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Schöne neue 3D-Welt oder: Wann lohnt sich virtuelles Marketing?

Die Welt des 3-D-Marketings zeigte im Jahr 2007 ihre Grenzen. (Buchbeitrag)
Svenja Hofert | 10.01.2008

Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing
http://buchblog.marketing-boerse.de
http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenOM


Erinnern Sie sich noch? Genitalien statt Untertassen flogen über eine Campus-Veranstaltung, exklusiv für Second Life designte Automarken ruckelten durch die virtuelle Welt, Avatare jubelten bei einem Konzert im Sony BMG-Areal Stars wie Duran Duran zu. Allerdings: Was heißt jubeln... zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels konnte von lauten Freudebekundungen noch keine Rede sein. Die 3-D-Welt Second Life, sie war (noch) stumm, es sei denn man wich auf behelfsmäßige Krücken wie „Skypecast“ aus.

Die Welt des 3-D-Marketings zeigte im Jahr 2007 vor allem ihre Grenzen. Einerseits sahen viele in 3D die Chance der kompletten Visualisierung der Welt inklusive der Neuerschaffung als viel schönere neue Welt. Doppelgänger lebten als Avatar das Leben, das wir immer vermisst haben – und schlugen wohl gerade deshalb sehr viel öfter über die Stränge als im realen Leben. Womit das „Andererseits“ sich den renommierten Marken ziemlich bald aufdrängte: Fliegende Genitalien sind nicht nur nichts für Kinder, sie schädigen auch das Image. So wurde ein Auftritt im Second Life nach einer kurzen, kaum ein Jahr dauernden Zeit des Hypes für Markenunternehmen zum unkalkulierbaren Risiko.

Das Image der Zweiten Welt lag am Boden. Second Life war im Juli 2007 so „out“ wie es noch wenige Monate zuvor „in“ war. Ein ziemlich schneller Fall, aus dem Online-Marketer für die Zukunft des Marketings in virtuellen Welten drei Lehren ziehen können, um bei weiteren Engagements auf dieser und auf anderen, gerade und bald entstehenden 3-D-Plattformen schlauer zu sein:

1. Trends sind nicht immer friends: Manche Maßnahmen schaden eher als dass sie dem Image nutzen. Maßnahmen müssen deshalb unabhängig von Trends konzipiert werden.

2. Vorsicht vor dem Paris-Hilton-Nerveffekt: Der Medien-Sog gefährdet das Marketing. Wer auf einen fahrenden Zug aufspringt, kann nur abstürzen. Besser gleich einen anderen Zug nehmen. Einen, der eine bisher unentdeckte Strecke fährt.

3. 3D-Marketing kommt – aber die Zukunft des virtuellen Marketings heißt nicht einfach „Dabeisein“. 3D-Marketing ist wie Web 2.0-Marketing entweder Mitmach- und Erlebnismarketing oder Nutzwert-Marketing oder beides.


Trends sind nicht immer friends

Was ist gut für meine Marke? Nutzt es etwa der Marke Picard, dass ihre Lederwaren als liebevoll angefertigte Eins-zu-Eins-Kopien in der 3-D-Welt vom Second Life kursieren? Nein! Der typische Gamer – und das ist der aktive Second-Life-Nutzer bei genauem und analytischen Hinsehen – dürfte von den teils recht biederen Designs so wenig angezogen werden wie von einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel mit der ganzen Familie. Konsequenterweise ist der Picard-Shop im Second Life auch so einsam wie ein privates Eiland im Pazifik. Vielleicht wollte Picard mit der Aktion der Marke ein moderneres Image verpassen – herausgekommen ist eher eine Schmunzelnummer. Eine Aktion, die zudem zeigt, dass die Analyse der Marketing-Verantwortlichen nicht besonders gründlich gewesen sein kann. Immerhin sind 62 Prozent der aktiven Second-Life-User männlich und unter 30 Jahren. Ich gehe davon aus, dass die Picard-Taschen-Käufer einer anderen Altersklasse angehören (mutmaßlich deutlich älter und überwiegend weiblich). Man lerne: Wer wie Picard als Letzter oder Vorletzter auf ein bereits sinkendes Schiff hüpft, ist auch einer der letzten, den alle sehen, wenn es untergeht. Mit sämtlichen unschönen Folgen für das Image. Dabei sein ist eben nicht alles.

