Marketing-Börse PLUS - Fachbeiträge zu Marketing und Digitalisierung
print logo

Augmented Reality steigert die Kauffreude

Die Technologie emotionalisiert den Kaufprozess, schafft Bestellimpulse und vermeidet Retouren. Ein Interieur-Shop zeigt, wie es geht.
Marcus Veigel | 09.01.2023
Handy mit AR-Objekt in Anwendung mit Ausblick auf Wohnzimmer © cynapsis interactive/augmentify.me
 

Produkte vor dem Kauf zu erleben, war vor einiger Zeit noch komplett dem stationären Handel vorbehalten. Augmented Reality (AR) hat dies geändert. Mehr noch, es ermöglicht, die gewünschten Produkte direkt vor Ort zu platzieren und anzusehen – in allen Ausstattungsvarianten.

Die Technologie, die bereits in jedem aktuellen Smartphone steckt, ermöglicht, die Realität, zum Beispiel das eigene Wohnzimmer, um virtuelle Inhalte zu erweitern. (Deshalb „Augmented Reality“, dt. „erweiterte Realität“.) So lassen sich virtuelle Anproben von Brillen, Uhren oder das Aufstellen neuer Möbelstücke einfach, mobil und im Handumdrehen realisieren. Mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf das Kaufverhalten.

Für Marketing und Handel ergeben sich daraus Möglichkeiten, die meist schon von den Big Playern wie Ikea, Mr. Spex oder Amazon genutzt werden. Zeit, einmal zu zeigen, dass diese Möglichkeiten auch den E-Commerce von agilen mittelständischen Anbietern beleben können – weil sie einfach umsetzbar, integrierbar und die Aufwände überschaubar sind.

Anwendungsbeispiel: Gewusst WERNS

Das Start-up WERNS, D2C-Spross der Traditionsmarke Werner Voß, Anbieter eines Portfolios aus extravaganten Tierleuchten sowie Tapeten, Vasen, Töpfen und Möbeln, wendet sich seit Ende 2021 über den eigenen Onlineshop auch dem Endkunden zu. Teil des Shopkonzepts war von Anfang an, die außergewöhnlichen Produkte auch außergewöhnlich zu inszenieren, damit die Kunden sie wirklich erleben und sehen können, wie alles im heimischen Ambiente harmoniert. Deshalb bringt WERNS Augmented Reality (AR) zum Einsatz.

Emotionen (re)aktivieren, Kaufimpulse steigern

Die Anwendung ermöglicht, Produkte einfach im Smartphone aufzurufen und virtuell in den eigenen Räumen zu platzieren. Ohne App-Download, aber in App-Qualität.

Im Shop geklickt oder durch Scannen eines QR-Codes, kann im Smartphone oder Tablet das gewünschte  Produkt in Originalgröße und -ausstattung in einem realen Raum platziert  und vom Nutzer einfach gedreht und passgenau am gewünschten Platz platziert werden. Der Nutzer kann danach einfach und völlig frei um die Szene herumgehen, sie aus allen Blickwinkeln betrachten – sie eben im Wortsinn greifbar erleben.

Dies wiederum beflügelt das Vorstellungsvermögen und die Vorfreude des Kunden bringt positive Emotionen in den digitalen Kaufprozess und steigert die Kaufwahrscheinlichkeit.

Die Lampe in AR im Raum des Nutzers © cynapsis interactive/augmentify.me

Nach dem AR-View kann die dadurch aufgebaute positive Stimmung über weitere Web-Inhalte wie Videos oder Produktinformationen direkt und erfolgreich weiter zur Steigerung der gewünschten Kaufhandlung bzw. der Conversionrate genutzt werden.

…und nebenbei Retouren vermeiden

Wichtiger und gewünschter Begleiteffekt: Quasi nebenbei reduziert sich die Zahl der Fehlbestellungen und die im Onlinehandel übliche hohe Retourenquote wird gesenkt. Gerade beim Onlineshopping von Interieur und auch kleineren Möbeln ist in diesem Zusammenhang entscheidend, dass Kunden das für sie passende Produkt durch das Platzieren in den eigenen Räumen „ausprobieren“ können, denn Doppel- oder Fehlbestellungen und der somit unvermeidliche Rückversand verursachen unnötige Verpackungsmaterialien, Versandkosten und CO2-Emissionen. Zudem werden Produkte, die bei der Auslieferung geschützt verpackt sind, sehr häufig bei der Rücksendung beschädigt.

