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Wettbewerbsorientierung schlägt Kundenorientierung

Wenn Sie heute im Schatten eines starken Marktführers stehen, sollten Sie Ihr Denken auf den Wettbewerb und nicht auf die Kunden fokussieren.
Michael Brandtner | 21.06.2021
Wettbewerbsorientierung schlägt Kundenorientierung © Freepik
 

„Der Kunde ist König.“, „Der Kunde steht im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns“, „Customer first.“ All dies sind Sätze, die man in Marken- und Marketingmeetings immer wieder hört und liest. Diese Sätze sind so logisch, dass niemand sie hinterfragt. So war und ist Marketing ganz stark vom Prinzip der Kundenorientierung geprägt.

 

Das Problem ist nicht der Kunde

Doch das Problem der meisten Marken ist nicht der Kunde und auch nicht die Kundenorientierung. Das Problem der meisten Marken ist die dominante Position des Marktführers in der Wahrnehmung der Kunden. Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind de facto sehr viel kundenorientierter als ihre großen Mitbewerber. Nur nützt das wenig, wenn man nicht auf dem mentalen Radar der potenziellen Kunden aufscheint.

Selbst großen Marken nützt ihre Kundenorientierung wenig, wenn sie massiv im Schatten eines dominanten Marktführers stehen. Nehmen Sie Pepsi-Cola! Das Problem von Pepsi-Cola sind mit Sicherheit nicht die Kunden und auch nicht die Kundenorientierung. Das zeigt sich sehr schön in Blindtests, in denen die objektive Qualität gemessen wird. Hier ist Pepsi-Cola regelmäßig der eindeutige Sieger gegen Coca-Cola. Aber wenn offen verkostet wird, sieht die Sache anders aus. Dann ist Coca-Cola – wie auch tatsächlich im Markt – der klare Gewinner. Selbst das „bessere Produkt“ hilft Pepsi wenig gegen die starke mentale Position des Originals.

Oder nehmen Sie Microsoft im Suchmaschinen-Markt. So macht es wenig Unterschied, ob die Suchmaschine von Microsoft MSN Search oder Bing heißt. Das Hauptproblem ist die dominante mentale Position von Google. Diese Erfahrung mussten auch die Gründer der Suchmaschine Cuil machen, die diese selbst als die mit Abstand beste Suchmaschine der Welt anpriesen, bevor man endgültig in der Versenkung verschwand. Das beste und kundenfreundlichste Produkt ist eindeutig zu wenig, wenn man keine effektive Positionierungsstrategie gegen einen dominanten Marktführer findet.

 

Die „-er“-Falle in der Markenführung

Unzählige Marken befinden sich heute so unter der Flagge der Kundenorientierung in der „-er“-Falle. Schnell-er, bess-er, schön-er, leicht-er, sicher-er, einfach-er zu bedienen, billig-er, günstig-er, zuverlässig-er. Die Welt des Marketings ist voller Behauptungen, warum das eigene Produkt oder die eigene Dienstleistung in irgendeiner Art und Weise bess-er und kundenorientier-er sein sollte als die Produkte beziehungsweise die Dienstleistungen des Marktführers.

Genau dadurch enden viele Marketingprogramme letztendlich in der Behauptungsfalle. Deshalb machte auch der frühere Slogan von Ford „Eine Idee weiter“ wenig Sinn. Glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass Ford eine Idee weiter als VW sei? Das mag man sich intern bei Ford wünschen, aber am Markt funktioniert das nicht, weil dem Slogan die dafür notwendige Glaubwürdigkeit beziehungsweise Vorgeschichte fehlt. (VW als wahrgenommener Marktführer könnte wahrscheinlich sogar mit diesem „Eine Idee weiter“-Slogan gut leben.)