Viel schlauer sind Marketingexperten, die Trends schon kannten bevor sie Trends wurden und anhand handfester Kriterien analysieren können, inwieweit diese überhaupt für „ihre“ Marke brauchbar sind. Wirklich schlau sind Marketing-verantwortliche, die selbst mittendrin – im Internet – stecken und deshalb beurteilen können, wie die Nutzer – etwa die Bewohner von 3-D-Welten – wirklich ticken. Und wie relevant sie für den Rest der Welt sind oder werden können.

Wenn Sie als Experte nicht selbst mittendrin stecken, so sollten Sie sich zumindest von Insidern beraten werden. Nicht erst, wenn Sie im „Spiegel“ von dem Trend lesen, sondern dauerhaft. So vermeidet der schlaue Experte, sich von Trends blenden zu lassen und diesen hinterherzulaufen à la Picard.

Was passiert im Bereich des virtuellen Marketings? Welche Möglichkeiten gibt es jetzt und welche wird es in Zukunft geben? Dies zu beobachten, ist eine wichtige strategische Daueraufgabe. Insofern kann das Unternehmen IBM Vorbild sein. Denn IBM beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten von 3D und 3D-Marketing. In einem Interview mit Technology Review schreibt Ian Highes, einer der Metaverse Spezialisten des Unternehmens: „IBM investiert nicht in Second Life direkt Millionen von Dollars, aber in einen neuen Geschäftsbereich, der sich auf die Anwendung virtueller Welten in der Wirtschaft und Gesellschaft konzentriert.“ Der Begriff „Metaverse“ beruht auf einem Roman von Neil Stephensons und beschreibt eine computeranimierte Welt mit Avataren, die miteinander kommunizieren und Handel betreiben. IBM glaubte schon nicht mehr an eine bestimmte Plattform wie Second Life, als der Hype um diese Website noch kochte. So wie bei IBM soll es sein: Versetzen Sie sich in die Lage, von Trends NICHT überrascht zu werden und beobachten sie permanent, was im Internet geschieht. Eine gute Idee wäre es, mit Internet-Insidern zusammenzuarbeiten, die beobachten, was im Web 2.0 passiert, welche Plattformen entstehen und wachsen – am besten gleich international.

Ist ein Trend ausgemacht, sollten Sie sich fragen:
• Wie relevant ist das Thema oder die Plattform für meine Zielgruppe wirklich?
• Welche Risiken bietet eine Präsentation meiner Marke dort?
• Welches Bild entsteht durch die Kombination von Marke und Plattform auch in den Köpfen von Nichtnutzern?
• Dient dieses Bild dem Image meiner Marke?


Vorsicht vor dem Paris-Hilton-Nerv-Effekt!

Es gibt Prominente, die begleiten uns eine Zeitlang als Dauergäste auf den Panorama-Seiten. Und dann ist irgendwann und oft sehr plötzlich Schluss. Kein Mensch mag mehr etwas über weitere Eskapaden von Paris Hilton lesen. Second Life hat gezeigt, dass sich so ein Effekt nicht nur auf Prominente beschränkt, sondern auf jede Form der Berichterstattung. Was zuviel ist, nervt irgendwann, wird uncool – und verschwindet von den Print-Flächen.

Es gibt diesen schwer definierbaren Punkt, an dem die Stimmung von „cool“ in „nervt“ kippt, wo sich „in“ in „out“ wandelt – und gleich alles mitzieht, was sich rund um den Trend versammelt hat. Markennamen, die früh auf den Second-Life-Zug aufgesprungen sind, laufen heute Gefahr mild belächelt zu werden – weniger von den aktiven Second-Life-Nutzern als vielmehr von denen, die Second Life nur als „Marke“ aus der Zeitung kennen. Und das ist nun mal der größte Teil für Unternehmen wie Adidas und Coca-Cola, nicht eben eine kleine Zielgruppe. Für Ihr Marketing bedeutet das: Ein Trend sollte oft eher Anlass sein, Dinge zu hinterfragen und NICHT mitzumachen.

