dennoch findet man immer mehr Start-Ups, die mit innovativen, digitalen Geschäftsmodellen den B2B-Markt erobern wollen und sich in Phase zwei des Innovator’s Dilemma befinden.

Exemplarisch einige Beispiele:

  • Das Start-Up Laserhub digitalisiert die Beschaffung von Metallteilen, indem Industriekunden nur ihre CAD-Dateien hochladen müssen und Laserhub übernimmt alle Aufgaben von Fertigung durch einen Spezialisten bis zur punktgenauen Lieferung. Dieses Geschäftsmodell erfüllt zunehmend die Kundenanforderungen indem es auf Einzelfertigungen als auch Serienfertigungen ausgelegt ist.
  • Schüttflix, ein Start-Up zur Digitalisierung der Beschaffung von Schüttgut, kann mittlerweile ein monatliches Umsatzwachstum von 50 Prozent nachweisen. Durch eine konsequente Kundenzentrierung können Beschaffer einfach in einer App den gesamten Beschaffungsprozess digitalisieren. Von Produktauswahl, Bestellung, Lieferverfolgung bis hin zum Papierkram wird alles in der eigenen App abgewickelt.

 

Das Geschäftsmodell jetzt transformieren

Damit etablierte Großhändler und Hersteller zukünftig weiterhin in der Lage sind, die Kundenanforderungen zu erfüllen und die Kund*innen nicht an innovative Geschäftsmodelle von Start-Ups zu verlieren (Phase 4 des Innovator’s Dilemma) müssen sie jetzt reagieren. Dabei gilt es insbesondere von den jungen Geschäftsmodellen zu lernen, zu kooperieren und das eigene Geschäftsmodell anzupassen und zu erweitern. Metro kooperiert beispielweise mit verschiedenen Start-Ups und kombiniert deren digitale Lösungen auf einer eigens geschaffenen Plattform „Dish“ für Hoteliers und Restaurantbetreiber. Über die Plattform werden größtenteils kostenfrei Dienste wie Webseitenbaukasten, appbasierte Personalplanung oder Reservierungstools angeboten. Das bestehende Geschäftsmodell mit den Cash&Carry Stores wird dadurch durch ein neues Kundenbindungsinstrument gefestigt.


Zusammengefasst lassen sich folgende grundsätzliche Handlungsempfehlungen ableiten:

1. Auch wenn, oder gerade weil es momentan gut läuft – unterziehen Sie ihr Geschäftsmodell jetzt einem Stresstest aus Kundensicht, bevor es zu spät ist.

2. Kundinnen und Kunden von heute sind nicht jene von morgen – digitale Geschäftsmodelle und Technologien werden schnell als Standard vorausgesetzt.

3. Lernen sie von Start-Ups und kooperieren Sie – somit können sie auch den steigenden Kundenanforderungen nachhaltig entgegenkommen.

4. Allgemein gilt: Neben dem klassischen Transaktionsbusiness müssen mehrwertbringende Dienstleistungen entwickelt werden – die Kundinnen und Kunden auch gerne bereit sind zu zahlen.

 

Literatur

[1] Becker, Gero/Mertens, Michael: 9 Thesen zu zukunftsfähigen Geschäftsmodellen im Großhandel, Köln, 2020.