 

Raus aus der „-er“-Falle

Aber was sollte man dann tun? Man sollte nicht auf die Kunden, sondern auf den Wettbewerb, vor allem auf den Marktführer fokussieren. Anders ausgedrückt: Man sollte bewusst die Gegenposition zum Marktführer suchen. In den 1960er Jahren stand Mercedes-Benz für Prestige und Fahrkomfort. Also fokussierte BMW auf die genau gegenteilige Position „Fahrfreude“. Als Red Bull Mitte der 1990er Jahre so richtig erfolgreich wurde, setzten so gut wie alle Herausforderer auf einen ähnlichen Geschmack, eine ähnliche 0,25-Liter-Dose und einen ähnlichen Markennamen mit Tierbezug. Manche denken jetzt vielleicht an Flying Horse, Power Horse, Shark, Dark Dog oder in Österreich an Blaue Sau. Anders Monster! Monster Energy besetzte mit der großen 0,5-Liter-Dose genau die gegenteilige Position zu Red Bull.

Eine Gegenposition funktioniert deshalb so gut, weil es in der Regel zu jeder Meinung eine Gegenmeinung gibt. Wenn es Befürworter der Globalisierung gibt, dann gibt es auch Globalisierungsgegner. Das heißt: Wann immer es ein Thema in die breite Öffentlichkeit schafft, gibt es dazu zwei konträre Sichtweisen. Das betraf und betrifft das Rauchverbot, die kontroverse Diskussion um das Freihandelsabkommen TTIP, die Maßnahmen gegen Covid-19 oder auch das Thema Elektroauto. Wenn ein Teil der Bevölkerung dafür ist, dann ist ein anderer dagegen.

Spannend aus Markensicht ist in diesem Zusammenhang der öffentliche Schlag-abtausch zwischen den Abtreibungsbefürwortern und den Abtreibungsgegnern in den USA. Dazu hieß es kürzlich auf Vogue.de: „Als die Anhänger der Anti-Abtreibungs-Kampagne auf den Begriff „pro-life“ zur Bezeichnung ihrer Über-zeugungen kamen, muss es sich angefühlt haben, als seien sie auf Gold gestoßen. Beiden Elementen des Begriffs kann man nicht viel entgegensetzen. Denn dies zu tun würde bedeuten, entweder für den Tod oder gegen das Leben zu stimmen.“

Aber den Abtreibungsbefürwortern in den USA gelang das „Unmögliche“. Sie fanden eine positive Gegenidee zu „Pro-Life“. Diese lautet schlicht und einfach „Pro-Choice“. So ist man weder für den Tod noch gegen das Leben, sondern man tritt für die Wahlfreiheit der Frau ein. Damit haben beide Seiten jeweils einen klaren positiven Fokus, für den beide massiv eintreten.

 

Den Kunden etwas wegnehmen

Dazu kommt noch ein wichtiger Punkt: Kundenorientierung führt in der Regel dazu, dass man den Kunden immer mehr gibt. Nur wenn man auf der Suche nach einer starken Gegenposition ist, kann es enorm viel Sinn machen, den Kunden etwas „wegzunehmen“. Das widerspricht zwar dem klassischen „Mehr ist mehr“-Management und Marketingdenken, kann aber gerade deswegen so erfolgreich sein.

Hier einige Beispiele: Steve Jobs nahm dem Smartphone und damit auch den Kunden die Tastatur weg. James Dyson nahm dem Staubsauger und damit auch den Kunden den klassischen Staubsaugerbeutel weg, um mit dem ersten „beutellosen“ Staubsauger die weltweit führende Staubsaugermarke zu bauen. Ryanair nahm den Kunden die erste Klasse und die Businessklasse weg, um die Kategorie Diskontfluglinie zu schaffen.

Ingvar Kamprad nahm den Kunden sogar drei Nutzen weg, als er mit der Marke Ikea durchstartete. So mussten sich die Ikea-Kunden selbst bedienen, sie mussten sich die Möbel selbst abholen und dann daheim überdies selbst zusammen-bauen. (Kann man noch kundenunorientierter sein?) Heute ist Ikea der größte Möbelhändler dieser Erde.

Fazit: Wenn Sie heute im Schatten eines starken Marktführers stehen, sollten Sie Ihr Denken auf den Wettbewerb und nicht auf die Kunden fokussieren. Das Spannende dabei: Gerade wenn Sie dem Kunden etwas wegnehmen, schaffen Sie oft nicht nur eine klare Differenzierung, sondern ein gänzlich neues Kundenerlebnis a la iPhone, Dyson oder Ikea.

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Michael Brandtner ist Berater für strategische Positionierung, Partner of Ries Global und Autor des Buches „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“.