Vorsicht vor allen Mitschwimmern: Beispielsweise haben sich im Zuge des Second-Life-Hypes jede Menge Agenturen neu gegründet, die sich Second-Life-Marketing oder Metaverse-Marketing auf die Fahnen schreiben. Da diese damit Geld verdienen, können sie kaum neutrale Berater für die Entscheidung „Soll ich mich engagieren oder nicht?“ sein.

Engagieren Sie im Zweifelsfall besser jemanden, der sein Geld nicht mit dem Trend verdient, für eine neutrale Analyse. Die Umsetzung überlassen Sie dann einem Spezialisten, sollten Sie zu dem Schluss gekommen sein, dass Sie nicht nur dabeisein, sondern mitmachen wollen.


3D-Marketing kommt

Es reicht nicht, als Unternehmen auf einer 3D-Plattfornm präsent zu sein und das zu tun, was man immer schon mit seiner Marketingabteilung getan hat – Banner zu schalten, Filialen zu gründen, Events zu veranstalten oder Plakate aufzu-stellen.„Thanks in large part to media hype, marketers continue to rush to the virtual world of Second Life despite increasing evidence they don’t really know what to do when they get there”, schrieb die Zeitschrift “Brandweek” im Mai 2007. Tatsächlich hat die Mehrzahl der Unternehmen, die sich auf die Plattform gestürzt haben, keine wirklich kreative Idee für ihr Marketing mitgebracht. Die Hamburger Agentur “Komjuniti” ermittelte sogar, dass 70 Prozent der Nutzer von Second Life vom Marketing enttäuscht sind.

Eine Marke, die sich auf einer virtuellen Plattform präsentiert, kann aus meiner Sicht ihre Zielgruppe nur erreichen, wenn sie entweder konkreten Nutzen bietet oder konkretes Erlebnis. Oder beides, was etwa in intelligenten 3D-Lernwelten möglich ist. Durch die einfachen Möglichkeiten, 3D-Modelle zu erstellen, lassen sich komplexe Dinge visualisieren und so besser verstehen. Kinder könnten auf fremden Planeten wandeln und ihre Oberfläche entdecken. Reisen durch Körper und das Innenleben von Computern wären einfach möglich. Auch ein gutes Spiel kann zum Mitmachen locken.

Damit sich der Effekt nicht verselbständigt und sich der Spielspaß von der Marke entkoppelt, ist aber auch hier wieder der Marketingsachverstand gefragt. So sollte der Eintritt zu einer 3-D-Plattform etwa von der Website des Unternehmens aus erfolgen. Auch Hilfestellungen bei der Nutzung von solchen Plattformen müssen unternehmensseitig gestellt werden. „Wenn Besucher dort schon ‚erkannt’ werden (registriert sind) müssen diese Daten übernommen werden. Ein Trainingsparcour ist das Minimum, besser sind: echter Life-Support, kleine Aufgaben mit Incentives, gebrandete Kleidung und eventuell markenspezifische Avatare“, schreibt Markus Breuer in seinem Blog „Notizen aus der Provinz“. Und er definiert zugleich, was echte „Stickyness“, also bleibende und wiederkehrende Besucher anlockt: Neue Inhalte in größeren Abständen und Veranstaltungen, die regelmäßig wiederkehren. Aktionismus und einmaliges Dabeisein jedenfalls bedeuteten, Geld rauszuschmeißen und der Marke im Extremfalls sogar zu schädigen.


3-D-Plattformen der Zukunft? Einige Beispiele

Was Second Life aus der Masse an anderen 3D-Plattformen bisher hervorhebt, ist sein Charakter als zentrale Plattform im Internet. So können Unternehmen in Zukunft für ihr virtuelles Marketing entweder eigene Plattformen auf ihrer Unternehmenswebsite schaffen oder Second Life und andere Websites nutzen.

www.activeworlds.com: Die Nutzer bauen sich ihre Welten in 3D selbst.

www.opencroquet.org: Entwicklungsumgebung für 3D-Projekte, zum
Beispiel im Bereich Kunst, Geschichte, Lernen

www.multiverse.net: Hier erstellten Entwickler 3D-Online-Welten.

www.areae.net: Eine Plattform für die Erstellung virtueller Welten.

www.threerings.net: Ein 3D-Spiele-Portal.