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Vergessen Sie traditionelle Marketingregeln

Der Aufbau einer erstklassigen Marketing-Organisation. Ein Leitfaden für CMOs.
Zarnaz Arlia | 25.08.2021
Vergessen Sie traditionelle Marketingregeln © Freepik
 

In seinem Buch „Geben und Nehmen: Erfolgreich sein zum Vorteil aller“ schreibt Adam Grant, dass sehr erfolgreiche Menschen drei Dinge gemeinsam haben: Motivation, Können und einmalige Gelegenheiten. Als Marketing-Leiterin war ich in meiner Karriere stets von der Motivation und der Fähigkeit, bestimmte Marketing-Ziele zu erreichen, getrieben. Es zieht mich zu neuen Herausforderungen – je komplizierter, desto besser. Deshalb habe ich auf dem Höhepunkt der Pandemie den Job als CMO für ein Unternehmen angenommen, das sich in einem massiven Umbruch befand.

 

Die Customer-Experience-Plattform Astute Inc. hatte zwei Marketing-Technologieunternehmen, Socialbakers und iperceptions, übernommen und beschlossen sich mit einer neuen Unternehmenskultur unter einer völlig neuen Marke neu zu erfinden. Die Mission von Emplifi besteht darin, Unternehmen dabei zu helfen, die Lücke in der Customer Experience zu schließen, indem sie Marketing, Service und Handel zusammenbringen. Denn dadurch lassen sich digitale Interaktionen über die gesamte Customer Journey hinweg optimieren und ein empathischeres Kundenerlebnis schaffen.

Ich wusste, dass die Chance, die mir diese Rolle bot – und der Einfluss, den ich auf die neue Marke haben würde – die damit verbundenen Herausforderungen bei weitem übersteigen würden.   

 

Wenn CMOs in ein neues Unternehmen eintreten, haben sie in der Regel ein einziges primäres Ziel, das sie erreichen wollen. Als ich an Bord von Astute Inc. kam, hatte ich gleich drei Hauptziele: die Marketing-Strukturen neu aufbauen, die Unternehmenskultur gestalten und eine neue Marke unter dem Firmennamen Emplifi einführen. Ich war aber nicht nur mit drei großen Initiativen beauftragt, ich musste diese Ziele auch in einem verkürzten Zeitrahmen erreichen. Wir hatten nur fünf Monate, um drei einzelne Unternehmen zu einer neuen Marke zu verschmelzen und dabei verschiedene Firmenkulturen zu vereinen, die sich über verschiedene Länder, Arbeitsprozesse und Richtlinien erstreckten.

 

Manchmal fühlte es sich an, als würde ich einen Marathon laufen und gleichzeitig versuchen, meine Laufschuhe anzuziehen. Um die gewaltigen Herausforderungen zu bewältigen, musste ich traditionelle Marketing-Regeln über Bord werfen. Es waren völlig neue Methoden gefragt, um die drei Ziele parallel und so schnell wie möglich zu erreichen.

 

Aufbau einer erstklassigen Marketing-Organisation

Ein traditioneller Marketing-Ansatz besteht darin, jedes der drei Ziele einzeln zu bewerten und eines nach dem anderen anzugehen. Aber es gab die Frist, die neue Marke in weniger als sechs Monaten einzuführen. Mich auf ein Ziel nach dem anderen zu konzentrieren, war daher keine Option. Wenn man drei große Ziele vor Augen hat, die gleichzeitig innerhalb kürzester Zeit erreicht werden sollen, muss man sich ein Growth Mindset zu eigen machen

 

Damit ein Unternehmen eine wachstumsorientierte Haltung einnehmen kann, benötigt es ein Team, dem es zutrauen kann, dass es die täglichen, wöchentlichen und monatlichen Ziele mit minimaler Aufsicht erreicht. Einer der ersten Schritte, die ich als CMO unternahm, bestand darin, die Fähigkeiten meines bestehenden Teams zu bewerten, Schlüsselpersonen in zentrale Rollen zu befördern und die Lücken zu finden, die sich mit neuen Mitarbeitern besetzen ließen. Ich beachtete die traditionellen Regeln nicht, die einen ausgedehnten Rekrutierungs- und Einstellungsprozess vorschreiben. Ich brauchte fähige, kluge und einfallsreiche Marketing-Experten – und das so schnell wie möglich.

 

In einem weiteren Zitat von Adam Grant, das ich beherzige, wenn ich als CMO Entscheidungen treffe, geht es darum, dass die Ausrichtung auf Konsens dazu führen kann, dass die Führungskraft mehr Mitläufer als Anführer ist. Laut Grant „liegt es in der Verantwortung eines Anführers, verschiedene Ansichten zu berücksichtigen und auf der Grundlage von Prinzipien zu entscheiden, nicht auf der Grundlage von populären Meinungen.“

 

Ein wesentlicher Bestandteil meiner Rolle als CMO waren drastische Change-Management-Maßnahmen. Um eine effektive Marketing-Organisation aufzubauen, musste ich schnelle Entscheidungen treffen und eine entschlossene Führungskraft sein. Ich musste gleichzeitig einfühlsam gegenüber Teammitgliedern sein, die sich an neue Rollen und Aufgaben anpassen mussten. (Als Unternehmen, das sich auf Empathie konzentriert, hatte dies die höchste Priorität). Um mein Team zu motivieren und unsere Bemühungen mit einer höheren Geschwindigkeit voranzutreiben, musste ich aber auch unliebsame Entscheidungen treffen und alle Regeln, die einen Konsens erfordern, über Bord werfen.