Kurz in Zahlen: Laut Bitkom schicken deutsche Kunden 15 Prozent der online bestellten Waren zurück. Das ist auch für Möbel/Interieur eine durchschnittliche Retourenquote. Bei WERNS liegt sie hingegen bei fünf Prozent, also zwei Drittel reduziert, weil die AR-Integration von vornherein Retouren vermeidet.

Erfolgsfaktor Smartphone

Die Anwendung „Browser AR“ selbst ist ready-to-use. Es gibt keine Technikhürden. Entscheidendes Werkzeug für die Nutzung ist, wie beschrieben, das Smartphone, über das buchstäblich alle potenziellen Kunden verfügen. Was man hardwareseitig für die AR-Anwendung braucht, ist in einem aktuellen Smartphone schon verbaut. Es hat alle wichtigen Komponenten (Kamera, Screen, schnelle Netzwerkanbindung, optimierte Rechenpower durch Spezialchips) direkt an Bord. Wie man es nutzt, muss keinem erklärt werden, weil es ohnehin den ganzen Tag Einsatz ist.

Notwendigkeit 3D-Darstellungen

Wichtig für die Umsetzung und Implementierung der Technologie ist die Qualität der 3D-Modelle und deren Oberflächen sowie die möglichst lebensechte Darstellung der virtuellen Inhalte. Das Beispiel WERNS verdeutlicht dies anhand von Produkten, die zum Großteil metallisch reflektierende Oberflächen, Spiegelungen und individuelle Materialqualitäten haben, die auch in AR eins-zu-eins wiedergegeben sein müssen. Der Kunde muss auch virtuell und online intuitiv erleben können, was er bekommt. AR ermöglicht dies.

Modell des AR-Bunnys © cynapsis interactive/augmentify.me

Erst der Kunde, dann der Effekt

Um Produkte via AR an den Kunden zu bringen, ist es entscheidend wichtig, vom Kunden aus zu denken. Apple Mastermind Steve Jobs – um auch hier mal einen Big Player anzuführen – sagte treffend: „You’ve got to start with the customer experience and work backwards to the technology.“ Gerade für Marketers und gerade für die Nutzung von AR ist dies eine Schlüsselerkenntnis. Wow alleine greift zu kurz! Nur ein kurzer, beeindruckender Werbeeffekt reicht für eine nachhaltige Wirkung nicht aus. Entscheidend ist, dass mit den Möglichkeiten der Technologie ein spürbarer Mehrwert für den Nutzer entsteht.

AR macht Marketing wieder zum Erlebnis

Werbung wird in vielen Fällen und an vielen Touchpoints inzwischen als nervende Belästigung wahrgenommen. Auch wenn Marketers dies beruflich nicht hören wollen, wissen sie privat: das nervt. AR kann das ändern. Sie hat das Zeug, um das Marketing zu revitalisieren und wieder zu einem Erlebnis zu machen. Online direkt per Click, wie am Beispiel WERNS beschrieben, und in Printmedien bzw. generell in jedem denkbaren Format, das mit einem QR Code oder Link versehen werden kann. Im stationären Handel können Packagings als Produkterlebnis inszeniert werden, um zum Kauf anzuregen. Wartezeiten an ÖPNV-Haltestellen können genutzt werden, um mit Marken- und Produkterlebnissen Interesse zu generieren. Gerade bei Produkten mit emotionaler Ansprache kann AR das Einkaufserlebnis samt Anprobe- und Konfigurationsfunktionen schon online deutlich verstärken und eine starke Verbesserung des Kaufprozesses für Kunden und Händler bewirken.

Die Gleichung ist dabei ganz einfach: Eine gute User Experience ist der entscheidende Faktor für künftige Verkaufserfolge. Augmented Reality ist ein, wenn nicht der Schlüssel dazu. Und wer dem User diese Experience nicht bietet, verliert ihn. Das Beispiel WERNS zeigt, wie man ihn gewinnt.