 

Gestaltung einer auf Empathie ausgerichteten Unternehmenskultur

Die Zusammenführung von drei einzelnen Unternehmen ist nichts für schwache Nerven. Neben der logistischen Herausforderung, getrennte Geschäftsfunktionen, Prozesse und Technologien zu integrieren, geht es auch darum, drei völlig unterschiedliche Unternehmenskulturen in Einklang zu bringen. Denn um langfristig erfolgreich zu sein, braucht es eine starke Kultur, die die gesamte Organisation vereint.

 

Die Erfahrung lehrt uns, dass erfolgreiche Kulturen über die Zeit entstehen und Engagement auf allen Unternehmensebenen erfordern. Im Fall von Emplifi hatten wir keine Zeit, aber wir hatten Unterstützung auf allen Ebenen. Wir mussten unsere Taktiken zum Aufbau der Kultur bewusst anwenden und sicherstellen, dass die grundlegenden Bestandteile vorhanden sind, um verschiedene Unternehmen, Produkte und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Hintergründen einzubeziehen.

 

Anstatt darauf zu warten, dass die Kultur Formen annimmt, handelten wir geplant und zielgerichtet. Die Marketing-Abteilung übernahm die Verantwortung für die Unternehmensstory und definierte Emplifis Vision, Mission, Kernwerte und Kommunikationsstrategie – und das alles in den ersten Wochen meiner Anstellung. Es war ein gewaltiges Unterfangen, aber jeder Moment, den wir damit verbrachten, die Geschichte unseres Unternehmens zu definieren, war es wert. Sobald wir in der Lage waren, unsere Story zu formulieren, begannen wir, die Unternehmenskultur zu gestalten.

 

Erfolgreiche Unternehmen entwickeln sich weiter, daher muss sich auch die Firmenkultur weiterentwickeln. Das Loslassen von starren Regeln ist der erste Schritt zu einer integrativen und inspirierenden Arbeitsplatzkultur. Der Trick besteht darin, widersprüchliche Werte zu beseitigen, vor allem, wenn man sich inmitten einer großen Transformation befindet. Ich wusste, dass es entscheidend war, bei der Unternehmenskultur von Emplifi den Fokus von Beginn an auf den Aufbau unserer neu entstandenen Organisation zu legen und gleichzeitig zuzulassen, dass sich die Kultur entwickeln kann, während wir weiter wachsen und uns vorwärtsbewegen.

 

Zusammenführung von drei Organisationen und Schaffung einer neuen Marke

Nach dem traditionellen Marketing-Verständnis handelt es sich um ein Rebranding, wenn ein Unternehmen seinen Namen, seine Marke und sein Logo ändert. Aber die Transformation von Emplifi war weit mehr als ein Rebranding. Wir kombinierten drei separate Unternehmen zu einer einzigen neuen Plattform. Wir hatten einen neuen Namen, aber auch eine neue Technologie und neue Möglichkeiten. Hinzu kam die Mission, Empathie in den Mittelpunkt der Customer Experience zu stellen.

 

Um unsere neue Marke einzuführen – und drei bestehende Unternehmen zu einer einzigen Brand Story zu vereinen – mussten wir unsere Geschäftsstrategie umgestalten. Das war ein monumentales Unterfangen, das viel mehr beinhaltete als nur ein neues Logo zu entwerfen. Das Erscheinungsbild einer Marke, die auf Empathie aufbaut, muss die Vielfalt der Belegschaft, die unterschiedlichen Nationalitäten, das unterschiedliche Alter und die Inklusivität aller Geschlechter widerspiegeln. Wir wollten, dass sich unsere Mitarbeiter, Kunden und Partner in unserer neu geschaffenen Markenidentität wiederfinden. Daher mussten wir genau auf die Wahl der Worte und Bilder achten.

 

Bei einem Markenaufbauprozess, der auf Reverse Engineering setzt, muss man sich von vielen traditionellen Marketing-Regeln verabschieden. Aber ein Marketing-Grundsatz ist immer noch gültig: Eine erfolgreiche Marke berücksichtigt die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe, geht auf die Pain Points der Kunden ein und antizipiert die Phasen der Kaufentscheidung, um die Erwartungen der Kunden zu übertreffen. Als empathische Marke hat Emplifi die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter, Partner und Kunden in den Mittelpunkt der Branding-Bemühungen gestellt. Angefangen bei der verwendeten Botschaft über die Art und Weise, wie wir mit unterschiedlichen Zielgruppen kommunizieren, bis hin zu den Logos.

 

Ich trat dem Führungsteam von Emplifi im Januar dieses Jahres als CMO bei. Damals hieß das Unternehmen noch Astute Inc. und war dabei, die beiden Unternehmen zu integrieren, die es 2020 übernommen hatte: iperceptions und Socialbakers. Es war ein großer Vertrauensvorschuss, während einer Pandemie, die in allen Branchen zu großen Beeinträchtigungen geführt hat, drei getrennte Unternehmen integrieren zu dürfen. In den sechs Monaten seit meinem Start musste ich anderen selbst einen Vertrauensvorschuss geben und viele der Marketing-Regeln, die ich in diese Rolle mitgebracht hatte, neu definieren.

 

In dem neuen CMO-Playbook, das ich zusammenstelle, erkenne ich nun die volle Auswirkung, die eine auf Empathie basierende Führung auf die Marketing-Organisation haben kann. Ich weiß, dass eine erfolgreiche Führungskraft in der Lage sein muss, mit mehreren großen Initiativen zu jonglieren, Prioritäten voranzutreiben und gleichzeitig dem Team den Raum zu geben, den es braucht, um mit der Marke zu wachsen. Eine echte Führungspersönlichkeit trifft schwierige Entscheidungen auf der Grundlage von Prinzipien, nicht von Beliebtheit. Und, was am wichtigsten ist: Sie schafft eine inklusive Umgebung, die anerkennt, was jedes Teammitglied mit an den Tisch bringt.